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Spielball Erde

Geophysik. - Seit einigen Jahren schon diskutieren Wissenschaftler weltweit über Eingriffe in das Klimasystem der Erde, falls die Bemühungen zur Senkung der Treibhausgase nicht ausreichen sollten. Jetzt veranstaltete auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft in Kiel ein Symposium zum Thema Geo-Engineering.

Von Björn Schwentker | 04.06.2009
    Der Klimawandel, da sind sich die in Kiel versammelten Forscher einig, wird vermutlich schlimmer, als gedacht. Alle Anstrengungen, die Emissionen von Treibhausgasen zu senken, könnten zu spät kommen, fürchten einige inzwischen. Um einen rapiden Anstieg der Temperatur zu verhindern, werde darum ein Bündel radikaler technologischer Maßnahmen immer öfter diskutiert - das Geo-Engineering, sagt Ralph Keeling, Klimaforscher von der University of California.

    "Eine Möglichkeit wäre, mehr Sonnenlicht zurück ins All zu reflektieren. Die Idee ist, den Erdball – vom All aus gesehen – etwas weißer zu machen, so dass er weniger Wärmeenergie der Sonne absorbiert, also aufnimmt. Das würde die Erde kühlen."

    Raketen könnten beispielsweise viele Millionen Tonnen kleinster Sulfatpartikel, so genannte Aerosole, in der oberen Atmosphäre versprühen. Sie verbreiten sich dort wie ein staubiger Schutzschild um die Erde, und halten so Sonnenlicht ab. Die Methode wäre einfach, schnell – und sogar bezahlbar. Keeling:

    "So etwas würde geschätzte fünf bis zehn Prozent der weltweiten Militärausgaben kosten. Das ist schon viel Geld. Aber wenig im Vergleich zu dem, was Menschen bereit sind, für ihre nationale Verteidigung aufzubringen."

    Alternativ gibt es Vorschläge, das Treibhausgas CO2 in der Atmosphäre zu reduzieren. Etwa durch künstliche Bäume, die das Gas aus der Luft saugen und in unterirdische Speicher leiten. Oder, indem die Ozeane mit Eisen gedüngt werden, um mehr Kohlendioxid aufzunehmen. Egal, welche Option des Geo-Engineerings man sich heute vorstellt: Alle könnten gefährliche, heute noch unvorhersehbare Nebenwirkungen haben, sagt Klimaforscher Ralph Keeling. Die meisten Wissenschaftler lehnen Geo-Engineering bisher ab. Viel wichtiger sei es, alles zu tun, um den Treibhausgasausstoß zu mindern, entsprechende Technologien zu entwickeln und zu verbreiten. Höchstens als eine "ultima ratio", können sich einige Forscher Geo-Engineering vorstellen - als letztes, drastisches Mittel, um die Erde vor dem Hitzekollaps zu bewahren. Einige jedoch halten technische Maßnahmen schon heute für eine salonfähige Idee: Etwa Steve Rayner, Soziologieprofessor aus Oxford und Berater der britischen Regierung in Umweltfragen

    "Auch wenn es nur als letztes Mittel akzeptabel wäre, müsste Geo-Engineering ja sicher sein, finanzierbar und öffentlich akzeptiert. Und wenn all dies der Fall ist, warum sollte es dann nicht gleich mit zu den Waffen zählen, mit denen wir auch heute schon den Klimawandel bekämpfen?"

    Ginge es nach Steve Rayner, würde sofort ein internationales Programm aufgelegt, um technische Details des Geo-Engineerings zu erforschen. Heute diskutiert die Deutsche Forschungsgemeinschaft in Kiel, ob sie sich an solcher Wissenschaft beteiligen würde. Der Umweltphilosoph Konrad Ott aus Greifswald warnt vor zu viel Forschungsengagement:

    "Wenn sehr viel Geld in bestimmte Forschungszweige investiert wird und sich ein gewisses Netzwerk bildet, können solche Dinge auch eine Eigendynamik bilden, und man kann dann nicht sicher sein, dass man dann einfach sagen kann: Na gut, jetzt haben wir zehn oder zwanzig Jahre emsig und eifrig und teuer geforscht, und jetzt werden wir das aber nicht anwenden."

    Das lege etwa das historische Beispiel der Atombombe nahe: Was erforscht werde, werde später mit großer Wahrscheinlichkeit auch eingesetzt – eventuell mit fatalen Folgen: Ein Schutzschild vor der Sonne könnte verhindern, dass die Menschheit sich überhaupt noch bemüht, den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren – denn es wäre ja nicht mehr unbedingt nötig. Ott:

    "Was wäre, wenn die Nebenfolgen so negativ wären, dass man überlegen müsste, vielleicht dieses Schild aus Aerosolen wieder zu entfernen, und dann würde man feststellen: Das geht ja gar nicht mehr, denn dann würden die Treibhausgase in der Atmosphäre eine volle Wirkung entfalten, und wir würden innerhalb kürzester Zeit einen ganz dramatischen Klimawandel bekommen. Und diese Möglichkeit würde ich gerne ausschließen."