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Spiel mit den Schmuddelkindern

Außerhalb der Schweiz wurde Charles Lewinsky mit seiner jüdischen Familiensaga "Melnitz" und dem Theaterstück "Ein ganz gewöhnlicher Jude" bekannt. Früher war der Autor im Bereich der Unterhaltung erfolgreich, er schrieb die beliebteste Soap des Schweizer Fernsehens, aber mit "Melnitz", seinem Roman "Johannistag" und dem Erzählband "Zehnundeine Nacht" hat er sich in den ernsthaften Literaturhimmel hineingeschrieben. Jetzt ist von Charles Lewinsky ein politischer Zeitroman erschienen.

Von Eva Pfister | 16.12.2009
    "Doppelpass" prangert die Doppelmoral im Umgang mit Ausländern an und passt zur aktuellen Situation in der Schweiz, in der fremdenfeindliche Strömungen an Gewicht gewinnen, wie die Volksabstimmung gegen den Bau von Minaretten gezeigt hat. Pikanterweise ist "Doppelpass" zunächst als Fortsetzungsroman ausgerechnet in der rechtskonservativen Zeitung "Die Weltwoche" erschienen. Eva Pfister traf Charles Lewinsky in Zürich und fragte ihn, was ihn denn daran gereizt hat, einen Zeitungsroman zu schreiben.

    "Ich probiere gern Formen aus, und der Fortsetzungsroman ist ja eine alte literarische Form, der in der letzten Zeit etwas ausgestorben ist, aber man hat doch große Vorbilder bis zu so ehrwürdigen Namen wie Dickens. Es ist eine reizvolle Aufgabe, erstens jede Woche zu schreiben und trotzdem einen gesamten Handlungsbogen hinzubekommen, und es ist auch reizvoll, Aktualitäten, Dinge, die in dieser Woche passiert sind, einzubauen."

    "Doppelpass" liegt jetzt als Buch vor und lässt sich gut auch in einem Zug lesen. Charles Lewinsky hat einen Zeitroman im besten traditionellen Sinn geschrieben mit kräftig gezeichneten Figuren in Schwarz-Weiß, die psychologisch nicht allzu tief gründen, aber ein treffendes Gesellschaftspanorama ergeben. Der Roman handelt von einem afrikanischen Fußballer, Lieblingskind des rechtsnationalen Politikers Eidenbenz, der auch Präsident eines wichtigen Fußballklubs ist. Tom Keita schießt Tore, darum stehen ihm alle Türen offen, die Society hätschelt ihn ebenso wie das Fernsehen, und der Schweizer Pass ist nur noch eine Formalität. Da kommt Besuch aus Toms Heimat Guinea. Ein entfernter Cousin - auch er heißt Keita - ist illegal in die Schweiz gelangt. Tom möchte ihn aufnehmen, aber seine Verlobte, eine Beinahe-Miss-Swiss, sorgt dafür, dass er in der Klandestinität verschwindet.

    Charles Lewinsky hat den Umgang mit asylsuchenden Ausländern in der Schweiz genau recherchiert. Besonders eindrücklich ist seine Schilderung einer sogenannten Empfangsstelle für Asylbewerber, ein Haus mit Warteräumen, Schlafsälen und Büros, in denen die Gesuchssteller innerhalb von 48 Stunden ihren Bescheid bekommen, im schlimmsten Fall eben einen "Nichteintretensbescheid". Diese Folge liest sich, als wäre Lewinsky bei einer Gesuchsstellung dabei gewesen.

    "Nein, ich bin da nicht hingefahren, da haben mir die Beschreibungen gereicht. Es gibt da so kleine Details, die ich furchtbar interessant finde, zum Beispiel, dass die Sicherheit dort nicht etwa von Polizisten oder Beamten gewährleistet wird, sondern von einer privaten Sicherheitsfirma. Das hat mich so ein bisschen erinnert, wie Amerikaner jetzt dabei sind, Privatleute zu engagieren, damit sie ihre Kriege führen, offensichtlich im ganz kleinen Rahmen machen wir das in der Schweiz auch schon."

