Freitag, 29. März 2024

Archiv

SPD-Politikerin Barley über Martin Schulz
"Außenpolitisch einer unserer profiliertesten Köpfe"

Es sei ärgerlich, dass die von der SPD durchgesetzten guten Inhalte des Koalitionsvertrags hinter der Debatte um Martin Schulz zurücktreten, sagte SPD-Politikerin Katarina Barley im Dlf. Einen Wandel hin zu einer sozialen europäischen Union schaffen - dafür stehe ein künftiger Außenminister Schulz wie kein Zweiter.

Katarina Barley im Gespräch mit Philipp May | 08.02.2018
    Barley sitzt vor einem Logo der SPD und lächelt in die Kamera.
    Katarina Barley auf einer SPD-Tagung in Bayern (dpa)
    Philipp May: Das war ein denkwürdiger Tag gestern in Berlin. Zunächst die Einigung im Koalitionsgerangel zwischen Union und SPD, und dann der überraschende angekündigte Führungswechsel bei den Sozialdemokraten. Martin Schulz, der Parteivorsitzende, möchte doch eintreten in das Kabinett von Angela Merkel und ist deswegen bereit, den Parteivorsitz abzugeben an die Fraktionschefin Andrea Nahles. Die Jusos reagieren entsetzt.
    Und mitgehört hat die SPD-Politikerin Katarina Barley, geschäftsführende Familien- und Sozialministerin, und auch fürs neue Kabinett als Ministerkandidatin im Gespräch. Schönen guten Morgen!
    Katarina Barley: Guten Morgen, Herr May!
    May: Sind Sie froh, dass Sie mal wieder ein bisschen ausschlafen konnten diese Nacht?
    Barley: Na ja, ausgeschlafen habe ich ja nicht. Ich bin ja jetzt schon sehr früh wieder im Interview, aber ich bin sehr froh –
    May: Wir hätten Sie auch für 6:50 Uhr anfragen können.
    Barley: Ja, ich weiß. Das ist sehr nett von Ihnen. Aber ich bin wirklich sehr froh, dass die Gespräche jetzt zu einem guten Ende gekommen sind, und ich glaube, es ist wirklich ein sehr gutes Ende.
    May: Aber es hat sich ja offenbar gelohnt. Es sind sich ja fast alle einig, dass die SPD besser verhandelt hat als die Union.
    Barley: Ja, und vor allen Dingen in den für uns so wichtigen Bereichen. Dass wir bei der Bildung zum Beispiel so viel für alle Bereiche der Bildung erreicht haben, von der Kita bis zur Hochschule, bis zum Meister-BAföG. Dass wir im Bereich Familie so viel erreicht haben, Rente, Pflege, Arbeit. Das sind unsere Kernkompetenzen, und da steht so viel Gutes drin. Wenn wir das umsetzen können, dann werden das vier gute Jahre.
    May: Und dann kommt Martin Schulz und reist diesen guten Gesamteindruck wieder ein. In eine Regierung von Angela Merkel werde ich nie eintreten, hat er gesagt, haben wir gerade eben auch gehört im Ton. Wie sehen Sie das? Einfach nur der nächste Wortbruch von Martin Schulz, an den man sich ja schon gewöhnt hat, oder tatsächlich auch eine glatte Lüge?
    Barley: Ehrlich gesagt, gerade nach der Anmoderation, die Sie gemacht haben, ärgert mich natürlich, dass jetzt diese wirklich guten Inhalte in den Hintergrund treten. Aber da haben wir ja alle miteinander Anteil dran, und deswegen kann ich die Kritik, die da in dem Beitrag laut wurde, auch nur bedingt annehmen, weil es ist jetzt an uns, darüber zu reden, was die Menschen am Ende von diesem Vertrag haben und von so einer Koalition haben. Und ganz ehrlich, ich erinnere mich noch gut dran, wie vor anderthalb Jahren oder vor einem guten Jahr Sigmar Gabriel sagte, er will jetzt Außenminister werden. Da schlugen die Wellen der Empörung dermaßen hoch, also auch innerhalb unserer Partei, und es war blankes Entsetzen. Und mittlerweile würdigt man ihn als einen der besten Außenminister.
