Donnerstag, 25. April 2024

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Spinnert, aber hart am Leben

Drei Höhepunkte hat das Jahr in Snögglinduralthorma: Das große Weihnachtsbesäufnis im Dezember, den Überfall auf Nebelreich im Februar und die anschließende Totenverbrennung im März. Da unterbricht der Besuch eines Prinzen die jährliche Routine. Diego aus dem sonnigen Reich Baskarien kommt, um Prinzessin Lisvana zu freien. Eigentlich eine gute Partie für die Nordlandprinzessin, deren Vater nur über einen Streifen faulig riechenden Moorgebiets herrscht. Und Liebe ist auch im Spiel. Aber Nordland-Ritter Bredur sabotiert die Liaison. Er meint, ältere Rechte an der Prinzessin zu haben. Da entführt der kühne Diego Lisvana kurzerhand, was nicht nur zu diplomatischen Krisen führt. Sondern auch aus der ehedem verliebten Lisvana eine unbeugsame Patriotin werden lässt.

22.02.2005
    "Die entführte Prinzessin" von Karen Duve ist ein völlig spinnertes, dabei hart am Leben entlang erzähltes Märchen. Sehr komisch gezeichnet: die Mutter von Prinz Diego. Königin Isabelle von Baskarien, eine dürre, strenge Person, ist süchtig nach Life-Style. Sie designt non Stopp und alles: "Fluch auf diese Beschäftigung für verblödete Weiber, die nicht im Stande sind, etwas nützliches zu tun.", heißt es bei Karen Duve. Besonders der Perfektionierung des Schlossgartens gilt Isabelles ehrgeiziges Streben. Gab es Vorbilder für die vom Schöner-Gärtnern-Wahn besessene Königin?

    Karen Duve: Ich brauch da kein lebendes Vorbild. Mir reichen da auch schon die Zeitschriften. Die ich selbst fatalerweise sehr gerne und sehr viel lese. Also wenn es ein echtes lebendes Vorbild gibt, dann bin ich das selber. Wobei ich allerdings selbst furchtbar gescheitert bin in meinem eigenen Garten. Das sind 4000 qm. Ich versuch da immer parkähnliche Anlagen zu schaffen. Und in Wirklichkeit liegen da alte Plastikeimer rum, Schnüre und Müll. Es ist das Gegenteil von einem toll gestalteten Garten. Es fehlen die Gartenzwerge.

    Nicht so im Roman. Zwerge haben die Gärten des Königsschlosses zu bestellen, der Königin zur Hand zu gehen sowie sich auf deren Wunsch als lebendige Standbilder in das Gartenpanorama einzufügen. Zwerge sind der Königin ein und alles. Kein Wunder, dass da die familiäre Harmonie leidet. König Leo hat sich molligeren Mätressen zugewandt und Prinz Diego hat seinen Teil des Gartens betonieren und anschließend locker mit Schotter bestreuen lassen.

    Er, der sich einen ganzen Roman lang mit liebreizender Hartnäckigkeit um die sich ebenso ausdauernd sträubende Lisvana bemüht, sagt denn auch irgendwann entnervt zu ihr:

    Du denkst, ich habe mich da in eine Idee verrannt. Du denkst, bloß weil meine Mutter mich nie geliebt hat, suche ich mir jetzt eine Frau, die mich auch nicht liebt.

    Ein Geständnis, dass so im klassischen Märchen niemals zu lesen wäre. Da erleben einfach gebaute Figuren formelhafte Prüfungen. Die Helden gehen ihren Weg ganz ohne zielgerichteten Willen, ohne Reflexion, und sie kommen ans Ziel dadurch, dass sie sich offen halten für alles, was an sie herantritt. Sie überlegen nicht, sondern folgen Impulsen, Ahnungen, der Intuition oder der Lenkung durch naturmagische Wesen und Kräfte. Gegenwartsferne ist ein wesentliches Kennzeichen.

    Im Märchen Karen Duves ist das anders: Die unglückliche Prinzessin steht sich hier selbst im Weg. Launenhaftigkeit, Eitelkeit, Unwahrhaftigkeit, und die Treue gegenüber dem schlechten Alten, wo’s doch was besseres Neues gäbe, verhindern eine glückliche Wendung des Geschehens. Karen Duve nennt "Die entführte Prinzessin" deshalb einen psychologisierenden Märchenroman.

