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SPD-Vorsitz
"Zweifel, ob Gabriels Kurs richtig ist"

Seit knapp fünf Jahren ist Sigmar Gabriel SPD-Vorsitzender - für den Parteienforscher Gero Neugebauer ist dies vor allem ein Beleg dafür, dass es keine geeigneten Konkurrenten gibt. Chancen auf die Kanzlerschaft habe Gabriel "im Moment überhaupt nicht", sagte Neugebauer im Deutschlandfunk.

Gero Neugebauer im Gespräch mit Peter Kapern | 13.11.2014
    Der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel hält am Montag (23.04.2012) in Kiel zu Beginn der SPD-Bundesvorstandssitzung ein Geschenk, einen Rettungsring mit dem Namen seiner neugeborenen Tochter Marie, hoch.
    SPD-Parteivorsitzender Sigmar Gabriel mit einem Geschenk eines Genossen zur Geburt seiner Tochter Marie. (picture alliance / dpa / Marcus Brandt )
    Man müsse fragen, ob die SPD sich an das moderne Arbeitsleben angepasst habe und noch relevante gesellschaftliche Gruppen repräsentiere, sagte Neugebauer. Unklar sei auch, ob Gabriel ein Konzept habe, der Partei im linken Lager ein unverwechselbares Profil zu geben - und ob er das Format mitbringe, Diskurse innerhalb der Partei anzustoßen, durch die die SPD Antworten auf Zukunftsfragen fände. Neugebauer ist skeptisch: Zwar sei Gabriels innerparteiliche Autorität gestiegen, nach außen habe er es aber nicht geschafft, ein eigenständiges Bild der SPD zu vermitteln - zu nah sei man an der CDU.
    In der Bevölkerung gebe es zudem Zweifel, ob der derzeitige wirtschaftsfreundliche Kurs der richtige sei. "Alle Parteien gehen immer weiter zur Mitte, sogar die CSU", sagte Neugebauer. "Die einzige, die es in der Wahrnehmung nicht schafft, ist die SPD." Gabriel versuche, mit seiner Partei eine Lücke zu füllen, die bereits von der CDU besetzt sei. Dadurch liege der Fokus automatisch stärker auf dem Personal als auf Inhalten - und gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel sei Gabriel als als zweiter Mann der erste Verlierer.
    Der Parteienforscher rechnet mit einer Kanzlerkandidatur Gabriels für 2017 - Chancen räumt er ihm kaum ein. "Nur Frau Merkel ist in der Lage, sich um ihre Chancen zu bringen, ein anderer nicht."

