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Spielen statt fallen

Nach einem Sturz wächst bei vielen ältere Menschen die Angst, erneut hinzufallen. Sie bewegen sich weniger und steigern ausgerechnet damit ihr Sturzrisiko noch mehr. Denn Stürze resultieren vor allem aus zu wenig Kraft, während Übungen und Krafttraining vorbeugen können. Entsprechende Angebote gibt es bei Sportvereinen. Daneben arbeiten Wissenschaftler an virtuellen Trainingskonzepten zur Sturzprophylaxe.

Von Carina Frey | 02.05.2012
    Das Spielprinzip ist simpel. Eine Kugel muss durch ein Labyrinth in ein Loch gelenkt werden. Dieses Lenken hat es allerdings in sich. Denn Brett und Kugel existieren nur auf einem Bildschirm, gesteuert wird mit dem Körper. Der Spieler steht auf dem Balance-Board der Spielkonsole Wii, einer Art Brett, etwas größer als eine Personenwaage. Darin eingebaute Sensoren messen Gewichtsverlagerungen. Belastet der Spieler das rechte Bein, kippt er das virtuelle Spielbrett, die Kugel rollt. Das soll Spaß machen, aber auch Kraft und Gleichgewicht trainieren. Forscher der TU Darmstadt haben es für Senioren entwickelt, um das Sturzrisiko zu senken.

    "Was auch sehr wichtig ist insbesondere in Bezug auf Stürze ist, dass die Personen in der Lage sind, auf unvorhergesehene Ereignisse zu reagieren. Wir konnten bisher nicht nachweisen, dass dieses Spiel diese Leistung erbringt. Aber von Experten wurde uns gesagt, dass es tendenziell nach den bisherigen Erkenntnissen positive Auswirkungen haben müsste","

    erklärt Entwickler Sandro Hardy vom Fachgebiet Multimedia Kommunikation. Die Wissenschaftler testeten das Spiel über mehrere Monate hinweg mit Bewohnern eines Seniorenheims: der Jüngste 75 Jahre alt, die Älteste 91. Für Gehbehinderte passten die Forscher die Empfindlichkeit des Balance-Boards so an, dass es sich im Sitzen bedienen ließ. So wurde niemand ausgeschlossen. Kam ein Spieler nicht weiter, konnte der Therapeut eingreifen, was Frust vermeidet. Denn nur wer Spaß hat, übt weiter.

    ""Wir gehen davon aus, dass wenn man zum Beispiel die Balance des Menschen tatsächlich verbessern will, dass zwei bis dreimal in der Woche Gehirn und Körper eben trainiert werden müssen für 30 bis 45 Minuten. Für das zusätzliche Krafttraining braucht man etwa so eine Trainingshäufigkeit von zweimal pro Woche. Wenn es drunterliegt, kann man vielleicht das erhalten, was man noch kann, aber man kann sich eben nicht verbessern,"

    sagt Clemens Becker, Leiter der Bundesinitiative Sturzprävention. Beim Kugelspiel gibt es sieben Level. Außerdem lassen sich zusätzliche Hindernisse einbauen oder man spielt mit mehreren Kugeln. Vier bis sieben Minuten am Stück standen die Senioren durchschnittlich auf dem Board. Dann wurde gewechselt, bis jeder mehrfach dran war. Ob sich schon dadurch das Sturzrisiko senken lässt, wollen die Forscher jetzt untersuchen.

    "Es geht auf jeden Fall in die richtige Richtung. Aber es scheint eben noch nicht ganz ausreichend zu sein, um tatsächlich nachhaltige und vor allem große Effekte zu erreichen, aber die Richtung stimmt."

    erklärt Becker, der am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart arbeitet.

    Einen anderen Ansatz zur Sturzprophylaxe verfolgen Forscher im Rahmen des SmartSenior-Projektes. Ein interaktiver Trainer soll Patienten nach einer Rehabilitation bei ihren Übungen zu Hause unterstützen, so Michael John vom Fraunhofer Institut für Rechnerarchitektur und Softwaretechnik in Berlin. Der Patient schnallt sich einen Beckengurt um und trainiert vor dem Steuerelement Kinect, einer Kamera, mit der ein grobes 3D-Skelett des Nutzers erkannt wird. Weitere Sensoren messen Beschleunigung und Drehgeschwindigkeit. So wird die Körperhaltung des Patienten erfasst und mit Idealwerten verglichen. Steht der Patient zum Beispiel nicht stabil auf einem Bein, gibt ihm das System eine Rückmeldung.

    "Häufig sind diese Menschen sehr vorsichtig oder auch ängstlich, irgendetwas falsch zu machen. Und über die entsprechende Technik kann dann eben überprüft werden, ob es richtig gemacht wird, und der Patient kann ansonsten eben Anleitung kriegen, was er noch verbessern kann","

    so Becker. Die Daten können an einen Therapeuten übermittelt werden, damit dieser den Trainingsverlauf sieht. Rangfolgen und ein Fortschrittsbalken sollen zum Weiterüben motivieren. Außerdem stehen verschiedene Spiele zur Wahl: Zum Beispiel muss ein Motorboot durch Gewichtsverlagerung über einen Fluss gesteuert werden. Wer fleißig übt, bekommt weitere Spiele freigeschaltet. Solche virtuellen Trainingskonzepte können eine neue Zielgruppe ansprechen: Männer.

    ""Was wir vor allem brauchen, ist, dass wir vor allem für ältere Männer Ansätze brauchen, die sie interessieren, die bisherigen Programme sind eben für Frauen attraktiv. Nur in Ausnahmefällen gelingt es uns bisher, Männer auch anzusprechen","

    sagt Becker. Ob diese Projekte wirklich das Sturzrisiko senken, müsse sich erst noch in Kontrollstudien zeigen. Eines lasse sich aber schon jetzt sagen: Sie machen den Übenden Spaß.

    ""Die Leute vergessen komplett, dass sie überhaupt am Üben sind und sind mit großer Begeisterung dabei, erzählen ihren Enkelkindern davon, also das ist, zeigt einfach auf, welches große Potenzial eben auch darin steckt. Aber im Detail, in der Umsetzung müssen wir tatsächlich noch viel verbessern."