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SPD-Politiker Weisskirchen verteidigt Chemikalienexporte nach Syrien

Die rot-grüne Bundesregierung und die Große Koalition hatten die Ausfuhr von Substanzen nach Syrien genehmigt, die auch zur Herstellung von Chemiewaffen taugen. Die Nutzung für solche Zwecke sei "in dieser Schärfe" aber nicht absehbar gewesen, sagt der ehemalige außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Gert Weisskirchen.

Gert Weisskirchen im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 19.09.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Gestern war es ja bekannt geworden: Über Jahre lieferte die Bundesregierung Chemikalien nach Syrien. Das Brisante daran: Diese Substanzen können unter anderem dazu verwendet werden, Chemiewaffen wie Sarin herzustellen. Die Bundesregierung zeigt sich allerdings davon überzeugt, dass diese Substanzen rein für zivile Zwecke genutzt worden sind, aber daran kann man Zweifel anmelden. Telefonisch verbunden sind wir jetzt mit Gert Weisskirchen. Er war von 1999 bis 2009 außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Schönen guten Tag, Herr Weisskirchen.

    Gert Weisskirchen: Guten Tag, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Weisskirchen, die damalige rot-grüne Bundesregierung und die anschließende Koalition – an beiden Regierungen war Ihre Partei beteiligt – haben dem syrischen Regime möglicherweise geholfen, Chemiewaffen herzustellen. Wie gefällt Ihnen diese Möglichkeit?

    Weisskirchen: Die gefällt mir nicht. Aber das muss ja überprüft werden, ob dieses, was Herr van Aken behauptet, zutrifft. Die Bundeskanzlerin hat erklärt, es trifft offenbar nicht zu oder es wird überprüft. Und genau dieser Prüfungsprozess ist noch längst nicht abgeschlossen.

    Heckmann: Aber es kann ja ganz offenbar nicht ausgeschlossen werden, dass diese Substanzen auch zur Herstellung von Chemiewaffen verwendet wurden.

    Weisskirchen: Das ist ein "Dual-Use", also eine doppelte Nutzungsmöglichkeit, die in der Tat auch dann, falls es missbräuchlich hat gemacht werden können, dann in der Tat auch zur Waffenproduktion hätte eingesetzt werden können. Das muss überprüft werden. Die Hauptsache ist dabei meiner Meinung nach, dass die Regime, die zu dieser Dual-Use-Produktion überprüft werden, dass diese Regime verstärkt und vertieft werden müssen. Das ist auf dem Weg, das hat zum Beispiel das Europäische Parlament am 19. April 2012 entschieden, und es wäre gut, wenn der Deutsche Bundestag das selbstständig weiter vertiefen würde.

    Heckmann: Aber, Herr Weisskirchen, wie kann man denn überhaupt auf die Idee kommen, solche Dual-Use-Substanzen und Produkte an derartige Diktaturen zu liefern, bei denen gar nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie für solche derartigen Zwecke mit vielen Toten verwendet werden?

    Weisskirchen: Das war zum damaligen Zeitpunkt so in dieser Schärfe nicht zu sehen. Das ist jetzt erkennbar und im Nachhinein wird man sich fragen müssen, ob das klug gewesen ist. Aber man kann jetzt im Nachhinein auch nicht diejenigen, die damals die Erlaubnisse gegeben hatten… Dafür gibt es ja zuständige Ministerien wie das Wirtschaftsministerium. Das wird zu prüfen sein, ob es diese Pflichten alle erfüllt hat und das BAFA, dafür gibt es ein eigenes Bundesamt zur Überprüfung, ob diese in Kooperation mit den Mechanismen der Chemiekontrollwaffen-Übereinkunft, ob das alles eingehalten worden ist. Ich kann bisher nicht erkennen, dass dies nicht geschehen ist. Das muss aber überprüft werden.

    Heckmann: Sie haben gerade gesagt, das war noch nicht so absehbar. Aber das Regime in Damaskus war damals auch schon ein Regime und es wurde ja schon der Verdacht geäußert, dass Damaskus an einem solchen Giftgas-Programm arbeitet.

    Weisskirchen: Das ist uns nicht bekannt gewesen. Jedenfalls hat das in der Außenpolitik unserer, meiner Erinnerung nach keine Rolle gespielt. Sonst hätte das damals bereits verboten werden müssen, weil nämlich die Rüstungskontrollmechanismen, die von Rot-Grün verschärft worden sind und von Schwarz-Gelb nicht verschärft worden sind, genau das vorgesehen haben: Dass in Länder, die sich so verhalten wie Syrien sich verhält, dies nicht geliefert werden darf.

    Heckmann: Sie waren ja zum fraglichen Zeitpunkt außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Sind Sie denn jemals mit der Frage befasst worden, ob derartige Substanzen an Syrien geliefert werden sollen?

    Weisskirchen: Nein.

    Heckmann: Und daran finden Sie auch nichts zu kritisieren?