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Sagenhafte 23,5 Jahre lang war Willy Brandt Vorsitzender der SPD. So lang wie kein anderer vor ihm und erst recht so lang wie keiner nach ihm. Gemessen daran scheint die Amtszeit von Sigmar Gabriel geradezu flüchtig kurz zu sein. Andererseits: Bevor Sigmar Gabriel am 13. November 2009 in Dresden zum Parteivorsitzenden gewählt wurde, da verschlissen die Sozialdemokraten sage und schreibe vier Vorsitzende in fünf Jahren, den einen davon sogar gleich zweimal. Gemessen daran ist Sigmar Gabriel die fleischgewordene Konstanz im Chefbüro des Willy-Brandt-Hauses. Bei uns am Telefon ist der SPD-Kenner, Politikwissenschaftler und Parteienforscher Gero Neugebauer. Guten Morgen.
    Gero Neugebauer: Guten Morgen, Herr Kapern.
    Kapern: Herr Neugebauer, die Tatsache, dass Sigmar Gabriel bereits seit fünf Jahren im Amt ist, ist die eigentlich schon ein Beleg dafür, dass er ein guter, starker SPD-Vorsitzender ist?
    Neugebauer: Es ist ein Beleg dafür, dass es keine Konkurrenten gibt und dass auch die, die mal als Konkurrenten angesprochen worden sind, immer sagen, nein, mach ich nicht, weil wer heute den Vorsitz der SPD haben will, der soll ja dann auch Kanzlerkandidat 2017 sein, und das möchte nun gerne Sigmar Gabriel selbst werden.
    Kapern: Welchen Stempel hat Sigmar Gabriel in diesen fünf Jahren der SPD aufgedrückt? Wo hat er die Partei abgeholt und was hat er aus ihr gemacht?
    Neugebauer: Er hat sie abgeholt bei einer Wahlniederlage. Er hat ihr einen Weg zugesprochen, von dem manche sagen, diese Beschreibung, die Sie auch am Anfang zitiert haben, das könnte auch eine Kneipe sein, das muss nicht unbedingt das moderne Arbeitsleben sein, das nämlich ganz anders aussieht. Das heißt, da ist schon die erste Frage: Repräsentiert eigentlich die SPD noch die gesellschaftlichen Gruppen, die bei dem Wandel der Gesellschaft, bei dem Wandel der Industrie immer mehr an Bedeutung erhalten? Die zweite Frage war dann: Hat er eigentlich ein Konzept, das die Partei deutlich heraushebt, sozusagen dass sie im linken Lager die Partei ist, die als die Repräsentantin von Positionen, die auch mehr links sind, antikapitalistisch sind, wahrgenommen wird? Und hat er zuletzt auch noch das Format, das dann ausreicht, um zu sagen, ich bin in der Tat in der Lage, Diskurse anzustoßen, die dazu führen, dass die SPD Antwort findet auf Fragen, wie bestimmte Probleme der Zukunft zu bewältigen sind.
    "Die Autorität als Parteivorsitzender ist gestiegen"
    Kapern: Jetzt haben Sie drei Fragen formuliert. Wie fallen denn Ihre Antworten aus?
    Neugebauer: Die Autorität als Parteivorsitzender ist gestiegen. Dann hat er eine grottenschlechte Leistung geboten bei dem Auswahlprozess des Kandidaten. Er hat aber nach der Wahl es zumindest geschafft, sich so viel Autorität zu verschaffen, dass er jetzt akzeptiert ist. Die Frage, ob er in der Wahrnehmung der Bevölkerung die Repräsentationslücke geschlossen hat, da sage ich nein. Alle Umfragen nach den Positionen der SPD gehen immer darauf hinaus, zu sagen, die ist zu nahe an der CDU. Aber man kann natürlich umgekehrt auch sagen, die CDU ist zu nahe an der SPD, und das bringt dann ja manchmal die Frage mit sich, wozu braucht man dann eigentlich noch die SPD, wenn die CDU schon so sozialdemokratisch ist. Und last but not least: Natürlich gibt es in der Bevölkerung große Zweifel, ob der Kurs der SPD, dieser ja manchmal etwas wirtschaftsfreundliche der richtige ist. Nur die SPD hat das Problem und Gabriel auch als Person: Bei Wahlen oder bei Vorwahlen wird sie immer als zu wenig kompetent in wirtschaftlichen und finanzpolitischen Fragen beschrieben. Da muss die Person, die Kanzler werden will, sich schon solche Qualifikationen aneignen, um zumindest da auch mehr Zuspruch zu erhalten.
    Kapern: Ist das irgendwie unter einen Hut zu bringen? Wir erleben ja gerade, wie sich die Parteilinke neu organisiert, etwa weil sie nicht Abstand nehmen will von Steuererhöhungsfantasien, während Sigmar Gabriel im Moment eher das Ziel verfolgt, die SPD weiter in der Mitte zu verorten, weil er möglicherweise dem alten Lehrsatz der Politikwissenschaftler folgt, Wahlen werden in der Mitte gewonnen. Was also soll der arme Mann tun?
    Neugebauer: Die Mitte ist ein leerer Raum. Man könnte auch sagen hohl. Die muss immer neu gefüllt werden mit Themen, mit Vorschlägen. Und wenn wir die Parteienentwicklung betrachten, dann sausen alle zu der Mitte. Die CDU geht zur Mitte, selbst die CSU geht zur Mitte hin, und die einzige Partei, die sozusagen es nicht schafft, wirklich zur Mitte hinzukommen, ist in der Wahrnehmung immer noch die SPD. Das heißt, Gabriel macht einen Versuch, eine Repräsentationslücke zu besetzen, die zurzeit von der Union besetzt wird, und das ist sehr schwer, denn da kommt dann immer die Frage der persönlichen Kompetenz und der Wahrnehmung der Person, und da ist er als zweiter Mann immer auch schon der erste Verlierer, wenn der Vergleich mit Frau Merkel auftaucht.
    "Die SPD lebt dadurch, dass sie diskutiert"
    Kapern: Das heißt aber, Sie empfehlen ihm, dann tatsächlich der Parteilinken zu folgen und an Steuererhöhungsplänen festzuhalten?
    Neugebauer: Ich empfehle ihm, die Diskussion der Linken abzuwarten, zu sehen, wie weit die tatsächlich auch Bedürfnisse aus der Gesellschaft aufgreift, dort vorhandene Interessen, und wie weit das auch vereinbar ist. Wenn sich dann herausstellt, dass bestimmte Aufgaben in der Zukunft mit den gegenwärtigen Finanzmitteln nicht zu bewältigen sind, wenn mehr Gleichheit geschaffen werden soll, dass man dann auch über Steuerpolitik das erreicht, dann sollte er abwägen, ob er das kann oder nicht kann. Die SPD lebt dadurch, dass sie diskutiert. Diskutiert sie nicht, ist sie tot und dann ist sie auch nicht interessant. Dann muss man sich auch nicht wundern, wenn sie nicht mehr Zuspruch kriegt.
    Kapern: Sie haben eingangs gesagt, dass Sie es offenbar für selbstverständlich halten, dass Sigmar Gabriel nach der Kanzlerkandidatur bei der nächsten Bundestagswahl greift. Hat er Chancen gegen Angela Merkel?
    Neugebauer: Oh, die 50.000 Euro plus Frage. - Nein, im Moment überhaupt nicht. Nur Frau Merkel selbst ist in der Lage, sich um ihre Chancen zu bringen, ein anderer nicht.
    Kapern: Gero Neugebauer, Politikwissenschaftler und Parteienforscher, zum fünfjährigen Dienstjubiläum von Sigmar Gabriel an der Spitze der SPD. Herr Neugebauer, danke, dass Sie heute Morgen Zeit für uns hatten.
    Neugebauer: Bitte, Herr Kapern.
    Kapern: Auf Wiederhören!
    Neugebauer: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.