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Sehnsucht nach links

Martin Schulz ist auf Tour zu den SPD-Landtagsfraktionen. In Rheinland-Pfalz bekommt er viel Applaus für sein Vorhaben, die SPD als "linke Volkspartei" zu erneuern. Viele Genossen wünschen sich wieder mehr linke Politik. Die Jusos pochen schon länger auf mehr Kapitalismuskritik.

Von Anke Petermann | 09.11.2017
    SPD-Chef Martin Schulz
    SPD-Chef Martin Schulz will die SPD als "linke Volkspartei" erneuern (Imago)
    Tosender Applaus für einen Wahlverlierer – die Mainzer SPD-Fraktion erhebt sich geschlossen für Martin Schulz. Zuvor hat der Parteivorsitzende schon den Zuspruch der Basis auf Regionalkonferenzen in Kaiserslautern und Frankfurt am Main genossen. Sagt Martin Schulz selbst. Überprüfen lässt sich das nicht, die Konferenzen fanden hinter verschlossenen Türen statt. Dem gescheiterten SPD-Kanzlerkandidaten gibt der Rückhalt aber den Glauben, "dass ich die notwendige Kraft als Mensch und die notwendige Unterstützung als Vorsitzender der Partei habe".
    Kraft dürfte Martin Schulz brauchen, um die sieglose Sozialdemokratie aus ihrem Dauer-Tief zu führen. Und zwar, ohne dass sich die diskussionsfreudigen Genossen zerfleischen. Unter denen, die dem Parteichef in Mainz applaudierend Rückhalt geben, ist Nina Klinkel. Ein seltenes Wesen in der SPD – Frau und Mitte 30. Seit anderthalb Jahren Landtagsabgeordnete, seit acht Jahren kommunalpolitisch aktiv. Auf Orts- und Kreisebene sitzt die Rheinhessin in den Führungsgremien der männlich geprägten Partei. Klinkel lässt sich von keiner Wahlschlappe irritieren. Mit Anfang 20 wurde sie Genossin, war außerdem die erste in der Familie, die studierte:
    "Ich bin Arbeiterkind. Für mich gab es nie etwas anderes als die SPD."
    Die SPD als "linke Volkspartei" erneuern
    Doch wie diejenigen zurückgewinnen, die Angst haben, ihren Miniverdienst an Flüchtlinge zu verlieren, die Hartz IV als würdelose Sackgasse unverschuldeter Arbeitslosigkeit erleben? Martin Schulz will die SPD als "linke Volkspartei" erneuern; die junge Historikerin Nina Klinkel ist dabei:
    "Ich finde das total wichtig, dass wir uns diesen Begriff links auch wieder anziehen und den nicht anderen überlassen, die das in ihrem Namen tragen. Dass wir links mit einer Internationalität verbinden, was die anderen nicht tun, meiner Auffassung nach."
    Ohne sozialdemokratische Bildungspolitik wäre aus ihr, der Arbeitertochter, keine Akademikerin geworden, glaubt die 34-Jährige. Links schaffe Chancengleichheit:
    "Ja - da gehört auch, dass wir über Hartz IV reden, dazu. Und ja - dazu gehört auch, dass wir über den Mindestlohn sprechen. Da gibt es ja verschiedene Vorstöße, von Olaf Scholz, der schon von Andrea Nahles beantwortet wurde. Aber ich glaube, das zeigt eines ganz gut: Wir debattieren darüber. Und wir haben da noch keine finale Einigung – also ich für mich hab' sie noch nicht."
    Schulz: "Instrumente werden europäisch sein müssen"
    Anfang der Woche stellte Martin Schulz den Entwurf zum Leitantrag für den Bundesparteitag vor. Unter der Überschrift "SPD erneuern": mehr Fragen als Antworten. Frage und Fazit kombiniert der Parteivorsitzende nach den anderthalb Stunden in der rheinland-pfälzischen SPD-Fraktion:
    "Wie können wir die Auswüchse eines Spekulationskapitalismus, den wir gerade in den sogenannten Paradise Papers wieder sehen – wie können wir die in den Griff kriegen? Wie können wir das zivilisieren, was sich da – wie Helmut Schmidt das mal genannt hat - als Raubtierkapitalismus geriert? Dazu braucht man Instrumente, die werden nicht national bleiben, die werden europäisch sein müssen."
    Eine weitere junge Frau im Fraktionsaal der SPD hört das gern. Jana Schneiß ist keine Abgeordnete, sondern als Referentin des SPD-geführten Wissenschaftsministeriums Gast der Fraktion. Am Abend vorher war die 25-Jährige bereits beim gut besuchten offenen Vorstandstreffen der Mainzer Jungsozialisten. Sie bauen darauf, dass sich die künftig oppositionelle SPD distanziert von dem Wirtschaftssystem, wie es sich in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Dieses sei alles andere als alternativlos, findet Schneiß:
    "Dass es quasi als Naturzustand gilt, sehen wir bei den Jusos ganz sicher nicht so. Ich habe auch das Gefühl, dass Martin Schulz das nicht so sieht. Er hat ja auch im Europaparlament schon klar gemacht, dass es nicht in Ordnung ist, dass es Unternehmen gibt, die keine Steuern zahlen, weil eben auch Unternehmen eine soziale Verantwortung haben."
    Die Hoffnung der Jusos
    Mehr Mut zur Kapitalismuskritik hatte der SPD-Vorsitzende unlängst gefordert. Die Jusos pochen schon länger darauf. Jana Schneiß erhofft sich von Martin Schulz eine neue Offenheit in der Partei, schonungslos auch über sozialdemokratische Fehler bei Hartz IV zu reden:
    "Ich glaube, dass es Sachen gibt, die wir revidieren müssen. Wir sehen einfach, dass es Menschen gibt, die zu Recht sagen, mir geht es schlechter als vorher. Das kann nicht das Ziel von sozialdemokratischer Politik sein. Wir wollen, dass es den Menschen so gut wie möglich geht. Und wenn man dann sagt, wir dürfen überhaupt nicht drüber reden, dass auch unsere Politik dazu geführt hat, dass es Leuten schlechter geht, die zu Recht enttäuscht sind, dann machen wir einen Fehler. Also, da müssen wir auf jeden Fall ran."
    Auch wenn die Angst vieler groß sei, dass die Kritik ins Grundsätzliche und Destruktive umschlagen könne.
    An diesem Abend geht es bei den Mainzer Jusos im überfüllten kleinen Neustadt-Laden aber erstmal ums Organisatorische. Anmeldung zum Bundesparteitag, günstige Anfahrt nach Berlin, darüber reden die zwei Dutzend Jung-Sozis.
    "Muss man irgendwelche Voraussetzungen erfüllen beim Bundesparteitag?"
    "Es wird eine Gäste-Anmeldung geben, denke ich."
    In der Ecke steht Pappkamerad Martin und lächelt milde auf den Nachwuchs herab. Hier setzen sie Hoffnung in ihn: Er soll unterstützen, dass die scheidende Juso-Bundesvorsitzende Johanna Uekermann in den SPD-Parteivorstand gewählt wird. Und er soll einfach wieder der Alte werden.
    "Das Authentische, was er am Anfang hatte, das hat uns mobilisiert, und das auch nicht ohne Grund. Also das war halt einfach wirklich Martin Schulz, der Europapolitiker. Und das hat halt Spaß gemacht auch."