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"Sperrzone Japan"

Zum ersten Jahrestag der Atomkatastrophe von Japan fragt das Deutsche Theater Berlin nach den Folgen von Fukushima - und denkt mit den Mitteln des Theaters über Atomkraft nach.

Von Hartmut Krug | 05.03.2012
    Viele Theater verstehen sich heute als Institutionen für öffentliche Diskurse und profilieren sich in unserer medial schnelllebigen Gesellschaft als Orte des Innehaltens und Nachdenkens. Täglich gibt es neue Ereignisse in der Welt, die die Atomkatastrophe in Fukushima aus dem Fokus der Medien und Menschen gerückt haben. Mit einem Themenabend kurz vor dem ersten Jahrestag dieser Katastrophe unter dem Titel "Sperrzone Japan" versuchte das Deutsche Theater, sich nicht nur mit der aktuellen Situation in und den Folgen von Fukushima für die Menschen auseinander zu setzen, sondern grundsätzlicher über Atomkraft nachzudenken. Es gab persönliche Berichte der in Deutschland lebenden japanischen Schauspielerin Sachiko Hara und des Jungdramatikers Nis-Momme Stockmann, die nach dem Unglück privat oder mit dem Goethe-Institut nach Japan gereist waren, und es gab Vorträge. Zur Atomkraft, zum Reaktorunglück und zum Theater.

    Der mehr als fünfstündige Abend begann mit dem Theaterwissenschaftler Hans-Thies Lehmann, der betonte, Theaterkunst in Japan müsse nach 3/11, wie das Fukushima-Unglück nach seinem Datum genannt werde, andere Formen und neue Antworten finden. Ein Gemeinplatz, dem ein leeres Begriffsgewitter mit Schlagworten wie Theater als Erforschung des Lebens, Theater des Alltäglichen, Theater mit eigenen Formen und politischen Stellungnahmen folgte. Immerhin von einem konkreten Beispiel therapeutischen Theaters wusste Lehmann zu berichten: vom Trauma-Truck des neu gegründeten Künstlernetzwerks Art Revival Connection Tohoku, der durch das Land fährt und auf seiner Ladefläche Theater präsentiert.

    Anschließend berichtete Jürgen Schmid Informatives zu den Gefahren der Atomenergie, auch am Beispiel Fukushima. Der Ingenieur, der sich von der beruflichen Beschäftigung mit Urananreicherung zum Fürsprecher regenerativer Energie gewandelt hat und heute Leiter des Fraunhofer Instituts für Windenergie ist, verlor aber viel an Überzeugungskraft, weil er sich als undifferenziert wachstumsorientierter Märchenonkel zeigte, der nicht das kleinste Problem für die regenerative Energiewirtschaft zuließ.

    Für Hisashi Inoues Stück "Little Boy – Big Taifoon" aus dem Jahr 2008 hatte Bühnenbildnerin Juliane Grebe auf der Hinterbühne der Kammerspiele eine Schubladenwand errichtet, auf der zuerst Daten zur Atomkraft verzeichnet waren – von der Entdeckung des Urans 1789 durch den Berliner Chemiker Martin Heinrich Klaproth über Hiroshima und Tschernobyl bis zu Fukushima am 11. März 2011.

    In und vor dieser Schubladenwand agierten nun auf leerer Bühne die Schauspieler Gabriele Heinz, Christoph Förster und Matthias Neukirch als drei verstrahlte Jungen, die unmittelbar nach dem Atombombenabwurf durch das verwüstete Hiroshima irren. Gezeigt wird kein Betroffenheitsspiel, obwohl der Abwurf selbst wie auch all seine schrecklichen Folgen zur Sprache kommen, aber mehr als Tatsachen-, denn als emotionalisierende Schock- und Schreckberichte.

    Das Stück springt zeitlich hin und her, montiert eine Befragung Oppenheimers über seine Rolle bei der Entscheidung zum Bombenabwurf ebenso ein wie Diskussionen auf amerikanischer Regierungsebene. Ein Veteranentreff der Bomberbesatzung wirkt wie eine böse kabarettistische Nummer. Merkwürdig, wie selbstverständlich man all die beschriebenen grauenhaften Folgen des Abwurfs zur Kenntnis nimmt. Regisseur Marvin Simon findet eine Spielebene, die ohne tremolierende Emotionalisierung auskommt und uns deshalb umso näher geht.

    Was anschließend Chiaki Soma, Programmdirektorin des größten zeitgenössischen japanischen Theaterfestivals in Tokio, und Regisseur Akira Takayama vortragen, ist geprägt von der Überzeugung, dass in Stücken zu Fukushima die Erfahrungen und Gefühle der Menschen selbst Eingang finden müssen. Ob im Projekt "Kette der Kirschbäume", bei dem 17.000 Bäume entlang einer 173 Kilometer langen Flutlinie des Tsunami gepflanzt werden, oder in Takayamas mobiler Videoinstallation "Referendum", in der die Menschen selbst befragt werden: wichtig scheinen derzeit in Japan die Theaterprojekte, in denen die Zuschauer nicht passive Beobachter bleiben können.