    Was ich vom Märchen übernommen habe, ist die Dekoration. Die ganzen Requisiten. Dass wir eben die Figuren noch haben, aber ich hab jetzt nicht das Erzählmuster vom Märchen übernommen, weil Märchen ja auch oft sehr formelhaft sind. Das das ist nicht das, was mich am meisten am Märchen interessiert. Ich mag wirklich gerne die Ausstattung, die schönen Prinzessinnen Kleider. Ich mag, dass das richtige Prinzen sind und Ritter und Zauberer, aber mich interessiert nicht so dieses Kurze, knapp gehaltene. Ich ufer lieber so ein bisschen aus beim Erzählen.

    Die Arbeit an diesem Märchenroman war für die Autorin zuerst eine Art Erholung. Denn er ist entstanden während Karen Duve an "Dies ist kein Liebeslied" schrieb, einer Geschichte über eine Ess- und Brechsüchtige, die sich die Arme mit dem Kartoffelschälmesser zerschneidet. Karen Duve über die Zeit des Doppelprojekts ....

    Während ich an Büchern schreib, leb ich da auch immer mehr oder weniger drin. Und das ist mir in diesem Fall sehr schwer gefallen. Das war sehr unangenehm. Mir ging’s da richtig dreckig. So nach drei, vier Monaten musste ich aufhören und eine Pause machen und irgendwas schreiben, was ganz und gar nett war und wo ich davon ausging, das würde auch nur ein gutes Ende haben. Das war therapeutisches Schreiben. Aber da hatte ich nicht vorgehabt, das irgendwann zu veröffentlichen, sondern ich musste einfach so einen Ausgleich haben.

    Später überarbeitete Karen Duve ihre märchenhafte Fingerübung und machte einen flotten, handwerklich gelungenen Fantasy-Roman draus. An keinem anderem Buch bisher hat sie so lange gesessen, für kein anderes so viel recherchiert wie für "Die entführte Prinzessin".

    Für mich ist Schreiben halt auch eine Lebensform und so lange ich an einem Buch sitz, leb ich da auch mehr oder weniger drin. Und das macht für mich aus, ganz ganz viel zu haben, was ich dann nicht benutze.

    Ich bin eher jemand, der viel recherchiert, um sich auch vor dem Schreiben zu drücken. Vielleicht wäre das gar nicht abgestürzt dadurch, dass ich dann nicht recherchiert hätte. Möglicherweise hätte ich dann auch ein ähnliches Bild gefunden, dass es auch ganz treffend illustriert hätte. Aber ich verlier mich dann auch gerne da drin. Bei Liselotte von der Pfalz, die Biographie, die hätte ich jetzt eigentlich nicht lesen müssen dafür. Und die Brüder Goncourt, die hab ich dann an zwei, drei Stellen beklauen können. Dafür das ganze Buch zu lesen, das steht wahrscheinlich in keinem Verhältnis, aber es hat auch Spaß gebracht.


    "Die entführte Prinzessin" liest sich leicht und luftig. Der Ton ist – wie immer bei Karen Duve – patzig aber echt, lustig, schnörkellos und auf eine reinigende Art unbarmherzig. Ansonsten ist dieser Märchenroman ein – wie die Autorin sich ausdrückt – Kunstwerk der Collage.

    Eine Mischung der goldigsten Momente aus Sissi mit ein paar handfesten aus Geierwally. Seeungeheuer und Malmströme aus dem Moers’schen Erzählkosmos gibt’s da, potteresque Magie, die lockenden Sirenen aus Odysseus, die Prinzessinnen aus Grimm und für den finalen Feinschliff in punkto Aktualität, das gellend Neurotische aus Portnoys Beschwerden. Der Mix macht’s. Es ist von allem was drin und es ist perfekt.

    Trotzdem lässt dieses Buch den alten, treuen Karen-Duve-Leser hungrig zurück. "Die entführte Prinzessin" scheint nicht von etwas wirklich Wesentlichem zu handeln. Duves frühere, von komischen Furchtbarkeiten strotzende Geschichten aus dem wahren Leben, konnte man zu dem eigenen umweglos ins Verhältnis setzen. Und wenn die Autorin seitenlang vom Witz im Scheitern schrieb, dann war wieder mal klar: The winner doesn’t take it all. Denn Karen Duve hat es immer gezeigt und tut das hoffentlich bald wieder: Verlierer mögen es zwar zu nichts gebracht haben, aber sie werfen einfach die besseren Geschichten ab.