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Spielbetrug im Tennis
Integritäts-Agentur kämpft um ihre Integrität

Im zweiten Jahr in Folge trüben Betrugsfälle das Bild der Australian Open. Der Tennis-Antikorruptions-Agentur wird vorgeworfen, einen Geheimbericht ignoriert zu haben, der Top-Spieler der Manipulation beschuldigt. Nun bestraft die TIU aktionistisch Spieler, denn sie braucht Erfolge - und ihre eigene Integrität steht auf dem Spiel.

Von Carsten Upadek | 22.01.2017
    Schläger und Tennisball von Marco Chiudinelli bei der Swiss Open 2015 in Basel.
    Der Wettmarkt im Tennis ist lukrativ. (imago/ Melanie Duchene)
    Beim Nachwuchs-Finale der Australien Open Anfang letzten Jahres gewinnt der damals 17-Jährige Australier Oliver Anderson den wichtigsten Titel seiner jungen Karriere. Neun Monate später: Im Oktober 2016 soll Anderson bei einem Nachwuchsturnier im australischen Traralgon absichtlich den ersten Satz verloren haben, um dann doch noch 4:6, 6:0 und 6:2 zu gewinnen, behaupten Polizei und Tennis-Antikorruptions-Agentur TIU. Journalist Nino Bucci ist spezialisiert auf Spielbetrug:
    "Dieser Fall macht mich sehr traurig und es ist für mich hart, zu verstehen: Wie kann ein 18-Jähriger, der zuvor einen Junior-Grand-Slam-Titel gewonnen hat, neun Monate später einen Grund haben, Spielbetrug zu begehen?"
    Erstmals langjährige Sperre
    Gerade wurde ein anderer Australier für sieben Jahre gesperrt: Nick Lindahl, einst 187. der Weltrangliste. Im September 2013 ließ er seinem Gegner in einem kleinen Turnier im australischen Toowoomba ausrichten, er sei bereit, absichtlich zu verlieren. Sein Partner Matthew Fox wettete auf dieses und andere Spiele.
    "Nick Lindahl erzählte Matthew Fox, welche Spiele manipuliert werden würden. Matthew Fox wettete auf die Spiele und machte eine achtbare Summe Geld. Interessant ist, dass niemals geklärt wurde, wie viel Geld die Gruppe insgesamt gewonnen hat. Wir wissen nicht, warum Nick Lindahl damit angefangen hat, ob er angesprochen wurde und ob es da draußen noch mehr Leute gibt, die profitiert haben. Viele offene Fragen."
    Eine weitere ist: Wenn Spiel-Betrug verführerisch ist für einen Spieler der Top-200-Weltrangliste wie Lindahl oder ein Talent wie Anderson, warum dann nicht erst recht für erfolglosere Spieler? BBC-Reporter Simon Cox:
    Betrug verführerisch für Spieler auf unteren Ebenen
    "Wir haben beim Tennis ein fundamentales Problem bei den unteren Spielebenen. Es ist wirklich hart, davon zu leben! Selbst wenn du eines der kleineren Turniere gewinnst, bekommst du vielleicht ein paar tausend Dollar. Wenn du die Reisekosten bedenkst, die Unterkunft und so weiter, deckst du wahrscheinlich nicht mal deine Kosten."
    Der Wettmarkt ist lukrativ, besonders in Australien. Die 24 Millionen Einwohner haben laut Zeitung "Daily Telegraph" 2014 umgerechnet 18 Milliarden Euro in Sportwetten investiert – die Deutschen im gleichen Jahr nicht mal ein Viertel. Warum also als wenig erfolgreicher Spieler nicht daneben schlagen und dafür zehntausende Dollar kassieren?, interpretiert Betrugs-Fachmann Nino Bucci.
    "Wir haben eine hohe Zahl an schlecht platzierten, jungen Spielern. Die wollen Karriere machen. Aber natürlich werden viele von ihnen irgendwann realisieren, dass sie nicht gut genug sind, um vollwertige Profis zu werden, und die Versuchung des Spielbetrugs wächst."
