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SPD-Politiker: Land in Afrika hat nicht Möglichkeit zur CO2-Reduktion

Industrienationen hätten ein CO2-Einsparpotenzial von bis zu 80 Prozent, sagt Matthias Miersch. Dieses müsse genutzt werden, weil Länder in Afrika nicht die Möglichkeit dazu hätten, sagt der SPD-Umweltpolitiker. Diese Länder wollen ihrer Bevölkerung erst einen gewissen Lebensstandard bieten, der mit mehr CO2-Ausstoß verbunden sei.

Matthias Miersch im Gespräch mit Sandra Schulz | 16.07.2012
    Sandra Schulz: Die jüngste Niederlage, sie steckt vielen Umweltschützern noch in den Knochen. Marginal war das Ergebnis des Nachhaltigkeitsgipfels Rio plus 20 Ende Juni in Brasilien. Zwar haben sich die rund 180 Teilnehmerstaaten verpflichtet, sich stärker als bislang zu bemühen, Wirtschaftswachstum in Einklang mit der Umwelt zu bringen, aber wie und vor allem wie und woran das gemessen werden soll, das ließen sie offen. Das Gefühl kennen auch die Klimaschützer: Zäh laufen die Verhandlungen um ein Kyoto-Folgeabkommen und auch für die nächste UN-Klimakonferenz Ende des Jahres in Doha in Katar erwartet kaum jemand einen echten Durchbruch. Eines der Vorbereitungstreffen beginnt heute in Berlin: der dritte Petersberger Klimadialog. Am Wochenende hat sich die Kanzlerin noch einmal bemüht, Tempo in die Verhandlungen zu bringen. Sie nannte ein neues internationales Klimaabkommen mit klaren Vorgaben für dringend notwendig. Die Vereinbarung müsste bindend und sehr ambitioniert sein, so die Kanzlerin.

    O-Ton Angela Merkel: "Solche Treffen schaffen Vertrauen, sie sind wichtig, und wenn wir jetzt noch nicht alles erreichen können, was wir wollen, dann wollen wir wenigstens handeln und trotzdem weiter verhandeln."

    Schulz: Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem dritten Petersberger Klimadialog. - Welche Erwartungen sind realistisch?
    Am Telefon begrüße ich jetzt Matthias Miersch, SPD-Obmann im Bundestagsumweltausschuss. Guten Morgen!

    Matthias Miersch: Guten Morgen, ich grüße Sie.

    Schulz: Herr Miersch, Angela Merkel will jetzt Tempo machen, sie hat noch mal ein bindendes, sehr ambitioniertes Klimaschutzabkommen gefordert, aber die Verhandlungen darüber kommen ja eigentlich nicht wirklich von der Stelle. Was macht die Kanzlerin falsch?

    Miersch: Ja das kann man wohl sagen. Man hat ja fast keine Lust mehr, immer diese Worte noch zu hören. Das haben die Staatschefs auch in Rio gemacht. Frau Merkel hat dort ja in Abwesenheit geglänzt. Das Grundproblem ist, dass man vertrauensbildende Maßnahmen einleiten müsste, und da hätte Deutschland und die Europäische Union vor allen Dingen eine Vorreiterrolle zu spielen. Das nimmt sie leider nicht ein.

    Schulz: Aber Deutschland und Europa haben doch im Vergleich zu den Schwellenländern, zu den USA, zu China, wobei ich jetzt noch klarstellen will, dass die USA natürlich kein Schwellenland sind, in Sachen Klima- und Umweltschutz schon relativ die Nase vorn. Was spricht denn dafür, wenn Europa und Deutschland noch mehr machen würden, dass die Verhandlungen dann auch erfolgreicher liefen?

    Miersch: Ja wir haben letztes Jahr in Durban gesehen, dass es erstens möglich ist, Allianzen zu schmieden, die Staaten. Die am meisten vom Klimawandel augenblicklich betroffen sind, die haben mit der Europäischen Union versucht, Dynamik in den Verhandlungsprozess zu bringen. Aber man muss immer wieder sehen, was man merkt bei diesen Konferenzen: Wir verbrauchen pro Kopf viel, viel mehr und stoßen viel, viel mehr CO2 aus als die Entwicklungs- und Schwellenländer. Und deswegen muss man denen eine Entwicklung überlassen können und gleichzeitig wir sozusagen unsere Hausaufgaben machen. Wir haben Einsparpotenziale von bis zu 80 Prozent, das müssen wir heben, und wenn die Europäische Union in diese Verhandlungen geht und sagt, ja wir sind bereit, bis 2020 30 Prozent CO2 zu reduzieren, aber erst, wenn ihr das und das macht, dann ist das der falsche Weg. Wir müssen einen Schritt weitergehen und die anderen nachziehen lassen.

