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Spionageaffäre
"Die USA sind außer Rand und Band"

Der Politikwissenschaftler Christian Hacke hält die Ausweisung des höchsten US-Geheimdienstlers aus Deutschland für eine angemessene Reaktion der Bundesregierung auf die Spionageaffäre. So gehe man mit jemandem um, der "seit einiger Zeit ausflippt", sagte er im DLF. Der Sicherheitsdrang der USA und die daraus folgenden Überwachungsmaßnahmen glichen "Wahnvorstellungen".

Christian Hacke im Gespräch mit Gerd Breker | 11.07.2014
    Demonstranten protestieren im Juni 2013 gegen die US-amerikanische Überwachung
    Demonstranten protestieren im Juni 2013 gegen die US-amerikanische Überwachung (dpa / picture-alliance / Kay Nietfeld)
    Gerd Breker: Mit der Aufforderung, der US-Geheimdienstchef möge doch das Land verlassen, soll ein Zeichen gesetzt werden. Mag ja sein, dass dieses Zeichen vor allem nach innen gerichtet ist, nach dem Motto, seht her, die Bundesregierung lässt nicht alles mit sich machen, sie setzt auch dem großen Freund Grenzen. Bliebe die Frage, ob der große Freund das Zeichen auch versteht. Spionage ist ein Zeichen des Misstrauens und Misstrauen ist nicht gerade das Charakteristikum von Freundschaft. Nach Monaten der Abhör- und Spionageaffäre immerhin eine Konsequenz, aber eine Konsequenz, die die Freundschaft nicht gefährden soll.
    Diese Tat, diese Aufforderung, doch das Land zu verlassen, ist etwas anderes als mahnende Worte. Die Worte haben bislang nicht beeindruckt. Ob diese Tat, den Agentenchef der Botschaft aus dem Land zu komplimentieren, wirklich in Washington beeindrucken mag, das sei dahingestellt. Die deutsch-amerikanischen Beziehungen, sie sind gestört. Freunde wie Feinde behandeln, das kommt einfach nicht gut. Wird das in den USA auch tatsächlich so empfunden? Begreift die Obama-Administration die Tragweite? Bislang muss man das bezweifeln.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Christian Hacke, Politologe und Spezialist für die transatlantischen Beziehungen. Guten Tag, Herr Hacke.
    Christian Hacke: Seien Sie gegrüßt, Herr Breker!
    Breker: Die deutsch-amerikanische Freundschaft, müssen wir nicht ehrlich sein, das war eher eine gewollte Illusion als tatsächliche Realität?
    Hacke: Na ja, so weit müssen wir nicht gleich gehen, Herr Breker. Aber es ist natürlich klar: Freundschaften sind nicht nur für Schönwetterperioden tauglich, sondern sie bewähren sich auch in schwierigen Zeiten, und vor allem, wenn der eine oder sich beide auch verändern. Das muss man klar sagen. Ich meine, der Justizminister, Heiko Maas, hat das, glaube ich, angemessen ausgedrückt. Er hat gesagt, dass ein gewisser Überwachungswahn der amerikanischen Geheimdienste zu beobachten ist. Das sehen wir nun schon seit einiger Zeit. Sie tun alles, was technisch möglich ist, und sie entfernen sich zunehmend durch diese Art von dem Vorbild, was wir immer in den USA gesehen haben, von der liberalen Macht, von dem zivilisatorischen Vorbild. Da ist nichts mehr mit ansprechender soft power, sondern das stößt nur noch ab, und im Grunde, glaube ich, ist die Reaktion der Bundesregierung im Moment richtig, relativ verhalten, vorsichtig, so wie man mit jemandem umgeht, der gerade im Moment und schon seit einiger Zeit relativ ausflippt.
    "Deutschland ist zum unsicheren Kantonisten geworden"
    Breker: Die USA haben sich nach 9.11 verändert und man vergisst dort nicht, dass die Attentäter von 9/11 unbehelligt in Hamburg lebten. Das wird so schnell in den USA nicht vergessen?
