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SPD zur Großen Koalition
"Standpunkte sind nicht dazu da, um darauf stehen zu bleiben"

Die SPD hat ihr Nein zur Großen Koalition mehrfach bekräftigt - auch nach dem Scheitern der Jamaika-Gespräche. Wenn nun der Bundespräsident alle Parteien nochmal zum Dialog auffordere, müssten sich aber auch die Sozialdemokraten bewegen, sagte SPD-Politiker Johannes Kahrs im Dlf.

Johannes Kahrs im Gespräch mit Martin Zagatta | 22.11.2017
    Johannes Kahrs, Sprecher des Seeheimer Kreises in der SPD, spricht am 25.09.2013 im Reichstag in Berlin nach einer Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion mit Journalisten.
    Neuer Dialog? "Der Bundespräsident hat ihn gefordert und jetzt müssen wir alle mal ein bisschen vernünftig sein", sagte Johannes Kahrs, Sprecher des Seeheimer Kreises in der SPD im Dlf (dpa / picture alliance / Maurizio Gambarini)
    Martin Zagatta: Sind Neuwahlen vielleicht doch noch zu vermeiden? Zeigt der Appell von Frank-Walter Steinmeier, der von den Parteien Gesprächsbereitschaft fordert, doch noch Wirkung? Den CSU-Chef Horst Seehofer muss der Bundespräsident davon nicht überzeugen, wenn er ihn heute empfängt. Aber die Sozialdemokraten, die bisher Nein sagen zu einer neuen Großen Koalition, die bringt Steinmeier ganz offenbar nun doch in Erklärungsnöte.
    Wir sind jetzt mit dem SPD-Politiker Johannes Kahrs verbunden, Sprecher des Seeheimer Kreises, des eher konservativen Arbeitskreises von SPD-Abgeordneten. Hallo, Herr Kahrs!
    Johannes Kahrs: Moin, Herr Zagatta!
    Zagatta: Herr Kahrs, auf wen hört die SPD denn jetzt, auf den Bundespräsidenten oder auf Parteichef Martin Schulz?
    Kahrs: Das ist doch kein Unterschied. Wir haben einfach eine andere Lage. Wir haben um 18:05 Uhr am Wahlabend gesagt, dass wir keine Große Koalition wollen, weil Jamaika überall bejubelt worden ist und jeder Jamaika wollte. Dann haben wir acht Wochen diesen quälenden Prozess gehabt, der mit der Pleite aller beteiligten Parteien endete.
    Und jetzt ist es so, dass wir direkt danach gesagt haben, immer noch keine GroKo. Dann hat der Bundespräsident gesprochen und jetzt muss man mit dem umgehen, was der Bundespräsident gesagt hat.
    "Wichtig ist, dass man sich jetzt bewegt"
    Zagatta: Aber es gab ja diesen Vorstandsbeschluss, in dem wohl drinsteht, die SPD steht für den Eintritt in eine Große Koalition nicht zur Verfügung. Der ist wohl vom Montag. Welchen Sinn machen dann noch Gespräche darüber?
    Kahrs: Sie können nicht, wenn der Bundespräsident – und das hat ja auch eine gewisse Autorität des Amtes; abgesehen davon ist er ein feiner Kerl -, wenn der jetzt sagt, ihr müsst noch mal miteinander reden, bevor es zu Neuwahlen kommt, dann, finde ich, muss man das tun. Und dann muss auch die SPD sich bewegen. Da kann nicht jeder einfach auf seinem Standpunkt stehen bleiben, nur weil er so heißt.
    Dann ist es so, dass alle Parteien noch mal miteinander reden müssen. Da kann es dann in Tolerierungsgespräche gehen, es kann in Neuwahlen, in Jamaika, in GroKo enden. Das weiß ich alles nicht. Aber wichtig ist, dass man sich jetzt bewegt und dass jeder auch über Inhalte redet, und zwar die Inhalte, für die er gewählt worden ist, und das sind bei uns nun mal Rente mit 63 nach 45 Jahren abschlagsfrei, das ist die Bürgerversicherung zum Beispiel.
    Zagatta: Da habe ich Sie jetzt richtig verstanden? Sie sagen, das kann auch in GroKo noch enden? Das ist nicht ausgeschlossen, das ist jetzt durchaus noch im Bereich des Möglichen?
    Kahrs: Wir sind in einem Prozess, wo die SPD und alle anderen Parteien sich bewegen müssen. Man kann ja nicht einfach auf seinem Standpunkt stehen bleiben. Ich glaube, gerade in einer Demokratie ist das jetzt ein sehr spannender Moment, wo alle Parteien da sind und noch mal nachdenken müssen. Dafür haben wir einen Bundespräsidenten, dafür haben wir eine Verfassung, und ich glaube, dass es auch eine gewisse Verantwortung gibt, und zwar der Parteien, der SPD wie der CDU wie den Grünen wie der FDP.
