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SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold
"Jordanien war auch jetzt schon ein Ausweichflugplatz"

Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold, sieht den Umzug der Bundeswehr-Einsatzkräfte vom türkischen Incirlik nach Jordanien rechtlich durch das bestehende Bundestagsmandat gedeckt. Jordanien sei bereits vor der Auseinandersetzung mit der Türkei Start- und Landeplatz für die Bundeswehr gewesen, sagte Arnold im Dlf.

Rainer Arnold im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 21.06.2017
    Rainer Arnold, Verteidigungspolitischer Sprecher der SPD, aufgenommen am 10.05.2017 in Berlin.
    In einem Mandat stehe nicht der Flugplatz, sondern das Einsatzgebiet, sagt Rainer Arnold, SPD (dpa - Bildfunk / Michael Kappeler )
    Dirk-Oliver Heckmann: Die USA und ihre Verbündeten, darunter Deutschland, sie helfen der syrischen Opposition auch militärisch. Russland unterstützt den syrischen Machthaber Assad. Das ist die Ausgangslage bereits seit Jahren. Doch jetzt droht, der Konflikt zu einer direkten Konfrontation zu werden. Am Wochenende schossen die Amerikaner ein syrisches Militärflugzeug ab. Moskau erklärte daraufhin alle amerikanischen und alliierten Flüge zu potenziellen Zielen. Australien setzte daraufhin alle Einsätze seiner Flugzeuge aus. - Dazu können wir jetzt begrüßen Rainer Arnold von der SPD, Obmann im Verteidigungsausschuss. Schönen guten Morgen, Herr Arnold.
    Rainer Arnold: Schönen guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Herr Arnold, nach dem Abschuss des syrischen Flugzeugs durch die USA hat das US-Militär gestern eine iranische Drohne abgeschossen. Der Iran ist für Russland Verbündeter von Assad. Und über der Ostsee hat es eine Beinahe-Kollision zwischen einem russischen und einem amerikanischen Jet gegeben. Droht die ganze Sache, jetzt langsam zu einer direkten Konfrontation zwischen den USA und Russland zu werden?
    Arnold: Ich gehe nach wie vor davon aus, dass weder Russland, noch die Vereinigten Staaten daran ein Interesse hätten. Es ist auch viel Rhetorik im Augenblick im Spiel. Aber richtig bleibt: Die Gefahren, dass es auch versehentlich, wenn die Kommunikationskanäle abgeschnitten sind, zu einer Konfrontation kommt, die sind deutlich gestiegen, und das macht uns Sorgen.
    Heckmann: Macht Ihnen Sorgen. - Australien hat bereits Konsequenzen gezogen, ich habe es gerade schon gesagt, und alle Flugeinsätze ausgesetzt. Was ist denn mit der Bundeswehr? Die fliegt ja Einsätze mit sechs Tornados, noch aus Incirlik. Sollten die nicht auch dann schnellstens am Boden bleiben?
    Arnold: Wir werden nachher im Verteidigungsausschuss darüber reden und die Regierung befragen, wie sie das Risiko bewerten. Im Augenblick ist es allerdings so, dass die deutschen Tornados vorwiegend im Irak eingesetzt werden, also gar nicht über Syrien, und die Tankflugzeuge sowieso außerhalb dieser umkämpften Gebiete tanken.
    Syrien-Konflikt zwischen Russland und den USA: "Viel Rhethorik im Spiel"
    Heckmann: Was ist denn Ihre Einschätzung? Sie sagen, dass die Tornados meistens im Irak eingesetzt werden, aber derzeit wohl offenbar auch in Syrien. Müssen die das jetzt vermeiden?
    Arnold: Ich denke, man muss da schon vorsichtig sein, insbesondere westlich des Euphrats. Da hat Russland dies ja angekündigt. Und ich möchte natürlich von den militärischen Fachleuten der Luftwaffe und des Generalinspekteurs nachher diese Risikoabwägung wissen. Klar ist: Wir können und wollen nicht das geringste Risiko eingehen und deshalb muss auch dieser Telefonkontakt zwischen dieser Allianz und den Russen wiederhergestellt werden. Da habe ich aber den Eindruck, dass sich da was tut, weil auch die Russen kein Interesse an versehentlichen Konfrontationen haben.
    Heckmann: Das heißt aber, Herr Arnold, wenn ich Sie richtig verstehe, um es noch mal ganz konkret zu machen: Wenn die Situation jetzt so ist wie sie ist, nämlich dass der Kommunikationskanal zwischen den USA und Russland nicht mehr steht und versehentliche Kollisionen beispielsweise auch möglich sind, Abschüsse, dann sind Sie der Meinung, dann ist ein Einsatz von Tornados über syrischem Gebiet nicht zu verantworten.