    Die Schweizer Asylpraxis ist nicht frei von Absurditäten. Personen ohne gültige Papiere etwa erhalten nicht Asyl, aber sie können auch nicht abgeschoben werden, weil sie eben keine Papiere haben. Also erhalten sie Arbeitsverbot und werden, mit Lebensmittelgutscheinen versehen, in Notunterkünfte gesteckt, in denen sie sich aber nur nachts aufhalten dürfen. Zitat aus "Doppelpass":

    "Das Haus stand leer. Und trotzdem wurde seine Tür jeden Morgen um neun Uhr zugesperrt, und erst am Abend um sieben Uhr wieder aufgeschlossen. Und zwar pünktlich. Es war schon mehr als einmal vorgekommen, dass sie alle drei schon ein paar Minuten vor der Zeit da gestanden hatten, und auch Frau Abderhalden, die über den Schlüssel verfügte, bereits eingetroffen war. Sie hatten dann jeweils gemeinsam gewartet, die drei auf der einen Seite des Eingangs und Frau Abderhalden auf der andern, und erst wenn die Kirchturmuhr die volle Stunde schlug, hatte sie den Schlüssel ins Schloss gesteckt und umgedreht. ... Wie gesagt: ein schwer verständlicher Brauch."

    Lewinsky verstärkt den Eindruck des Absurden noch dadurch, dass er die Perspektive der Ausländer einnimmt, die voll Staunen auf diese Praktiken sehen. Hat der Autor auch mit Asylsuchenden gesprochen?

    "Ich habe mich, als hier in Zürich eine Demonstration dieser Sans-Papiers, wie das in der Schweiz heißt, die Leute die keine gültigen Papiere haben, unterhalten mit ein paar Betroffenen. Mir ist aufgefallen, dass es da zwei Sichten gibt. Die einen waren von ihren Organisationen schon gut eingestellt, sie redeten eigentlich genau wie die Schweizer Interessenvertreter, und andere wieder hatten, was mich faszinierte, eine sehr naive Sicht, man hatte das Gefühl, sie sind hier wie in einem Traum drin, sie verstehen überhaupt nicht, wie die Schweiz funktioniert, und da wir Schweizer ja auch nicht immer verstehen, wie unser Land funktioniert, kann einen das nicht wundern."

    Neben Seitenhieben auf die Medien und die C-Prominenz besticht der Roman mit dem nicht eben schmeichelhaften Porträt eines Politikers. Eidenbenz ist jovial und schlau, ohne besonders intelligent zu sein, aber er weiß, wie man fremdenfeindliche Instinkte am Köcheln hält. Es ist eindeutig, dass dieser Politiker bei der SVP, der Schweizerischen Volkspartei beheimatet ist.

    Die Demontage dieses Mannes lässt der Autor durch die Umgebung vollziehen: Sohn Philipp opponiert zunehmend erfolgreich gegen seinen Papa, ebenso die Ehefrau Sonja, die nach einer Krise anfängt, selbstständig zu denken. Die pointierteste Kritik legt Lewinsky einem Meinungsforscher in den Mund, bei dem sich Eidenbenz jeweils über die politischen Trends auf dem Laufenden hält:

    "Sie haben es geschafft - sehr geschickt, muss ich sagen -, die zahlenmäßig kleine Gruppe der Ausländer aus Problemstaaten für alle negativen Erscheinungen des schweizerischen Alltags verantwortlich zu machen. Und sich selber und Ihre Partei als die Einzigen zu definieren, die bereit sind, den Kampf dagegen aufzunehmen. Womit Sie ihren Wählern die Möglichkeit eröffnen, die eigenen Vorurteile als patriotische Empfindungen wahrzunehmen." (Aus: "Doppelpass")

    Von diesem Meinungsforscher muss Eidenbenz nun erfahren, dass sich die Zustimmung zu seiner Politik abgeschwächt habe, denn:

    "Die Leute möchten das Gefühl haben können, dass sie Ausländern vorurteilsfrei gegenüberstehen."