    May: Aber wenn ich da ganz kurz einhaken darf. Sigmar Gabriel hat vorher aber nie gesagt, dass er niemals Außenminister werden möchte. Ich wollte sie ja jetzt konkret auf den Wortbruch von Martin Schulz ansprechen. War das für Sie kein Wortbruch?
    Barley: Er hat das gesagt, wenn ich das richtig weiß, im Zusammenhang mit einer Frage am 25. September, unmittelbar nach der Wahl. Natürlich ist das nicht glücklich, das ist ja überhaupt keine Frage. Aber die entscheidende Frage für mich ist, wenn wir jetzt diskutieren nach den schnellsten Koalitionsverhandlungen, die in dieser Republik je geführt wurden, nämlich die zwischen CDU/CSU und SPD. Wir haben jetzt 180 Seiten für das, was wir für die Menschen in diesem Land erreichen wollen.
    May: Ärgert es Sie da nicht –
    Barley: Ja, doch, natürlich ärgert mich das. Aber auf der anderen Seite: Der Elefant war ja im Raum. Es ist ja nicht so, als wäre diese Diskussion durch die Entscheidung gestern entfacht worden. Das war ja seit Wochen.
    May: Aber Sie hätten sie beenden können. Sie hätten sie beenden können, und alle würden nur über den Koalitionsvertrag sprechen. Gibt es niemanden bei Ihnen in der SPD, der dann auch einfach mal sagen kann, so, Martin, tut uns leid, vielen Dank, aber irgendwann ist auch mal gut?
    Ein Aufbruch für Europa
    Barley: Das ist ja nicht eine Entscheidung von mir, sondern das ist eine Entscheidung von ihm.
    May: Und er kann das einfach so entscheiden, über alle anderen in der SPD weg? Und dann müssen das alle machen.
    Barley: Der Parteivorsitzende in einer Partei hat einen gewissen Führungsanspruch. Das haben Herr Seehofer und Frau Merkel auch, und Personalfragen sind üblicherweise jetzt keine, die basisdemokratisch entschieden werden. Das ist immer so. Parteivorsitzende haben üblicherweise auch ein Zugriffsrecht. Und wenn er diesen Satz nicht gesagt hätte, dann würde ja auch niemand daran irgendwas finden.
    May: Aber er hat ihn ja nun mal gesagt.
    Barley: Ja, er hat ihn gesagt. Da müssen Sie dann auch mit ihm drüber reden. Ich glaube, dass er wirklich europa- und außenpolitisch nun wirklich einer unserer profiliertesten Köpfe ist. Und er hat ja auch das Europakapitel allein mit Merkel und Seehofer verhandelt, nur die drei. Und wenn Sie das durchlesen, dann sehen Sie, dass das für Europa wirklich einen Aufbruch bedeutet.
    May: Aber Europa, wissen wir ja seit der letzten Legislaturperiode, spielt sich auch ganz stark im Finanzministerium ab. Da muss er ja nicht unbedingt ???.
    Barley: Genau. Und das wird die SPD ja auch besetzen. Insofern ist das dann eine gute Kombination. Aber wenn Sie sich das Europakapitel mal anschauen, dann kommen wir endlich weg davon, dass Europa nur ein Europa der Wirtschaft und der Banken und so weiter ist, sondern das dieser Aspekt eines sozialen Europas in den Vordergrund gestellt wird, ein Europa, das wirklich danach schaut, was bei den Menschen ankommt. Und das ist bisher in den letzten Jahren viel zu kurz gekommen, was auch an der Grundkonstruktion von Europa liegt, das muss man sagen, es ist als Wirtschaftsgemeinschaft gegründet worden. Aber wir brauchen eben Menschen, die mit Macron zusammen diesen Wandel hin zu einer sozialen europäischen Union schaffen. Und dafür steht Martin Schulz nun wie kein Zweiter.