    Arnold: Nein, das gilt ja nicht für ganz Syrien. Das gilt für das genannte Gebiet westlich des Euphrats. Da wäre ich dann extrem vorsichtig.
    Heckmann: Was heißt extrem vorsichtig? Heißt das, es ist verantwortbar oder nicht aus Ihrer Sicht?
    Arnold: Nein. Das heißt, nur nach einer sauberen Abklärung, dass es möglich ist und dass Russland diese - das sind ja keine Flieger, die bewaffnet sind -, diese Aufklärungstornados nicht angreifen wird. Aber einfach zu sagen, jetzt schauen wir mal, ob was passiert, das wäre unverantwortlich, und ich gehe davon aus, dass solche Abklärungen auch wieder stattfinden können.
    Heckmann: Auch AWACS-Flugzeuge sind ja unterwegs, um den syrischen Luftraum zu überwachen, und da fliegt ja auch teils deutsche Besatzung mit. Sind die jetzt nicht auch potenziell Ziel der Russen möglicherweise?
    Arnold: Die AWACS-Maschinen bleiben ja weit außerhalb des syrischen Luftraumes und der Kampfgebiete. Wenn hier eine Konfrontation entstehen würde, das wäre dann eine Eskalationsstufe, an die ich gar nicht denken mag. Aber ich sage noch mal: Auch Russland hat daran letztendlich kein Interesse. Wir erinnern uns daran, dass wiederholt, vor allen Dingen nachdem die Marschflugkörper der Amerikaner den syrischen Flugplatz zerstört haben, die Russen sehr deutliche Worte gefunden haben, um verbal ihrem Verbündeten Assad beizustehen, in der Praxis dies aber keine großen Folgen hatte, sondern nach wenigen Tagen wieder der Alltag eingekehrt ist, und es ist durchaus davon auszugehen, dass es dieses Mal auch so gelingt.
    Heckmann: Militäreinsätze, das wissen wir, sind nie gefahrlos. Wie gefährlich ist der Einsatz in Syrien, beziehungsweise ist der jetzt noch gefährlicher geworden?
    Arnold: Er ist mit einem zusätzlichen Risiko behaftet. Aber es ist schon so, dass die Aufklärungsflieger gut geschützt sind, dass die AWACS-Flugzeuge den Luftraum sehr sauber überwachen können, also wissen, wer bewegt sich dort im syrischen Luftraum. Da hat man schon sehr viel getan. Deshalb würde ich sagen, es bleibt immer ein Restrisiko. Das gehört zur Ehrlichkeit. Aber es ist nicht so, dass man im Kriegsszenario, in dem in der Luft gekämpft wird, im Augenblick fliegt. Das ist dort nicht der Fall.
    Heckmann: Und was die Tornados angeht?
    Arnold: Das gilt auch für die Tornados. Die werden von AWACS geführt. Es wird vorher geprüft, wo kann man hinfliegen, was ist dort los. Es wird ständig beobachtet. Also es ist nicht so, dass die mitten im Kampfgeschehen sind. Die sind da ja auch sehr, sehr beweglich und schnell.
    Heckmann: Das heißt, das Risiko ist doch überschaubar aus Ihrer Sicht?
    Arnold: Es ist ein verantwortbares Risiko. Aber es bleibt immer ein Risiko und man sollte dies natürlich auch nicht völlig verniedlichen. Das möchte ich auch nicht tun. Das gehört zur Wirklichkeit. Sonst wären keine Kampfflieger dort. Sonst könnte man über zivile Maschinen Aufklärung betreiben.
    Neues Bundestagsmandat für Incirlik-Abzug nicht nötig
    Heckmann: Und das ist ja de facto nicht der Fall, wie wir alle wissen. - Herr Arnold, in den kommenden Wochen wird die Bundeswehr aus Incirlik abgezogen, aus dem türkischen Militärstützpunkt, und nach Jordanien verlegt. Das ist auch heute Thema im Bundestag. Es wird aber kein neues Mandat geben. Haben Sie da keine Bauchschmerzen als Parlamentarier, denn die Bedingungen, die ändern sich ja doch erheblich? Immerhin wechselt man von einem NATO-Staat zu einem Nicht-NATO-Staat.
    Arnold: Nein. Wir sind bei Mandaten natürlich sehr, sehr sensibel und auch korrekt. Und wenn wir sagen, wir brauchen kein Mandat, ist das juristisch ganz eindeutig. Wir brauchen deshalb kein Mandat, weil wir nicht den Stationierungsort mandatiert haben, sondern das Einsatzgebiet, und Stationierungsorte rings in allen benachbarten Staaten möglich sind. Jordanien war auch jetzt schon ein Ausweichflugplatz. Es war möglich, dort auch zu starten und zu landen. Insofern ist das von der Rechtsform her ganz eindeutig.
