Dienstag, 16. April 2024

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Spezielle deutsche Philosophie zum Tempolimit

Der Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Michael Müller (SPD), hält die Kritik des griechischen EU-Umweltkommissar Stavros Dimas am fehlenden Tempolimit auf deutschen Autobahnen für doppelbödig. Die EU habe schon oft eine einheitliche europäische Regelung versprochen. In der Vergangenheit habe sie es aber versäumt, ökologische Ziele mit dem Nachdruck zu vertreten, "mit dem sie das eigentlich tun sollte", sagte Müller im Interview.

12.03.2007
    Dirk Müller, Deutschlandfunk: "Ich halte den Ausstieg aus der Kernenergie für völlig falsch", sagt Edmund Stoiber. Für viele wohl nicht all zu überraschend, aber diejenigen, die schon immer für Atomenergie waren, erleben so etwas wie eine Renaissance, denn dass die Franzosen beispielsweise deutlich weniger CO2 ausstoßen als die Deutschen, liegt ausschließlich am hohen Anteil der Kernenergie. Ausschließlich? Nicht ganz, denn in Frankreich gibt es auch ein Tempolimit. Auch das schont die Umwelt. Geschwindigkeitsbegrenzung, das ist nun auch die klare definitive Forderung aus Brüssel. Der deutsche Autofahrer soll demnach künftig spätestens bei 130 auf die Bremse drücken. Am Telefon ist nun Michael Müller, Staatssekretär im Umweltministerium, SPD. Guten Morgen!

    Michael Müller: Guten Morgen!

    Deutschlandfunk: Herr Müller, fahren Sie lieber 180?

    Müller: Nee, eigentlich fahre ich immer, wenn es geht, viel Fahrrad, viel Zug, und manchmal fährt man schnell, das ist zugegeben, aber in der Regel ist es nicht mehr.

    Deutschlandfunk: Ist denn so hohe Geschwindigkeit genauso wie das Rauchen wichtig in Deutschland?

    Müller: Nein, das nicht, aber ich finde trotzdem die Kritik von Herrn Dimas ein bisschen doppelbödig, weil die EU hat nun auch schon so oft angekündigt, sie wollte eine einheitliche europäische Regelung, das kenne ich jetzt schon seit 15 Jahren, dass ich mich schon frage, warum Herr Dimas, was ja nun legitim ist, natürlich die Bundesrepublik kritisiert, aber warum dann die EU auch nicht selbst mal aktiv geworden ist.

    Deutschlandfunk: Herr Müller, wir hatten hier in der Redaktion Schwierigkeiten auf die Frage hin, diese zu beantworten, wo gibt es denn in Europa kein Tempolimit außer in Deutschland? Warum tun wir uns so schwer?

    Müller: Ja, das ist natürlich ein psychologisches Problem, besonders in Deutschland. Ich meine, das hat was mit einer speziellen Philosophie der Deutschen gegenüber dem Auto zu tun. Ich finde allerdings auch, es ist ein Zeichen von Unglaubwürdigkeit in der Frage des Umweltschutzes, da gibt es gar keine Debatte drüber, dass das zum Teil eben auch manche Aktivitäten, die wir in Deutschland auf dem Gebiet des Umweltschutzes haben, konterkariert.

    Deutschlandfunk: Sind Sie, Herr Müller, für Tempo 130?

    Müller: Ich habe mich immer für diese Forderung eingesetzt, und zwar schon seit Anfang der achtziger Jahre.

    Deutschlandfunk: Und Ihr Minister?

    Müller: Er hat ja vor kurzem erst erklärt, dass er diese Ziele vor allem aus Verkehrssicherheitsgründen für richtig hält. Unter ökologischen Gesichtspunkten kann man sagen, dass die Wirkungen vergleichsweise gering sind, aber trotzdem, auch unter ökologischen Gesichtspunkten sind sie sicher gegeben.

    Deutschlandfunk: Also kommt bald aus Ihrem Ministerium eine Gesetzesvorlage dazu?

    Müller: Wir sind dafür leider nicht zuständig.

    Deutschlandfunk: Sondern?

    Müller: Das ist Verkehrsministerium und Justizministerium, also die Bundesregierung insgesamt.

    Deutschlandfunk: Es gibt ja manchmal Gesetze, die kommen sogar aus der Initiative des Bundestages zustande. Tut sich da irgendwas in der SPD-Fraktion?

    Müller: Es gibt eine Menge Leute in der SPD-Bundestagsfraktion, die sich dafür einsetzen, aber sie müssen natürlich insgesamt dann aktiv werden. Und wir haben das zweite Problem, wir können nur eine Initiative machen, wenn beide Koalitionspartner damit einverstanden sind.

    Deutschlandfunk: Und ein CDU-Politiker ist grundsätzlich für höheres Tempo?

    Müller: Nein, grundsätzlich nicht. Es gibt auch da andere Stimmen, beispielsweise der Kollege Göppel ist da auch anderer Meinung, aber die Mehrheit sieht wohl anders aus bisher.

    Deutschlandfunk: Sie kennen viele Kollegen ja viel besser als wir. Warum kann man für eine ungezügelte Regelung sein?

    Müller: Ich glaube, das hat etwas mit einer Philosophie der Rücksichtnahme auf Automobilinteressen zu tun, wenn man sagt, die deutsche Automobilindustrie ist im Vergleich zu anderen teuer, aber weil das so ist, muss man eben ein paar andere Merkmale haben, und eins der Merkmale ist dann sozusagen die Fähigkeit, in Deutschland anders fahren zu können. Ich halte das für ein psychologisches Problem, nicht unbedingt für ein reales.