    Tennis-Weltverband: Komplettstudie beim Karrierepfad
    Man habe das Problem erkannt, versichert David Haggerty, Präsident des Tennis-Weltverbandes im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.
    "Letztes Jahr haben wir das Preisgeld beim Einstiegsniveau erhöht. Außerdem gibt es eine Komplettstudie aller Turniere und Nachwuchs-Turniere. Die schaut auf den Weg der Nachwuchsspieler an die Spitze. Die Ergebnisse werden gerade analysiert und sollen dem Vorstand als Diskussionsgrundlage für mögliche Veränderungen dienen."
    Weiter sagte der Tennis-Boss, die Antikorruptions-Agentur mache einen sehr guten Job. Sie funktioniere. Die TIU genannte Behörde soll Unregelmäßigkeiten im Sport untersuchen. Ihre Bilanz 2016: Neun Spieler und Offizielle wurden angeklagt und verurteilt, mehr als jemals zuvor. Allerdings steht die Agentur mit Sitz in London auch unter Druck, seit ihr im Januar 2016 Berichte von BBC und "BuzzFeed" vorwarfen, klare Beweise für Spielmanipulationen von Top-Spielern ignoriert zu haben.
    Hat Agentur Beweise für Spielmanipulationen ignoriert?
    Es geht um einen Geheimbericht, den die TIU 2008 von erfahrenen englischen Ermittlern erhielt. Die brachen 2016 nach Jahren das Schweigen. Ermittler Mark Phillips gegenüber der BBC:
    "Von den Beweisen, die wir zusammengetragen haben, haben wir geglaubt, sie sind sehr stark. Da war eine Gruppe von sechs bis zehn Spielern, auf denen der Hauptfokus der Beweise lag. Es war ziemlich enttäuschend, dass nichts passiert ist."
    Insgesamt sollen 28 Top-Spieler involviert sein, darunter Grand-Slam-Gewinner. BBC-Journalist Simon Cox hat den Geheimbericht gelesen. "Der Spieler Martin Vassallo Argüello – wir haben die Beweise gesehen, wie er vor dem Spiel mit Glücksspielern in Kontakt stand und mit seinem Match haben die dann Geld gewonnen. Warum wurde nicht gegen ihn ermittelt?"
    Einige Verdächtige sollen noch aktiv sein
    Der Argentinier ist nicht mehr im Tennis aktiv. Andere Spieler aber schon, versichert Cox. Manche seinen noch Jahre nach der Abgabe des Berichts an die Antikorruptions-Agentur 2008 aufgefallen mit verdächtigen Spielen.
    Hat die TIU etwa bewusst auf Ermittlungen verzichtet? Das soll ein unabhängiges Überprüfungs-Gremium im Auftrag des Weltverbandes herausfinden. Im März wird ein vorläufiger Bericht erwartet. Weltverbands-Präsident Haggerty: "Der Grund dafür ist, wir haben nichts zu verbergen. Wenn es Wege gibt, dass wir verbessern, was wir tun, dann sind wir dafür."
    Auch BBC-Reporter Simon Cox ist gespannt: "Ich habe keine Ahnung, was sie sagen werden, aber es wird interessant, ob sie dem zustimmen, was wir gesagt haben. Welche anderen Beweise sie gefunden haben innerhalb des Spiels. Wenn sie mit den gleichen Leuten gesprochen haben wie wir, dann ist die Botschaft laut und klar: Tennis hatte die Chance, das aufzuklären und entschied sich dagegen!"
    2017 ist bisher von Aktionismus geprägt
    Seitdem die Antikorruptions-Agentur Anfang 2016 unter Druck geraten ist, steigt ihr Aktionismus. Mitte Januar 2017 wurde der Australier Calum Puttergill für sechs Monate gesperrt und zu 10.000 Dollar Strafe verurteilt. Er hatte auf Tennis-Begegnungen online gewettet - für aktive Spieler verboten. Dabei war nicht relevant, dass keines seiner eigenen Spiele dabei war - und auch nicht, dass er auf Weltranglistenplatz 1207 rangiert.
    Das ist, als verfolgten die Integritäts-Hüter des Tennis lieber Taschendiebe, obwohl es einen Bankraub gegeben haben könnte.