    May: Und der Außenminister, den die SPD ja derzeit auch stellt, Sigmar Gabriel, der steht dafür nicht? Ist ja der beliebteste SPD-Politiker und überhaupt der beliebteste Politiker, den wir derzeit in Deutschland haben. Warum ist die Partei bereit, ihn zu opfern?
    Barley: Ich schätze Sigmar Gabriel sehr, ich hab ja lange jetzt eng mit ihm zusammengearbeitet, und er ist ein exzellenter Minister, er macht das sehr gut. Aber das Feld Europa ist das Paradefeld von Martin Schulz. Und wenn Sie das lesen, was ja auch ganz am Anfang dieses Vertrages steht, unser ganzes Alltagsleben ist ja total durchdrungen von dem, was Europa vorgibt, das nehmen wir gar nicht so wahr, dann ist es schon auch richtig und wichtig, diesen Aspekt sehr in den Vordergrund zu stellen.
    May: Also die SPD lernt aus der Erfahrung. Wir können das gern auf Sigmar Gabriel erweitern. Wer bei den Sozialdemokraten als Parteichef scheitert, der ist immer noch gut genug für den Außenministerposten?
    Barley: Ich dachte, wir würden in diesem Interview darüber reden, was jetzt wirklich sich für die nächsten drei Jahre für die Menschen im Land ändert. Wir klagen jetzt darüber, dass sich jetzt alles nur um Personal dreht, und machen es dann selbst.
    May: Ja, aber da können wir ja nichts dafür. Wir haben diesen Wortbruch …
    Barley: Doch. Sie stellen ja die Fragen. Lassen Sie uns doch mal reden über Kinderarmut, über Rente, über sachgrundlose Befristungen. Das ist doch am Ende des Tages – ganz ehrlich jetzt, ich meine das wirklich ernst. Diese Personaldebatten sind immer wichtig für den Moment. Deswegen erinnere ich noch mal an die Debatte um Sigmar Gabriel vor einem Jahr. Da war helle Aufregung. Und jetzt ist er der angesehene Außenminister. Was wirklich wichtig ist für die Menschen in diesem Land, ist, was wir jetzt aus diesen nächsten drei Jahren machen. Und deswegen wäre ich furchtbar dankbar dafür – ich würde Ihnen sehr gern mal mein Konzept gegen Kinderarmut erklären zum Beispiel.
    "Konzept gegen Kinderarmut ist wirklich revolutionär"
    May: Das haben wir – darüber haben wir schon so häufig geredet, und Frau Barley, ich glaube Ihnen, dass – doch, darüber haben wir schon häufig geredet, und wir haben ja auch nicht mehr so viel Zeit. Und wir haben wirklich häufig darüber geredet. Und jetzt steht da gerade dieser Wortbruch im Raum. Und es steht ja vor allen Dingen auch noch diese Mitgliederbefragung, die Sie ja auch noch überstehen müssen, im Raum. Glauben Sie, dieses Postengeschacher wird Ihre Parteimitglieder überzeugen, für die GroKo zu stimmen. Weil genau das war ja die Sorge gerade an der Basis, dass es der Parteiführung nur um Ministerposten geht.