    Deutschlandfunk: Es gibt ja schließlich auch Länder, da werden auch BMWs, Porsches und Mercedes' verkauft, ohne dass man dort uneingeschränkt fahren kann.

    Müller: Aber nicht gebaut, das ist der Punkt. Aber wie gesagt, Sie brauchen mich nicht zu überzeugen, ich erlebe das schon seit über 20 Jahren, dass da man da mit Aktivitäten immer wieder in Grenzen gerät.

    Deutschlandfunk: Dann wollen wir Sie nicht überzeugen. Die Frage an Sie: Wie wollen Sie die anderen überzeugen?

    Müller: Ich glaube, dass aus der Sache heraus die Überzeugung gegeben ist. Wir sind generell in einer Welt, in der man lernen muss, ja Verantwortung auch durch Selbstbeschränkung zu erreichen. Aber das ist eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt.

    Deutschlandfunk: Also können Sie doch im Grunde dankbar sein für die Initiative jetzt des europäischen Kommissars Dimas?

    Müller: Es wäre schön, wie gesagt, wenn Herr Dimas insgesamt auch eine glaubwürdige EU in dieser Frage vertreten kann. Aber ich kenne auch viele in der EU, die nicht so denken wie Herr Dimas, und das erfährt man oft genug. Aber ich glaube einfach, dass die Klimafrage ein so gewichtiger Anlass ist, dass man zumindest intensiver darüber reden muss und hoffentlich auch Initiativen ergreift.

    Deutschlandfunk: Herr Müller, ich habe das nicht ganz verstanden, frage da noch einmal nach: Wer ist nicht glaubwürdig, Dimas oder die EU?

    Müller: Die EU in manchen Punkten der europäischen Politik. Leider hat sie auch in der Vergangenheit nicht mit dem Nachdruck ökologische Ziele vertreten, mit dem sie das eigentlich tun sollte, denn das muss man schon sagen, die Europäische Union hat große Chancen, wenn sie die ökologische Karte zieht. Das ist aus meiner Sicht die große Chance der Europäischen Union, innerhalb der Globalisierung eine starke Rolle zu spielen, und in der Vergangenheit ist das nun nicht so häufig gewesen. Ich will das aber jetzt gar nicht weiter für die Vergangenheit nur sehen. Ich hoffe, dass die Debatte der letzten Zeit, vor allem auch der Beschluss jetzt des Europäischen Rates dazu führt, dass Europa sehr viel intensiver die ökologische Frage behandelt und auch umsetzt vor allem.

    Deutschlandfunk: Um das jetzt, Herr Müller, hier abschließend zu diesem Themenkomplex noch einmal festzuhalten: Es wird also in Deutschland in den nächsten Monaten und Jahren kein Tempolimit geben?

    Müller: Das weiß ich nicht. Ich kann das nicht sagen. Ich kann nur sagen, dass wir jetzt die Diskussion wieder aufrollen und dass wir in der Vergangenheit leider mit Initiativen oft an anderen Mehrheiten gescheitert sind beziehungsweise dass die Ankündigung der Europäischen Union, ein Tempolimit zu machen, nie konkretisiert wurde.

    Deutschlandfunk: Renaissance der Atomkraft, ein anderes Thema. Das war in diesen Wochen auch in den Zeitungen, in den Kommentarspalten immer häufiger zu lesen. Befürchten Sie als SPD-Politiker, der immer dagegen war, der für dieses Ausstiegsszenario eingetreten ist, dass es diese Renaissance tatsächlich auch in der politischen Praxis geben wird?

    Müller: Das ist auch wieder ein Punkt, den ich sehr bedaure, dass man den Klimaschutz im Kern instrumentalisiert für, ja, ideologische Gründe beziehungsweise für handfeste Wirtschaftsinteressen, denn das längere Laufen von Atomkraftwerken hat wenig mit Klimaschutz, aber sehr viel mit dem Verdienst an abgeschriebenen Kraftwerken zu tun, denn, anders als manche behaupten, haben wir nun in der Tat sehr intensiv diese Frage untersucht, ob die Atomenergie das Klimaproblem lösen kann, und beispielsweise die Enquete-Kommission des Bundestages, die sich mit diesen Fragen intensiv beschäftigt hat, ist einstimmig. Obwohl die Mehrheit anders war damals und obwohl der Kommission auch viele Befürworter der Atomenergie angehört haben, das Ergebnis war einstimmig: Nein, sie kann es nicht.

    Deutschlandfunk: Jetzt haben die Franzosen aber bei der CO2-Bilanz ja bessere Karten, weil sie mehr Atomkraft haben.

    Müller: Sie haben bessere Karten, weil sie in einer gewissen Weise sich mit ihrer Interessenpolitik durchgesetzt haben. Die Struktur Frankreichs ist nicht so, dass man das sagen kann, dafür ist der Anteil der Stromversorgung an der gesamten Belastung für CO2 viel zu gering. Aber das ist an einem anderen Beispiel noch deutlicher zu machen: Als wir jetzt in Frankreich waren, um mit denen über eine gemeinsame Initiative für mehr Effizienz und für mehr erneuerbare Energien, also den beiden unbestritten wichtigsten Maßnahmen zum Schutz des Klimas geredet haben, haben sie uns auch eindeutig gesagt, sie brauchen das nicht, denn die hätten ja schließlich Atomenergie, das heißt, die wenden sich den Zukunftsfragen gar nicht so zu.

    Deutschlandfunk: Der SPD-Politiker Michael Müller war das, Staatssekretär im Bundesumweltministerium. Vielen Dank für das Gespräch.