    Zagatta: Was müsste denn passieren, dass Sie da noch so umdenken, dass Sie tatsächlich noch in eine Große Koalition einsteigen?
    Kahrs: Ehrlicherweise bin ich noch nicht so weit. Im Moment bin ich so weit, dass man in der Partei sich überlegen muss, was die Punkte sind, die für uns wichtig sind, was es für Möglichkeiten gibt, und das ist ein Prozess. Ich persönlich würde jetzt nicht gleich in eine GroKo gehen. Ich will jetzt nicht gleich in eine Sondierung mit weiß ich was, irgendeiner Tolerierungsnummer gehen und auch nicht gleich in eine Neuwahl, sondern ich glaube, jede Partei muss erst mal sagen, was ist für sie wichtig. Dann muss man die Optionen durchführen, und das ist ein Prozess, wo man nicht gleich mit einem Ergebnis anfängt.
    Das ist ja auch der Fehler bei Jamaika gewesen, dass die überhaupt nicht zu Potte gekommen sind, sondern man muss, finde ich, an Inhalten operierend diskutieren, und das ist jetzt so. Deswegen finde ich es nicht gut, dass man anfängt mit einem Blame Game, oder dass einige mit großem Bullshit-Bingo um die Kurve kommen und sagen, der hat schuld oder der hat schuld oder der hat doch gestern gesagt. Es geht um einen Prozess! Es gibt viele, die dort beteiligt sind. Der Bundespräsident hat ihn gefordert und jetzt müssen wir alle mal ein bisschen vernünftig sein.
    "Wichtig ist, dass die Parteien sich jetzt nicht verschanzen"
    Zagatta: Und das ist auch ein Prozess, wo es dann voreilig war, dass der SPD-Vorstand ausgeschlossen hat, eine Große Koalition noch mal einzugehen?
    Kahrs: Der SPD-Vorstand war noch unter dem Eindruck des Scheiterns von Jamaika und all dieser lustigen Forderungen, die dann gekommen sind, dass wir dann auf einmal wieder den Notnagel spielen müssen. Und ehrlicherweise: Ich kann das sehr gut verstehen.
    Auf der anderen Seite: Nachdem der Bundespräsident mit sehr klaren, sehr deutlichen Hauptsätzen sich an die Bevölkerung und die Parteien gewandt hat, ist es jetzt die Pflicht und Schuldigkeit eines jeden Demokraten, dem zu folgen und natürlich diese Diskussion aufzunehmen. Alles andere wäre für mich undenkbar.
    Zagatta: Wie groß ist denn der Druck von SPD-Abgeordneten? Da hören wir, viele erleben in ihren Wahlkreisen, dass da großes Unverständnis herrsche über die Position der SPD, eine Große Koalition auszuschließen, dass viele das nicht nachvollziehen können und dass viele jetzt sagen, verhandelt doch mal. Hat dieser Druck da etwas bewirkt? Wie ist es am Montagabend zugegangen? Sie waren ja dabei.
    Kahrs: Es ist viel diskutiert worden, insbesondere in der Fraktion. Wir haben da fast 50 Wortmeldungen gehabt und viele haben berichtet, wie es in ihren Wahlkreisen aussieht, an der Parteibasis, in der Bevölkerung. Wir werden hier alle mit Mails und Briefen und Anrufen überschwemmt und Ansagen.
    Ich glaube, dass in der Bevölkerung auch ein Umdenkungsprozess ankommt. Wenn Sie sich mal vom Wahlabend bis heute die Umfragen angucken, die Meinungsvorlieben für das eine oder andere Bündnis, was da passiert ist, in der Bevölkerung ist da genauso viel los. Wichtig ist, dass die Parteien sich jetzt nicht verschanzen, sondern dass sie offen diskutieren, dass die Bevölkerung mitgenommen wird, damit man auch beurteilen kann, warum eine Partei so ist oder so. Das fand ich ja unerträglich, dass jetzt alle Menschen über diese Jamaika-Nummer unterschiedliche Dinge erzählen, und man kann jetzt dem Lindner glauben oder der Merkel oder dem Trittin. Aber man muss doch auch so diskutieren, dass die Menschen das nachvollziehen können. Sonst fühlen sie sich doch vergackeiert. Die haben jetzt gewählt und sie erwarten, dass die Parteien respektvoll mit dem Ergebnis umgehen.
    Zagatta: Das sagen Sie jetzt. – Kann man denn Martin Schulz noch glauben, wenn der solche Behauptungen aufstellt, mit uns auf keinen Fall, und jetzt das doch alles zurücknehmen muss?
    Kahrs: Natürlich kann man ihm glauben. Martin Schulz hat um 18:05 Uhr nach der Wahl eine klare Ansage gemacht, die wir als SPD zu 100 Prozent geteilt haben. Ich habe da keine andere Stimme gehört.
    "Wir sind in einem Prozess"
    Zagatta: Am Montag aber wohl auch noch.