    Hacke: Herr Breker, das ist sicherlich noch ein Moment, was hier und dort in Erinnerung ist. Aber ich glaube, was sehr viel stärker bei den USA fortwirkt ist etwas anderes, dass nämlich in Schlüsselfragen der Sicherheitspolitik, der harten Sicherheitsfragen, bei der Kooperation der Geheimdienste vielleicht auch in Afghanistan, wenn wir das Politische nehmen, das deutsche Abweichen im Irak-Krieg, was sich ja im Nachhinein als richtig herausgestellt hat - aber ich nehme die amerikanische Perspektive -, oder nehmen Sie das deutsche Abseitsstehen in Libyen. Worauf ich hinaus will ist, dass Deutschland aus amerikanischer Sicht - es geht jetzt nur ums Verstehen, es geht nicht um richtig oder falsch -, dass Deutschland aus amerikanischer Sicht zu einem unsicheren Kantonisten geworden ist im Vergleich zur Zeit vor 9/11 oder natürlich auch im Kalten Krieg. Aus diesem Hintergrund heraus, dass Deutschland sich manchmal in Schlüsselfragen stärker Paris, Moskau oder auch China annäherte, in Sicherheitsfragen, haben sie ihre Ausspähaktivitäten intensiviert. Weil Deutschland wie gesagt zum unsicheren Kantonisten wurde, und das hat auch dazu geführt. Ich glaube, das ist noch wichtiger als die Erinnerung an Hamburg, dass dort die Terroristen saßen.
    Breker: Sie haben es gesagt: Kanzler Schröder hat beim zweiten Irak-Krieg nicht mitgemacht. Außenminister Westerwelle hat sich bei Libyen verweigert. Der unsichere Kantonist, aber das ist auch dann die Basis für Misstrauen. Man begegnet einem unsicheren Kantonisten mit Misstrauen?
    Hacke: Ja. Aber natürlich dürfen Sie nicht vergessen, das Misstrauen der Europäer und der Deutschen gegenüber den USA ist natürlich auch angestiegen. So haben wir die Situation ja auch bei den transatlantischen Wirtschaftsverhandlungen jetzt. Da werden wir mit amerikanischen Vorstellungen konfrontiert, die den europäischen und den deutschen Interessen glashart widersprechen. Wir müssen den Gesamtkontext der Beziehungen sehen im Transatlantischen. Wir driften auseinander. Europa ist keine geschlossene Größe, das wäre auch verkehrt. Aber insgesamt driften die beiden ehemals doch stärker verbundenen Teile auseinander, und das ist schwierig und die Kanzlerin sagte zu Recht, glaube ich, gerade in diesen Tagen: Mein Gott, der Westen hat ganz andere Probleme. Und in der Weltpolitik ist die Zusammenarbeit zwischen USA und den Europäern und der Europäischen Union mit Blick auf Ukraine, auf Nahost, wo es jetzt so brennt, mit Blick auf Syrien, nennen Sie welchen Ort auch immer. Also es ist ein Treppenwitz der Geschichte und es ist eigentlich ein Ablenkungsmanöver - der Ausdruck ist falsch -, was im Moment passiert. Wir konzentrieren uns auf Dinge, die eigentlich nachgeordnet sind und die uns nur verstören können, weil die Amerikaner offensichtlich den Blick fürs Wesentliche verlieren.
    "Die Amerikaner sind stillos"
    Breker: Aber müssen wir nicht lernen, Herr Hacke, dass selbst die berühmte Wertegemeinschaft, die wir ja mit den USA hatten, dass das nicht mehr so ganz stimmt? Es sind nicht die gleichen Werte, etwa in Sachen Freiheit und Sicherheit. Da gewichten wir ganz anders.
    Hacke: Da gebe ich Ihnen recht. Auf der einen Seite ist das, was die Amerikaner sehen, das individuelle Recht auf Freiheit, und dafür standen die USA. Das wird jetzt geringer gewichtet zugunsten des Moments der kollektiven Sicherheit, und das geht natürlich auch fast in Wahnvorstellungen über, dieses Moment der absoluten Sicherheit, alles zu tun, um die amerikanische Sicherheit zu garantieren und zu machen, was technologisch möglich ist. Das ist schon zum Teil hanebüchen und erregt natürlich die Gemüter hier.
