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SPD-Politiker Marco Bülow
"Ich werde mich weiter für eine Urwahl einsetzen"

Martin Schulz will den SPD-Parteivorsitz kommissarisch an die Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles abgeben. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Marco Bülow lehnt dies ab. Mit einer solchen Weitergabe des Spitzenpostens würden "Fakten geschaffen", andere Kandidatinnen und Kandidaten hätten keine Chance mehr, sagte er im Dlf.

Marco Bülow im Gespräch mit Sarah Zerback | 13.02.2018
    Das Bild zeigt den SPD-Politiker Marco Bülow.
    Der SPD-Politiker Marco Bülow: "Es gibt sechs Stellvertreter, und alle sechs sind nicht in der Lage, das zu machen?" (picture-alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Sarah Zerback: Es ist ironisch, fast schon ein bisschen tragisch. Da verhandelt die SPD die Filetstücke unter den Ministerien heraus und verpasst dem Koalitionsvertrag eine deutlich sozialdemokratische Handschrift, nach eigenen Angaben. Doch freuen können sich die Genossen darüber nicht. Denn die Inhalte sind in der vergangenen Woche zu einer Fußnote gegangen, werden überlagert von lautstark geführten Debatten um Postengeschacher, darum, was guter Stil in der Politik ist, was ein gegebenes Wort wert ist. Nachdem Martin Schulz erkannt hat, dass er seine Partei nicht mehr hinter sich hat, will er den Vorsitz nun kommissarisch an Andrea Nahles abgeben, am liebsten schon heute Nachmittag, wenn Präsidium und Bundesvorstand der SPD in Berlin zusammenkommen. Ein Verfahren, gegen das es an der Basis heftigen Widerstand gibt, auch aus rechtlichen Gründen, wie Volker Finthammer berichtet .
    Informationen aus unserem Hauptstadtstudio waren das von dem Kollegen Volker Findhammer. Und am Telefon ist jetzt Marco Bülow. Er sitzt für die SPD im Bundestag, hat seinen Wahlkreis aber in Dortmund, also in der ehemaligen Herzkammer der Sozialdemokratie. Und er ist erklärter GroKo-Gegner und gegen ein "Weiter so", also für Erneuerung. Guten Tag, Herr Bülow!
    Marco Bülow: Schönen guten Tag!
    Zerback: Die SPD-Spitze, die erneuert sich ja jetzt wahrscheinlich am Nachmittag schon mal. Das müsste doch dann ganz in Ihrem Sinne sein.
    Bülow: Ja, genau. Das ist genau diese Erneuerung, wie sie immer wieder stattfindet, dass von oben diktiert wird, im stillen Kämmerlein, wer denn demnächst das Sagen hat. Also erst mal, wir hatten Parteitag im Dezember, der hat bestimmt, wer Parteivorsitzender ist und wer Stellvertretende Parteivorsitzende, das haben wir auch bestimmt. Wir haben sogar sechs Stellvertreter. Und in jedem Verein ist es so, wenn der Vorsitz dann mal ausfallen sollte, was, finde ich, eh schon mal allein eine schwierige Tatsache ist, dann gibt es sechs Stellvertreter, die ihn vertreten können. Die sich absprechen können, wo das einer vielleicht besonders macht, wie auch immer. Und jetzt werden wieder Fakten geschaffen, sodass natürlich auf dem Parteitag eventuelle andere Kandidatinnen und Kandidaten keine Chance haben, weil man ja dann die Partei nicht beschädigen kann, weil es ja schon einen kommissarischen Vorsitzenden oder in dem Fall eine kommissarische Vorsitzende gibt.
    Zerback: Also ich höre heraus, das ist eher ein Nein, also nicht in Ihrem Sinne. Was haben Sie denn gegen Andrea Nahles an Ihrer Parteispitze?
    "Parteitage stimmen dann immer zu, weil sie sozusagen keine andere Wahl haben"
    Bülow: Ich habe gar nichts gegen Andrea Nahles. Ich habe was gegen diese ehemaligen, überbordenden und überkommenen Vorgehensweisen, die immer von oben genau so diktiert worden sind, und die jetzt langsam wirklich ad acta gelegt werden müssen. Dass sozusagen immer von vorne bestimmt wird, wer es wird, am besten ohne Gegenkandidaten. Und Parteitage stimmen dann immer zu, weil sie sozusagen keine andere Wahl haben und weil man die Spitze nicht beschädigen will.
    Zerback: Gut. Aber Herr Bülow, da gibt es natürlich jetzt eine Gegenkandidatin. Entschuldigung, wenn ich Sie da unterbreche, aber das ist natürlich jetzt, Stand heute, nicht mehr so. Es gibt ja eine Gegenkandidatin, und zwar die Flensburger Oberbürgermeisterin.