    Kahrs: Da waren Sie unter dem Eindruck des Ergebnisses, was da am Wochenende passiert ist. Und ehrlicherweise: Da hat keiner mit gerechnet. Wenn ich mir in der Woche vorher noch diese ganzen Jubelartikel anhöre und die Kommentare, wo alle gejubelt haben über dieses Bündnis der Besserverdienenden, dann von eins auf null umzuschalten, da hat die SPD erst mal gesagt, das ist unser Standpunkt, das war er am Anfang, das ist er jetzt.
    Aber wie gesagt: Standpunkte sind nicht dazu da, um darauf stehen zu bleiben. Der Bundespräsident hat eine Ansage gemacht. Der Bundespräsident ist mit einer gewissen Autorität auch des Grundgesetzes ausgestattet. Gegen den geht im Moment fast gar nichts. Deswegen ist es richtig und vernünftig und demokratisch, dass man dem folgt. Man muss das offen und transparent machen. Deswegen bin ich froh, dass wir in so interessanten Zeiten leben, wo sich so viel bewegt, und deswegen würde ich es falsch finden, irgendjemandem jetzt eine Schuld zu geben oder ihn in eine Ecke zu schieben, sondern es ist jetzt gerade wichtig, dass wir miteinander reden, und zwar über Inhalte für die Menschen, die entweder uns oder die FDP oder die CDU gewählt haben.
    Zagatta: FDP und Union, die haben es ja nicht so recht hinbekommen. Die haben es ja lange probiert. Wenn Ihnen jetzt die Union entsprechend entgegenkommt und sagt, SPD, die Forderung übernehmen wir, damit können wir leben und so weiter, dann habe ich Sie recht verstanden, dann ist eine Große Koalition jetzt durchaus wieder greifbar?
    Kahrs: Die Reduzierung meiner Aussagen ist immer erstaunlich.
    Zagatta: So habe ich Sie verstanden!
    Kahrs: Ich habe gesagt, wir sind jetzt in einem Prozess, und in diesem Prozess, habe ich auch gesagt, heißt das nicht, dass wir gleich in eine GroKo hüpfen oder in die Neuwahl oder in eine Tolerierung von irgendwem, sondern dass wir jetzt mit allen Beteiligten Gespräche führen, und im Moment ist halt alles offen. Das ist das, was der Bundespräsident von uns verlangt, dass wir mit allen sprechen. Meine Bitte und meine Aufforderung – und ich hoffe, dass wir das in der SPD so halten – ist, dass wir über die Inhalte reden, die uns wichtig sind, und dass wir dann mit allen Beteiligten über Inhalte reden. Das können nachher Ergebnisse sein in allen möglichen Varianten. Aber wenn man das gleich verkürzt, dann ist das genau das, was Leute nervt und frustriert. Ich finde, man sollte dem Bundespräsidenten auf diesem Weg folgen, den er aufgezeigt hat.
    "Schulz wird mit einem sehr guten Ergebnis auf diesem Parteitag gewählt"
    Zagatta: Jetzt habe ich Sie so verstanden, Sie sind für alles offen. – Wann wird denn das entschieden? Auf dem SPD-Parteitag, oder wie müssen wir uns das jetzt vorstellen?
    Kahrs: Ehrlicherweise: Ich wusste nicht vor vier Tagen, wo ich heute stehe. Ich wusste vor zwei Wochen nicht, wo ich heute stehe. Das ist einfach ein Prozess. Da kann Ihnen niemand eine belastbare Aussage geben in der Union, in der FDP oder auch in der SPD, wie sich das entwickelt. Wichtig ist, dass wir einen inhaltlichen Prozess haben, dass der begleitet wird und dass der offen nachvollziehbar ist. Der Bundespräsident moderiert einen Großteil davon zurzeit und deswegen wäre es auch unschicklich, dem vorzugreifen.
    Zagatta: Spannende Zeiten, alles schwer einzuschätzen. Kann man denn, wenn jetzt alles noch so offen ist, wenn es auch möglicherweise demnächst Neuwahlen gibt, da weitermachen mit Martin Schulz an der Spitze, der ja eigentlich dieses Verlierer-Image hat? Mit dem können Sie doch gar nicht in Neuwahlen gehen. Muss da was passieren jetzt?
    Kahrs: Ehrlicherweise haben wir einen Parteitag. Da wird der Parteivorsitzende gewählt. Ich finde, Martin Schulz macht das als Parteivorsitzender gut. Der führt die Partei zusammen, der macht jetzt die Parteierneuerung. Das ist eine gute Geschichte. Meine Prognose ist, er wird mit einem sehr guten Ergebnis auf diesem Parteitag gewählt.
    Zagatta: Dann belassen wir es dabei. – Herr Kahrs, ich bedanke mich für dieses Gespräch und für die Offenheit, die Sie uns da mitgeteilt haben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.