    Weisskirchen: Das Problem ist, dass die Rüstungskontrolle von den Bundesregierungen - zum Beispiel in diesem Jahr hat es eine Debatte im Januar gegeben von einem Bericht, der auf Daten basiert, die zwei Jahre alt sind. Das heißt, dass verschleppte Daten natürlich kaum noch zu überprüfen sind. Und deswegen ist die Forderung vollständig berechtigt von zum Beispiel der SPD-Bundestagsfraktion, dass stärkere Transparenz eingebaut werden muss, das ganze Verfahren auch parlamentarisch anders kontrolliert werden muss, auf eine gesetzliche Basis gestellt werden muss. Diese Verschärfungen, die von zunächst mal von Helmut Schmidt eingeführt worden sind, wurden von Rot-Grün verschärft, aber von Schwarz-Gelb leider nicht verbessert. Und das muss der neue Deutsche Bundestag, der gewählt werden wird, endlich in die Hand nehmen, die gesetzlichen Vorschriften zu verändern.

    Heckmann: Diese Regelungen wurden verschärft, haben Sie gesagt, unter Rot-Grün, aber ganz offenbar nicht scharf genug. Sonst hätten wir diese Transparenz ja.

    Weisskirchen: Das ist zutreffend. Aber es ist jetzt an der Zeit, spätestens, auch bei allen anderen Rüstungsexporten, dass der Deutsche Bundestag seine gesetzlichen Möglichkeiten besser durchsetzt und den Bundesregierungen abverlangt, dass eine parlamentarische Kontrolle, eine effiziente Kontrolle auch wirklich möglich wird.

    Heckmann: Das heißt, de facto ist es so, dass es immer noch heute möglich ist, dass die Bundesregierung solche Produkte, solche Dual-Use-Produkte in Spannungsgebiete liefern kann, ohne dass das Parlament in diese Entscheidung eingebunden ist?

    Weisskirchen: Die Bundesregierung selbst kann gar nicht liefern, sondern das sind Firmen, die möglicherweise über Dual-Use dann zu solchen Optionen es Regimen möglich macht, Produkte herzustellen, die waffentauglich und kriegstauglich sind.

    Heckmann: Aber die Bundesregierung kann solche Lieferungen genehmigen, ohne dass der Bundestag eingebunden ist?

    Weisskirchen: Ja. Das ist bislang der Fall und vieles davon findet ja auch in nicht kontrollierungsmöglichen, für das Parlament jedenfalls nicht kontrollierungsmöglichen Verhandlungen statt. Das muss endlich offengelegt werden. Andere Parlamente wie in den USA, bei denen ist das der Fall. Der Bundestag muss nun in die Lage versetzt werden, das selbständig parlamentarisch zu kontrollieren.

    Heckmann: Herr Weisskirchen, Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gestern in einem Interview gesagt, sie sei davon überzeugt, dass diese Substanzen rein für zivile Zwecke benutzt worden sind. Wie kann man denn da so sicher sein, denn sonst glaubt man Assad ja auch nichts?

    Weisskirchen: Ich bin fest davon überzeugt, dass die Bundeskanzlerin alle Stellen, die die Kontrollen übernommen haben, befragt hat, oder jedenfalls das Kanzleramt. Und dabei ist das Ergebnis zustande gekommen, über das sie berichtet hat. Und so kann es ja auch nur sein. Es muss genau kontrolliert werden, ob die Behörden, die für die Ausfuhr Genehmigungen erteilen, ihre gesetzlichen Rahmen wirklich ausschöpfen, in Kooperation – das darf ja nicht vergessen werden – mit Den Haag. Denn dort gibt es ja die Einrichtung, die überprüft, ob die Chemiewaffenkontrollen auch wirklich - und selbst bei Dual-Use-Produkten - durchgeführt werden, in Kooperation mit den deutschen Firmen und Stellen. Es sind etwa 150 Kontrollen seit 1998 in Deutschland durchgeführt worden. Bislang ist nirgends erkennbar gewesen, dass Missbrauch getrieben worden ist. Und jetzt muss man alles überprüfen, ob das auch wirklich der Fall ist.

    Heckmann: Man muss es überprüfen, weder das eine noch das andere ist bewiesen. Aber, Herr Weisskirchen, wenn sich jetzt im Nachhinein herausstellen sollte, dass in Syrien Giftgas eingesetzt wurde und dabei über tausend Menschen ums Leben kamen, und das mit Hilfe von Lieferungen aus Deutschland - wie würden Sie das einordnen?

    Weisskirchen: Daraus kann man nur die Konsequenz ziehen, dass bei allen Ländern, die nicht sich an Chemiewaffen-Übereinkommen beteiligen, wie das bei Syrien der Fall war, dass künftig keine chemischen Substanzen, die zur Herstellung von Giftgas missbraucht werden können, geliefert werden dürfen.

    Heckmann: Der ehemalige außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Gert Weisskirchen, war das hier im Deutschlandfunk. Herr Weisskirchen, danke Ihnen für das Gespräch.

    Weisskirchen: Ich danke, Herr Heckmann.


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