    Barley: Ja, und das ist eben gerade nicht der Fall. Da jetzt schon wieder von Postengeschacher zu reden. Bitte seien Sie so gut und lesen Sie – ich ringe da noch ein bisschen, ganz ehrlich. Wenn wir es nicht schaffen, diese Debatte dahin zu bekommen, was werden die Menschen in diesem Land von diesem Koalitionsvertrag haben, dann wird es natürlich schwierig. Aber das ist meine Aufgabe, das ist unsere Aufgabe, und ich finde, ein Stück weit ist es auch eine Aufgabe von der gesamten Gesellschaft. Weil das ist am Ende das, was die direkten Auswirkungen auf ihr Leben haben wird. Und da sage ich ganz ehrlich, eine Grundrente hatten wir bisher nicht, einen sozialen Arbeitsmarkt hatten wir bisher nicht. Wie gesagt, das Konzept gegen Kinderarmut ist wirklich revolutionär. Bei der Bildung, von der gebührenfreien Kita bis zum Meister-BAföG, es wird einfach – wenn man, andersherum gesagt – gerade bei den Jusos sind jetzt viele unterwegs, die genau die Fragen stellen, die Sie auch stellen. Aber wenn ich mir gerade zum Beispiel das Bildungspaket angucke, was für junge Menschen ja ein wichtiges ist, und da steht drin, wir im Fall Kita, da steht drin, Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter. Da steht drin BAföG-Reform, da steht eine Mindestausbildungsvergütung drin. Also dass nicht mehr beliebig wenig gezahlt werden kann für Auszubildende. Da steht drin ganz viel zur Hochschulförderung, da steht was drin zu Weiterbildung on the Job. Das ist so ein überzeugendes Paket. Und wenn wir das nicht in den Vordergrund stellen, dann ist uns auch selber nicht zu helfen.
    May: Und trotzdem schaffen Sie es noch nicht einmal, die eigene Basis und die eigenen Jusos davon zu überzeugen, dass das ein gutes Paket ist, weil sich am Ende alles nur um Posten und Fragen um den Parteichef drehen.
    Barley: Ganz ehrlich, die Jusos waren schon so fest- also nicht alle natürlich, man darf die nicht über einen Kamm scheren - aber diejenigen, die die No-GroKo-Kampagne gemacht haben - denen hätte man den demokratischen Sozialismus vorlegen können und sie hätten dagegen gestimmt. Das ist - deswegen ist diese Debatte so ein bisschen schräg, muss ich ehrlich sagen. Wir werden 400.000 - wir haben ja jetzt fast 450.000 Mitglieder inzwischen -, werden wir darüber informieren und mit ihnen diskutieren, was wir erreicht haben. Und das ist richtig viel. Und dann werden wir sie fragen, ob sie möchten, dass wir diese dreieinhalb Jahre, die jetzt noch verbleiben aus dieser Legislaturperiode, dazu nutzen, um wie gesagt eine Grundrente zu schaffen, um einen sozialen Arbeitsmarkt zu schaffen und so weiter. Das muss die Frage sein, über die wir diskutieren, und das ist die, die am Ende die Menschen auch interessiert.
    Martin Schulz mehr Respekt zollen
    May: Frau Barley, ist angekommen. Letzte Frage noch, weil ich es wirklich nicht verstehe. Sie haben Martin Schulz in den letzten zwölf Monaten zweimal zum Parteichef gewählt. Und jetzt, zwei Monate nach der letzten Wahl, da will er nicht mehr, weil er jetzt was Besseres hat in seinen Augen. Heißt der nächste Parteitag, das wäre dann der vierte in einem Jahr, dazu die teure Mitgliederbefragung – das geht doch auch ganz schön ins Geld?
    Barley: Da müssen Sie jetzt den Schatzmeister fragen. Aber ich glaube, das letzte Jahr war auch menschlich gesehen, glaube ich, für Martin Schulz, eine ziemliche Herausforderung. Was da auf ihn eingestürmt ist, das möchte ich, glaube ich, auch nicht vielen Menschen zumuten. Deswegen gebietet es, glaube ich, auch ein bisschen für mich jetzt jedenfalls, die ich ja auch eng mit ihm zusammengearbeitet habe, auch ein bisschen der Respekt, ihm da auch mal eine Atempause zu gönnen. Ich hab so viel zu dem Thema gesagt und möchte es dabei jetzt auch belassen.
    May: Alles klar. Katarina Barley, geschäftsführende Familien- und Sozialministerin von der SPD. Vielen Dank für das Gespräch!
    Barley: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.