    Ich würde jetzt nicht gleich so weit gehen und sagen, dass die Werte zerbrechen. Aber was genauso wichtig ist wie im persönlichen Leben, im privaten Leben: Es geht um das Wie. Es geht um den Stil, wie man sich benimmt. Gentlemanlike im Zusammenhang mit Geheimdiensten ist vielleicht nicht der richtige Zusammenhang, aber es gibt doch schon noch etwas, was wir in der Politik sehen müssen, wie Dinge gehandhabt werden, und hier sind die Amerikaner außer Rand und Band. Sie sind stillos, sie verhalten sich auf eine Art und Weise, die nicht hingenommen werden kann, die auch unserer Würde nicht angemessen ist. Und deshalb, finde ich, ist die Reaktion der Bundesregierung, von Bundeskanzlerin auch dann zu den entsprechenden Verantwortlichen, würde ich sagen, doch angemessen zurückhaltend und doch auf der anderen Seite deutlich. Aber auch im Wissen, dass die USA im Moment außer Rand und Band sind. Und was am meisten vielleicht nur mich, aber auch andere verstört ist, dass dahinter ein Präsident steht, der in der ersten Amtszeit antrat, die amerikanische Strahlkraft in der Welt zivilisatorisch zu erneuern, und jetzt offensichtlich völlig desinteressiert ist über die Aktivitäten seiner Geheimdienste, das auch noch deckt, obwohl sie jeglichem Recht, jeglicher Moral und vor allem jeglichem Stilempfinden, wie ich gesagt habe, im Verhalten innerhalb der USA und gegenüber den Verbündeten widerspricht. Und das, finde ich, macht mich persönlich, würde ich sagen, relativ ärgerlich, dass ein Präsident sich so verändern kann und ich auch keine richtigen Erklärungen dafür habe.
    "Europa fühlt sich zunehmend abgeschreckt"
    Breker: Und die USA verhalten sich gegenüber dem befreundeten Staat Bundesrepublik Deutschland, als habe der nur eine eingeschränkte Souveränität.
    Hacke: Die hat er ja auch! Ich meine, es ist ja viel Doppelmoral bei uns auch im Spiel. Stellen Sie sich mal umgekehrt vor, jetzt hätten wir meinetwegen die Möglichkeit gehabt, durch einen überlaufenden NSA- oder CIA-Mitarbeiter Spionage in den USA zu betreiben. Wir würden uns auch nicht an Recht und Gesetz halten, denke ich mal. Hier ist sehr viel Doppelmoral, und nicht nur im Krieg und in der Liebe, sondern offensichtlich auch bei den Geheimdiensten ist fast alles erlaubt, und da müssen natürlich Grenzen gesetzt werden. Aber wir wissen, die Deutschen wissen, sie sind abhängig. Wir sind technologisch abhängig. Aber die Amerikaner können offensichtlich aus einer Situation, wo sie heute technologisch mit Stichwort Cyberwar, Stichwort NSA, Stichwort Drohnen so überlegen sind und ein solches Monopol an Überlegenheit haben, wie sie es nur von 1945 bis '49 im Atomnuklearmonopol hatten, sind sie offensichtlich im Unterschied zu damals nicht in der Lage, diese technologische Überlegenheit in politischen Gewinn oder Erfolg umzusetzen. Im Gegenteil! Die Welt, Europa und Deutschland fühlt sich zunehmend abgeschreckt von den USA, und das muss endlich in Washington zur Kenntnis genommen werden und da müssen auch entsprechende Reaktionen einmal überfällig werden.
    Breker: Die Einschätzung von Christian Hacke. Er ist Politologe und Spezialist für die transatlantischen Beziehungen. Herr Hacke, ich danke für dieses Gespräch.
    Hacke: Ich danke Ihnen auch, Herr Breker.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.