    Schulz: Aber noch mal nachgefragt: Warum ist das so? Warum soll Europa in Vorleistung gehen?

    Miersch: ... , weil wir die Möglichkeiten haben. Wir verbrauchen viel, viel mehr. Wir haben die Einsparpotenziale, ohne viel Luxus einzubüßen, und es ist in unserem ureigenen Interesse, das müssen wir verstehen. Es werden in Zukunft die Maschinen sein, die weniger Energie verbrauchen, die weltweit nachgefragt sind. Und deswegen: Ein Land in Afrika hat nicht die Möglichkeiten, sondern ist erst mal bedacht, überhaupt der eigenen Bevölkerung einen gewissen Lebensstandard zu bieten, das ist zwangsläufig mit mehr CO2-Ausstoß verbunden. Wir müssen in die andere Richtung gehen, und deswegen ist es so wichtig, dass wir Vertrauensbildung schaffen.

    Schulz: Und da sind wir auch unmittelbar bei der deutschen Umweltpolitik. Umweltminister Altmaier hat gestern Skepsis angemeldet, ob die deutsche Energiewende noch zu schaffen sei. Hat Sie da mal die Ehrlichkeit eines Ministers gefreut?

    Miersch: Nein, im Gegenteil. Von einem Bundesumweltminister erwarte ich, dass er nach vorne guckt und nicht tiefstapelt. Wir haben in den letzten zwei Jahren zig Studien zur Kenntnis nehmen können, auch Peter Altmaier, wonach in Deutschland ein enormes Potenzial besteht, und leider, wenn man so tiefstapelt, dann erfüllt man die eigenen Kriterien nicht, und das ist schade. Wir bräuchten eigentlich Rahmenbedingungen. Warum ist es in Deutschland nach wie vor nicht möglich, im Gegensatz zu anderen Teilen der Welt, hoch ineffiziente Geräte einfach vom Markt zu schmeißen, beispielsweise Kühlschränke, die ganz, ganz viel Energie verbrauchen? Man muss Rahmenbedingungen setzen, und da ist leider die Bundesregierung in einem Nirwana. Bundeswirtschaftsminister und Bundesumweltminister blockieren sich gegenseitig. Immer wenn Brüssel was versucht, an Effizienzrichtlinien zu schaffen, fährt der deutsche Bundeswirtschaftsminister nach Brüssel und verwässert es wieder. Das ist alles eine Politik, die jedenfalls auch nicht zur Vertrauensbildung in Bonn heute und morgen beitragen wird.

    Schulz: Herr Miersch, das Problem sind doch aber auch die Strompreise, die Entwicklung geht nach oben. Wie wollen Sie denn denjenigen, die künftig vielleicht kein Geld haben, sich einen neuen, energiesparenden Kühlschrank zu kaufen, und aber auch kein Geld, ihre Stromrechnung zu bezahlen, wie wollen Sie denen erklären, dass der Ausstieg aus der Atomkraft richtig war?

    Miersch: Also erstens, wenn man Kühlschränke hat und verpflichtend bestimmte Effizienzgrade einführt, dann, glaube ich, werden Kühlschränke, die hoch effizient sind, auch billiger werden. Aber es geht genau um diese Gruppe. Wir müssen nicht nur einer exklusiven Gruppe überlassen, dass sie hoch effiziente Geräte sich leisten kann. Das Entscheidende wird aber sein zu sagen: War denn Atomkraft billig, war denn fossile Energie, Gas und Öl billig? Im Gegenteil! Wir haben es geschafft, mit der Energiewende einen Umstieg zu bekommen, und wenn wir weitermachen, nicht bei 20 Prozent Erneuerbaren stehen bleiben, kommen wir weg von endlichen Ressourcen, endlicher Energie, und die wird teuer werden in Zukunft und nicht die Fotovoltaik, nicht die Windkraft. Das müssen wir endlich verstehen. Wir haben früher auch subventioniert, die alte Technologie, und deswegen kriegen wir den Umstieg mit Sicherheit auch sozialverträglich hin. Wir haben allerdings augenblicklich ein Problem: Wenn wir große Industrien von Energieumlagen, Netzentgelten befreien, dann müssen das die anderen umso mehr tragen, weil wir ein Umlagesystem haben, und hier, glaube ich, müssen wir herangehen, damit auch Strompreise zukünftig bezahlbar sind. Das ist die Aufgabe der Politik, aber da höre ich leider von der Bundesregierung gar nichts. Deswegen fordern wir seit langer Zeit, mit diesen Themen beispielsweise in einem Energiewendeausschuss im Deutschen Bundestag ganz offensiv voranzuschreiten.

    Schulz: Matthias Miersch, der umweltpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, heute hier in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.

    Miersch: Bitte schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.