    Gleichwohl gilt: Es ist ein schwerwiegender Akt, weil es ist ja nicht ein freiwilliger Umzug, sondern dem ging eine schwierige Debatte voraus, und ich bin auch froh, dass wir im Dezember bereits darauf gedrungen haben, dass die Regierung Schubladenpläne entwickelt, die man jetzt aufgemacht hat, und das deshalb einigermaßen zügig geht. Deshalb wollen wir auch - und die wird auch heute stattfinden - eine Debatte darüber im Parlament haben. Es soll nicht am deutschen Bundestag vorbeilaufen.
    Heckmann: Aber eine Debatte ist ja was anderes als ein neues Mandat zu formulieren, was die Opposition natürlich will.
    Arnold: Wir müssen ja kein Mandat machen, wenn es mandatiert ist. Wir schreiben in ein Mandat nicht rein, wo ist der Flugplatz, sondern wir schreiben rein, wie ist das Einsatzgebiet.
    Heckmann: Aber die Bedingungen, die ändern sich doch jetzt erheblich.
    Arnold: Ich sehe nicht, warum sich die Bedingungen erheblich ändern, wenn man in einem Staat startet und landet, der bisher schon Ausweichstart- und -landepiste war, mit dem man sehr eng kooperiert, auch militärisch seit Jahren sehr eng kooperiert, und auf einem Flugplatz startet und landet, der von NATO-Partnern bisher auch genutzt wurde und wir deren Infrastruktur dort mit benutzen können. Da ändert sich rechtlich zumindest nichts, politisch ja, und deshalb diskutieren wir dies ja auch politisch, aber eben nicht juristisch im Sinne einer neuen Mandatierung.
    Heckmann: Der Wehrbeauftragte, Hans-Peter Bartels, der sieht das offenbar etwas anders. Der hat gesagt, klar sei, so gesichert wie der Stützpunkt in Incirlik wir die jordanische Basis nicht sein. Und auch der ehemalige NATO-General Egon Ramms, der hat bei uns hier im Deutschlandfunk vor einigen Tagen gesagt, der Schutz der Amerikaner, der fehle in Jordanien. Wer garantiert also für den Schutz der Bundeswehr?
    Arnold: Dieser Flugplatz ist natürlich schon geschützt. Incirlik wurde von den Türken und von den Amerikanern teilweise geschützt. Und wie ich amerikanische Camps bisher kenne - und die sind ja auch dort -, sorgen die natürlich so für den Schutz, wie die Risikoanalyse ist. Wenn das Risiko steigt, so war es auch in Incirlik, wird der Schutz erhöht. Wenn das Risiko als niedrig bewertet wird, geht auch der Schutz zurück. So wird man sich mit Sicherheit auch dort verhalten.
    Heckmann: Das heißt, die Bundeswehrsoldaten in Jordanien werden durch amerikanische Einheiten geschützt. Sehe ich das richtig?
    Arnold: Dort sind Amerikaner, die das Lager schützen, und es sind Jordanier dort, die die Piste und den Flugplatz schützen. Und zur aktuellen Stunde ist ja ein Vorauskommando bereits dort und wir erwarten heute die ersten Berichte des Vorauskommandos. Und die Frage, die Sie gerade formulieren, wird natürlich nachher im Verteidigungsausschuss auch gestellt werden. Aber wir haben bisher keinen Einsatz erlebt, bei dem deutsche Kampfflieger nicht vernünftig geschützt wurden, und deshalb bin ich sehr sicher, dass dies auch dort regelbar ist.
    Heckmann: Das ist ja auch die Aufgabe der Politiker, denke ich mal, dafür zu sorgen, dass der Schutz gewährleistet ist. Schließen Sie denn aus, dass am Ende die Deutschen selbst für diesen Schutz werden sorgen müssen, und schließen Sie aus, dass die Zahl der eingesetzten Soldaten doch noch aufgestockt werden muss deshalb?
    Arnold: Man sollte nie etwas ausschließen. Üblicherweise werden auf solchen Flugplätzen möglicherweise temporär kleine Bereiche dann durch deutsche Soldaten selbst geschützt. Das größere Areal aber nicht. Ich schließe auch aus, dass die Bundeswehr dieses gesamte Areal schützt. Ich schließe nicht aus, dass zum Beispiel die ganz wichtigen Container, in denen die Elektronik steckt, oder sonst ganz wichtige sensible Bereiche einen zusätzlichen Schutz erfahren. Das möchte ich nicht ausschließen.
    Heckmann: Der Obmann der SPD im Verteidigungsausschuss, Rainer Arnold war das. Herr Arnold, danke Ihnen für Ihre Zeit und Ihnen einen schönen Tag noch.
    Arnold: Dasselbe wünsche ich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.