    In diesem Punkt jedoch hat sich der Meinungsforscher in "Doppelpass" getäuscht. Beinahe 58 Prozent der Schweizer stimmten am 29. November gegen den Bau von Minaretten. Und die Zeitung, die am meisten Stimmung machte gegen dieses "Symbol der islamischen Landnahme", wie darin zu lesen war, ist eben jene "Weltwoche", in der "Doppelpass" als Fortsetzungsroman abgedruckt war.

    Diese Wochenzeitung hat eine langjährige liberale Tradition, ist aber seit einiger Zeit beinahe zum Hofjournal, um nicht zu sagen, zum Kampfblatt der rechtskonservativen Schweizer Volkspartei geworden. Charles Lewinsky und "Die Weltwoche" - das befremdet und wurde in der Schweiz auch viel kritisiert. Auch er selbst hatte zunächst Vorbehalte:

    "Mein erster Reflex, als die Anfrage kam, war: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, man kann doch nicht in einer Zeitung, deren Meinung man nicht teilt, etwas veröffentlichen. Und als sie dann zwei- und dreimal nachgefragt haben, hab ich mir gesagt: Okay, wenn ihr euch verpflichtet, kein Wort zu ändern, und wenn Ihr mein Thema akzeptiert, was dem, was sonst in dieser Zeitschrift verbreitet wird, diametral entgegensteht, dann mach ich das, dann ist das eine Möglichkeit, vielleicht, diesen Lesern einmal eine andere Sicht der Dinge zu vermitteln."

    Tatsächlich nimmt sich Lewinskys Politsatire in der "Weltwoche" in manchen Folgen wie eine gezielte Provokation aus. Wie haben denn die Leser reagiert?

    "Seltsamerweise überhaupt nicht. Ich habe im Laufe eines Jahres nicht einen Leserbrief oder ein Leser-E-Mail bekommen. Ich habe keine Ahnung, wie die Stammleser reagiert haben. Vielleicht haben sie es einfach überblättert, weil es ihnen nicht gefallen hat."

    Da bleibt ein Unbehagen. Chefredakteur Roger Köppel brüstet sich, mit dem Abdruck von Lewinskys Roman ein Beispiel "gelebter Meinungsvielfalt" gegeben zu haben. Aber in der Nummer, in der die letzte Folge von "Doppelpass" erschien, rief er bereits zum nächsten Coup der Volkspartei auf: Der Vertrag über die Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der EU soll aufgekündigt werden, es seien einfach zu viele Deutsche in der Schweiz, an Rumänen und Bulgaren, die demnächst auch einreisen dürften, gar nicht zu denken.

    In dieser politischen Konstellation liest sich "Doppelpass" doch allzu harmlos, zumal der Schluss beinahe märchenhaft anmutet. Tom Keita solidarisiert sich mit seinem Cousin, Sonja Eidenbenz entlarvt gezielt die Heuchelei ihrer Umgebung, Eidenbenz scheint am Ende. Wollte der Autor bewusst ein Happy End als Hoffnungszeichen setzen? Nein, meint Charles Lewinsky, der nur ein märchenhaftes Element sieht:

    "In der allerletzten Folge, und ich finde, zum Aufhören darf man das, nämlich dass sein Freund aus seinem eigenen Dorf auf die Schweiz verzichtet und ihn begleitet, das ist ein Märchen. Aber was passiert als Letztes? Es kommt, von der Schweiz bezahlt, eine Delegation aus einem anderen Land an, und wird für jeden, den sie bei sich zuhause aufnimmt, ganz egal, ob der dahin gehört oder nicht, bezahlt, nur damit die Schweiz die los wird. Das ist nicht märchenhaft, das ist eher albtraumhaft und sehr, sehr nahe bei der Wirklichkeit."


    Charles Lewinsky: "Doppelpass", Roman, Nagel & Kimche, Zürich 2009, 320 S., 19,90 Euro