Donnerstag, 28. März 2024

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SPD vor der Bundestagswahl
Mike Groschek als "Callboy"

Die historische Landtagswahl-Schlappe in NRW war ein Warnschuss für die SPD im Hinblick auf die Bundestagswahl. Schließlich hing der Erfolg der Partei immer auch an den Stimmen aus dem Ruhrgebiet. Und das soll auch wieder so werden: Dafür lässt sich NRW-Parteichef Michael Groschek als "Callboy für Tür-an-Tür-Einsätze" buchen. Eine bitter-süße Stammwählersuche.

Von Moritz Küpper | 23.08.2017
    Mike Groschek mit Markus Töns bei Bürgern in Gelsenkirchen - hier im Gespräch mit einem Mann auf einem Balkon
    Michael Groschek, genannt Mike, zieht im Wahlkampf mit Flyern und Marmelade von Haus zu Haus. (Deutschlandradio/Moritz Küpper)
    Michael Groschek steht vor der Tür eines Mehrfamilienhauses in Gelsenkirchen-Bulmke. Acht Klingelknöpfe hat er gerade kurz hintereinander gedrückt, wie schon beim Haus zuvor. Doch diesmal regt sich auch was an der Gegensprechanlage.
    "Ihre SPD mit etwas Süßem zur Bundestagswahl."
    Gespannte Stille, mehrere Sekunden Pause.
    "Ah, geht doch."
    "Guten Tag."
    "Guten Tag. Wir wollten Ihnen nur noch eine kleine Marmelade da lassen."
    "Ja, ich bin sowieso SPD-Wähler."
    "Wunderbar, schön."
    Freude, Erleichterung, Gelächter.
    "Sind die alle arbeiten, die anderen?"
    "Das weiß ich nicht."
    Es ist das erste, kleine Erfolgserlebnis auf einer Tour, die Michael Groschek, genannt Mike, rund 1,70 Meter groß, blauer Anzug, hellblaues Hemd, Schnauzer und dunkle, leicht gewellte Haare, durch acht Mehrfamilienhäuser führen wird, in einen Fahrradladen und abschließend auf den Gelsenkirchener Feierabendmarkt. In Oberhausen geboren, war er bis Mitte Mai NRW-Verkehrsminister und ist seit der Niederlage bei der NRW-Landtagswahl und Hannelore Krafts Rückzug aus politischen Spitzenämtern, neuer SPD-Parteichef an Rhein und Ruhr. In dieser Funktion läuft er jetzt durch die Treppenhäuser des Ruhrgebiets, wie eben hier in Gelsenkirchen - und trifft die alten Stammwähler, beispielsweise auf dem Weg nach draußen, am Briefkasten an der Haustür:
    "Hallo."
    "Ich bin der Mike Groschek."
    "Ja."
    "Das ist der Markus Töns."
    "Ja, wir sind noch die letzten, ne ..."
    "Jau."
    "… die die SPD immer wählen, ne."
    "Ich hoffe nicht die letzten."
    "Jo, ist doch nichts mehr …"
    "Wie kommt’s?"
    "Früher haste hier 4.000 Mann gehabt…"
    "Ja, auf dem Betrieb, nicht?"
    "Ja, auf dem Betrieb, richtig. Schalker Verein."
    "… und da war 80 Prozent SPD."
    "Ja, so war‘s."
    "Heute ist keiner mehr."
    Betretenes Schweigen, bis eine Mitarbeiterin sagt:
    "Och, der Kucincik ist doch noch da."
    "Der ist doch im Altenheim."
    "Nicht in nostalgischer Träumerei stehenbleiben"
    Auch kein Mutmacher. 15,2 Prozent, so viel wie nirgendwo sonst bei der NRW-Landtagswahl, hat beispielsweise die Alternative für Deutschland, AfD, in Gelsenkirchen bekommen. In der von Strukturwandel geprägten Region, weg von Kohle und Stahl, seit Jahrzehnten eine Hochburg der Sozialdemokratie, haben sich Zweifel breit gemacht, gärt Protest. Kümmern sich die Genossinnen und Genossen wirklich noch?
    "Ich glaube, wir dürfen jetzt nicht in der nostalgischen Träumerei der glorreichen Vergangenheit stehenbleiben. Wir müssen sehen, dass in unseren ehemaligen Hochburgen die prozentuale Zustimmung zur SPD schmilzt. Wir holen noch sehr viel Direktwahlkreise, aber mit weniger Stimmen, und wir müssen begreifen, dass die Gipfelkreuze der AfD auch in unseren Hochburgen errichtet wurden."
    Groschek läuft über den Bürgersteig der Siedlung. Er hat einen entschlossenen Schritt - und eine klare Ausdrucksweise.
    "Diese Gipfelkreuze müssen wir schleifen und wir müssen Menschen wieder davon überzeugen, dass es sich lohnt, SPD zu wählen. Mehr als in der Vergangenheit. Wir dürfen nicht diesen schleichenden Zustimmungsprozess akzeptieren. So nach dem Motto: Für zweimal reicht es noch und dann ist egal, sondern wir müssen jetzt sagen, wir wollen wieder wirkliche Hochburg werden. Wir wollen im Ruhrgebiet die 50 als Ziel haben und uns nicht auf 30 Prozent herumkrebsen lassen."
    Denn: Ein Erfolg bei der Bundestagswahl, hing für die SPD auch immer an den vielen Stimmen aus dem Ruhrgebiet. Auch deswegen entschied sich die SPD an Rhein und Ruhr gegen ein Neuanfang nach der historischen Niederlage bei der Landtagswahl - und für Groschek an der Spitze des Landesverbandes, der gleich darauf in der parteieigenen Zeitung "vorwärts" ankündigte, sich als - Zitat - "Callboy von den Ortsverbänden buchen" zu lassen:
    "Das war eine flapsige Formulierung, die deutlich macht: Die Kandidatinnen und Kandidaten, die mich im Wahlkampf brauchen, denen stehe ich zur Seite. Und die können anrufen beziehungsweise konnten anrufen. Jetzt bin ich wirklich restlos ausgebucht, jetzt könnten wir vielleicht noch über die Europawahl reden, aber nicht mehr über die Bundestagswahl."
    Markus Töns hat also Glück gehabt, er hat ihn bekommen.
    "Mike Groschek ist definitiv ein Gewinn für den Wahlkampf, weil Mike Groschek ist anzuspüren, dass er aus dem Ruhrgebiet kommt, die Menschen hier versteht und auch deren Sprache spricht."
    Knapp zwei Stunden dauert die Tour durch den ehemaligen Arbeiterstadtteil, an dessen Ende Groschek und Töns insgesamt mehr als hundert Klingelknöpfe gedrückt, Marmeladen verteilt, Flyer an Türklinken gehängt - und viele frustrierte Stammwähler getroffen haben.
    "Und, wie ist die Lage schlecht, oder?"
    "Ach, man darf sich nicht entmutigen lassen. Schalke glaubt auch an die Meisterschaft."
    "Genau, der Mike auch bei Schalke."
    "Ja, für mich ist das eine große Herausforderung als Zecke."
    Groschek hat Galgenhumor, doch dem Fan von Borussia Dortmund begegnet die Farbe Gelb nur ein paar Wohnungstüren später in der Person eines Ex-Genossen.
    "Danke, ich bin aber mittlerweile für die Gelben."
    "Warum dat denn?"
    "Ich bin von der SPD enttäuscht."
    Martin Schulz sei der falsche Kandidat, auch eine Meinung. Eine Wohnungstür darauf, wird die von Groschek angepriesene Marmelade zwar genommen ...
    "Die ist so süß, da werden Sie aus dem Lächeln nicht mehr rauskommen."
    "Mir wäre lieber, die SPD würde die 18 Prozent zurücknehmen. Mehr als die Marmelade."
    "Welche 18 Prozent?"
    "Ja. Den Rentenabzug. Nach 40 Jahre Arbeit."
    Zuversicht sieht anders aus
    Es ist wahrlich nicht leicht: Zu viele Schulstunden fallen aus, der Zustand der Straßen sei schlecht. Für Groschek, bis vor wenigen Monaten noch Verkehrsminister, keine einfache Situation. Aber: Er lässt sich nicht unterkriegen: Da müsse Geld fließen.
    "Nem nackten Bergmann kann man auch nicht in die Tasche packen. Da braucht die Stadt Geld. Ohne Moos nix los. Ne?"
    Optimismus aber, der fehlt. An eigentlich jeder Tür. Und die Umfragen?, heißt es dann auch noch. Wahlkreiskandidat Töns relativiert:
    "Ich glaube, dass muss man auch sagen: Jedem, dem man so sagt: Och, das ist schon entschieden. Dat ist noch lange nicht entschieden, entschieden ist es am 24. September um 18 Uhr."
    "Das hat man ja hier gesehen, in Nordrhein-Westfalen."
    "Ja, genau."
    "Ihre Kollegin, ich meine, die hat ja nicht mehr viel gemacht, zum Schluss, die hat gesagt: Ich werde ja sowieso wieder gewählt. Was soll ich machen? Und dann stand sie da. Jetzt geht es uns trotzdem nicht besser, aber ich mein nur… Die Sicherheit ist."
    "Die ganzen Prognosen sind alle Schall und Rauch."
    Hannelore Krafts Abwahl als Mutmacher, als eine Parallele für eine trügerische Selbstsicherheit bei der Union und der Kanzlerin?
    Mike Groschek auf dem Feierabendmarkt in Gelsenkirchen
    Auch auf dem Feierabendmarkt trifft Mike Groschek bei vielen Stammwählern auf Ratlosigkeit (Deutschlandradio/Moritz Küpper)
    Sechs Uhr, der Feierabendmarkt inmitten von Gelsenkirchen. Hier gibt es nicht nur Currywurst und Pils, sondern eher italienische Käseplatten und Weißweingläser sowie - als einzigen Info-Stand - einen gelb-pinken Auftritt der FDP.
    "Ach, guck mal, die FDP macht einen Stand hier? Das ist ja interessant."
    Töns und Groschek schieben sich daran vorbei, weiter zu einer Kaffeebude. Groschek weiß, worum es geht:
    "Wir müssen dafür sorgen, dass das wieder funktioniert. Die Menschen sind skeptisch. Die SPD ist in Teilen, Teil von 'die da oben' und wir müssen deutlich machen: Wir sind mit beiden Beinen am Boden geblieben, wir hören zu und hören hin und reden nicht über die Menschen hinweg."
    Wie eben hier auf dem Markt - auch, wenn es bitter ist:
    "Bei der Landtagswahl war schon AfD zu viel hier in Gelsenkirchen."
    "Ja, aber: SPD auch traurig, traurig."
    "Wat finden Sie denn besonders traurig?"
    "Ich verstehe es nicht. Solange ich wählen darf, habe ich nichts anderes gewählt als wie die SPD. Aber zurzeit, ich weiß nicht. Einfach. Wat soll ich jetzt sagen?"
    Ein Stückweit Ratlosigkeit. Es scheint ein Gefühl zu sein, dass - bei aller Selbstkritik - nicht nur bei den alten Stammwähler vorherrscht.