    Bülow: Die hat doch gar keine Chance mehr, weil wenn jemand kommissarisch das schon macht, dann will man den natürlich oder muss man den ja im Amt halten, weil man keine andere Chance hat. Und warum haben wir denn Stellvertretende Parteivorsitzende? Ich verstehe das nicht. Das hätte unbürokratisch einfach gemacht werden können. Es gibt sechs Stellvertreter, wo ich immer noch nicht weiß, warum wir sechs Stück brauchen. Und alle sechs sind nicht in der Lage, das zu machen? Ich finde, das ist dann ein Zeugnis, das nicht gerade für diesen Vorstand stimmt, der sozusagen sowieso sich jede Woche irgendwie anders entscheidet in irgendeiner Frage. Und ich finde, wir müssen sozusagen die Erneuerung wirklich komplett denken.
    Zerback: SPD-Vize Torsten Schäfer-Gümbel, wir haben ihn gerade schon gehört, der hat bei uns heute Morgen im Programm ja gesagt, das liegt einfach daran, dass die SPD jetzt endlich wieder handlungsfähig sein muss und da eben die Unsortiertheit auf der Bundesebene im Führungsgremium beheben muss. Ist da nicht jemand mit der Erfahrung einer Andrea Nahles dann genau die Richtige?
    Bülow: Ja, aber die sechs Stellvertretenden Parteivorsitzenden, ich sage es noch mal, die sind gewählt worden und legitimiert worden von einem Parteitag. Und die waren bei den Koalitionsgesprächen dabei. Die waren bei allen Verhandlungen dabei, die waren bei allen Voten dabei. Warum ist denn da sozusagen keiner erfahren genug? Das spricht ja dann nicht für den Vorstand, wenn das wirklich so ist. Ich kann mir das nicht vorstellen. Und vor allen Dingen, ein Parteivorstand ist auch dazu da, zusammenzuhalten und nicht wieder neue Fässer aufzumachen. Es wäre, glaube ich, kein Mensch auf die Idee gekommen, irgendwas zu kritisieren, hätte einer der Stellvertreter gesagt oder die Stellvertreter zusammen sich daran gemacht, das jetzt zu erledigen. Und auf einem ordentlichen Parteitag kann natürlich Andrea Nahles kandidieren, und natürlich ist sie eine respektable Kandidatin, weil sie Fraktionsvorsitzende ist, und das ist sie ja nicht ohne Grund geworden. Aber wieder das von oben runterdiktieren, und dann kommt ein Parteitag, der wieder nur absegnet, und die Gegenkandidaten haben da keine Chance, da müssen wir uns nichts vormachen, das finde ich nicht richtig. Deswegen sollten wir endlich damit aufhören, und gerade Parteivorsitzende, finde ich, sollten wir jetzt auch endlich mit Urwahl wählen.
    Zerback: Eine Urwahl, okay. Auch da – ich muss ihn einfach noch mal ins Feld führen, weil er hat uns eben heute Morgen dieses ausführliche Interview gegeben. Da sagt jetzt Torsten Schäfer-Gümbel. Da stehen Sie mit Ihrer Kritik ziemlich alleine da. Ich höre mal rein.
    Torsten Schäfer-Gümbel: Da geht es um eine einzige Gruppe, die 0,2 Prozent der Mitglieder der SPD vertritt, die dann zum Gegenstand der Mehrheitsmeinung in der SPD gemacht wird. Das ist einfach nicht so. Dafür haben wir demokratische Gremien wie den Parteivorstand, wie den Bundesparteitag, und dort werden die Entscheidungen auch fallen.
    "Die Vorschläge liegen alle bereit, und die hat übrigens Martin Schulz mit unterstützt"
    Zerback: Herr Bülow, fühlen Sie sich da in Ihrer Kritik ernst genommen?
    Bülow: Ach, ich glaube, das sind sehr, sehr viel mehr. Da muss man nur fragen. Die Vorschläge liegen ja auch alle bereit, und die hat übrigens Martin Schulz und der damalige Parteivorstand mit unterstützt, dass es diese Vorschläge gibt, und wo dann auf einem nächsten Parteitag mit drüber abgestimmt wird. Also, es sind keine 0,2 Prozent der Partei. Ich glaube, es ist mittlerweile die große Mehrheit der Partei, die endlich möchte, dass es demokratischer zugeht und dass eben nicht von oben herab bestimmt wird. Und wenn man dann sozusagen auf Verfahrensweisen und auf Organisation so großen Wert legt und auf Formalien einen großen Wert legt, dann muss man einen der Stellvertretenden Vorsitzenden jetzt kommissarisch zum Vorsitzenden machen. Man kann sich die Regeln nicht so biegen, wie man sie gern möchte.
    Zerback: Was Sie jetzt aber machen als SPD, Sie müssen ja jetzt den Mitgliederentscheid stemmen bis Anfang März, wo dann entschieden werden soll, GroKo, hop oder top, ja oder nein, und dann jetzt noch eine Urwahl zu organisieren. Das ist ja basisdemokratisch, ja, wie Sie sagen, aber es ist ja auch wahnsinnig aufwendig. Ist das wirklich realistisch, dass die Partei das jetzt auch noch stemmen kann? Irgendwann soll es ja vielleicht auch dann tatsächlich noch mal um Inhalte gehen.
    Bülow: Ja, ich wäre dafür, dass es um Inhalte geht. Uns ging es die ganze Zeit um Inhalte. All diejenigen, die kritisiert haben, wie der Koalitionsvertrag ausgeht, würden am liebsten nur über diesen Koalitionsvertrag sprechen, und sozusagen wird das jetzt alles überlagert. Aber das war jetzt nicht unser Problem. Das ist sozusagen von oben gekommen, das Problem, und nicht durch uns. Wir haben einen Parteitag gehabt, der hat entschieden, wer die Partei führen soll, und das soll er gefälligst auch tun. Und wir wollten uns mit dem Koalitionsvertrag auseinandersetzen. Dass wir jetzt nicht über Inhalte reden, ist, glaube ich, nicht das Problem der Basis oder derjenigen, die kritisieren, wie der Koalitionsvertrag aussieht.
    Zerback: Gut. Lassen wir vielleicht die Schuldfrage außen vor. Aber dann sind wir uns ja in der Beschreibung des Ist-Stands dann einig. Die Debatte ist jetzt nun mal da. Wäre es da vielleicht nicht doch für ein Umdenken an der Zeit, um zu sagen, jetzt lassen wir mal das Personalgeschacher beiseite und schauen mal, dass die SPD langsam wieder zur Ruhe kommt?
    Bülow: Ja, natürlich. Ich wäre ja der Erste gewesen, der das gesagt hätte. Und das hätte man ganz einfach regeln können, und dafür ist der Parteivorstand da und dafür sind die Stellvertretenden Parteivorsitzenden da, genau das jetzt in die Hand zu nehmen. Und das ist leider wieder nicht so, sondern es werden wieder die alten Vorgehensweisen genommen, die eben in der Partei so kritisiert werden. Und die, die eine Erneuerung fordern, fordern ja auch, dass es nicht nur eine inhaltliche Erneuerung gibt, sondern dass es eben auch eine konzeptionelle und personelle Erneuerung gibt. Und das muss man zusammenführen. Aber noch mal: In erster Linie geht es jetzt um den Koalitionsvertrag, und es hätte überhaupt keine Not bestanden, selbst nach dem Rücktritt oder Rückzug von Martin Schulz, mit den Leuten weiterzumachen, die dafür gewählt worden sind.
    Zerback: Was ist denn Ihre Prognose? Ich meine, Sie können auch nicht in die Glaskugel gucken, aber heute Nachmittag soll das Ganze ja entschieden werden. Kommt da der schnelle Wechsel heute, was glauben Sie?
    "Dass ein Parteitag dann nicht nur absegnet, was von vorne vorgegeben wird"
    Bülow: Ich denke mal, sie werden ihn jetzt vollziehen. Ich finde es schade, weil damit sozusagen Öl ins Feuer gegossen wird. Ich glaube nicht, dass es nur wenige sind, die damit unzufrieden sind. Und dann werden die Personaldiskussionen weitergehen. Ich kann nur dazu aufrufen, auch wenn ich dagegen bin, genau so zu verfahren. Ich werde mich weiter für eine Urwahl einsetzen, aber in erster Linie geht es jetzt um den Koalitionsvertrag, egal, wie die Entscheidung getroffen wird.
    Zerback: Aber wieso gehen die Personaldebatten dann weiter, Herr Bülow? Man könnte doch auch sagen, dann ist es so, dann ist es entschieden. Dann ist es vielleicht nicht in Ihrem Sinne entschieden, aber dann machen wir das Fass auch mal wieder zu?
    Bülow: Ich werde darüber dann nicht mehr diskutieren. Ich werde mich dann nur noch dafür einsetzen, dass es eine Urwahl gibt und dass ein Parteitag dann nicht nur absegnet, was von vorne vorgegeben wird. Das wird natürlich dann weitergehen. Aber jetzt wird es um den Koalitionsvertrag gehen, und ich glaube, das kann man sich angucken bei all denen, die dagegen sind, dass wir in die große Koalition gehen, dass vor allen Dingen inhaltliche Punkte da genannt werden. Das wird auch weiter so sein, und auch von mir.
    Zerback: Danke. Marco Bülow war das. Danke, dass Sie uns Ihre Einschätzungen heute dann noch kurz vor der Entscheidung gegeben haben. Marco Bülow sitzt für die SPD im Bundestag, aus Dortmund kommt er. Herzlichen Dank für das Gespräch!
    Bülow: Danke auch, tschüs!