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Spionageprozess in Koblenz
Wie weit reicht Erdogans Arm nach Deutschland?

Mitarbeiter des türkischen Geheimdienstes sollen Erdogan-Kritiker in Deutschland ausspioniert haben. Nun wurde in Koblenz ein Prozess gegen das mutmaßliche Spitzeltrio eröffnet. Doch die Verteidigung hat bereits beantragt, den Prozess wieder einzustellen.

Von Anke Petermann | 10.09.2015
    Der Angeklagte Muhammed G. (rechts) sitzt am 9. September 2015 im Gerichtssaal des Oberlandesgerichts in Koblenz. Ihm und zwei weiteren Angeklagten wird vorgeworfen, in Deutschland lebende Kritiker des türkischen Staatschefs Erdogan ausspioniert zu haben.
    Muhammed G. und zwei weiteren Angeklagten wird vorgeworfen, in Deutschland lebende Kritiker des türkischen Staatschefs Erdogan ausspioniert zu haben. (picture alliance / dpa)
    Es sind vor allem türkische und türkischstämmige Journalisten, die auf dem Flur des Koblenzer Oberlandesgerichts stehen. Sie sind hier, um über den ersten Spionageprozess gegen mutmaßliche offizielle oder informelle Mitarbeiter des türkischen Geheimdienstes MIT in Deutschland zu berichten. Die Journalisten schreiben für die regierungskritische Zeitung Sözcü in der Türkei. Oder für Hürriyet, deren Redaktionsgebäude mehrfach von Erdogan-Anhängern attackiert wurde. Mehmet Özcan berichtet für Zaman über das Verfahren. Der Leiter des NRW-Landesbüros rechnet damit, abgehört zu werden.
    "Na das auf jeden Fall!"
    Der Zaman-Medienkonzern steht Erdogans Erzfeind, dem islamischen Exil-Prediger Fetullah Gülen, nahe und versorgt von Offenbach am Main aus die Gülen-Bewegung in Deutschland mit Informationen auf allen Kanälen – Nachrichtenagentur, Zeitung und Fernsehprogramm gehören dazu.
    Während im Koblenzer Gerichtssaal ein Beamter dem mutmaßlichen Agentenchef und Erdogan-Anhänger Muhammad Taha G. die Handschellen öffnet, drücken die Fotografen pausenlos auf die Auslöser. Die Gesichter müssen sie später verpixeln. Die drei Angeklagten aus Istanbul, Bad Dürkheim und Wuppertal wollen im Prozess schweigen. Auch der Bundesanwalt winkt auf die Frage nach einem Interview ab. Später vielleicht. Damit, dass der Prozess die Beziehungen Deutschlands zur Türkei weiter strapaziert, habe das Schweigen aber nichts zu tun. Wortkarg die Verteidiger. Hannes Link, Rechtsanwalt aus Karlsruhe, vertritt den Hauptangeklagten.
    "Die Untersuchungshaft ist unverhältnismäßig, die Untersuchungshaft ist rechtswidrig. Mein Mandat ist unschuldig. Gerade ihm ist an der lückenlosen Aufklärung der Vorwürfe gelegen."
    Aufklären wollen und schweigen, wie geht das zusammen? Laut Abhörprotokollen soll der mutmaßliche Führungsoffizier aus Istanbul fast täglich mit seinen Helfern in Deutschland darüber konferiert haben, wie man Erdogan-Kritiker identifiziert, um sie fertigmachen zu lassen – "vernichten" heißt es sogar einmal.
    Özcan: "'Vernichten' hat man ja gesagt. Das Wort 'vernichten' hat man benutzt!"
    Wer mit Erdogans Erzfeind Gülen verbandelt ist, gilt als Verräter
    Die drastische Vokabel ist Thema im Pausengespräch von Journalisten auf dem Flur. Schockierend vor allem für den Berichterstatter der Zaman-Medien. Mehmet Özcan weiß, dass seine Kollegen englisch- und türkischsprachiger Schwesterblättern in der Türkei schikaniert und mit politischen Prozessen überzogen werden. Wer mit Erdogans Erzfeind Gülen verbandelt ist, gilt als Verräter.
    "Das heißt Hexenjagd, und man sieht ja seit zwei Jahren schon, er macht das tatsächlich. Das ist natürlich interessant, weil man weiß: diese Hexenjagd wird auch in Deutschland weiter geführt, oder auch nicht."
    Das angeklagte Spionage-Trio hat nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft unter anderem kurdische Demonstranten in Mannheim und Angehörige der religiösen kurdischen Minderheit der Jesiden beschattet. Die demonstrierten vor einem Jahr in Bielefeld gegen den IS-Terror und Erdogans Untätigkeit. Demo-Fotos fand die Bundesanwaltschaft auf den Smartphones der Angeklagten.
    "Wenn die dann unschuldig sind und für den türkischen Nachrichtendienst MIT nicht gearbeitet haben, was haben die denn mit den Daten gemacht",
    fragt sich die WDR-Redakteurin Elmas Topcu.
    "Wofür haben sie denn diese Daten, Informationen zusammengestellt? Und wozu wollten sie diese Erkenntnisse verwenden - das sind die Fragen."
    Wie für Özcan, so ist auch für Topcu mehr als ein Job, diesen Prozess journalistisch zu begleiten. Es geht an die Existenz:
    "Gehöre ich auch zu diesen Menschen, die ausgespäht worden sind?"
    "Ich hab' mir die Frage gestellt: Gehör ich auch dazu, zu diesen Menschen, die ausgespäht worden sind? Also, das hat mich ziemlich oft beschäftigt, weil ich mich in der Hinsicht auf den deutschen Staat, auf die deutschen Behörden, verlassen möchte. Und wenn aber diese Gefahr besteht, auch in Deutschland, dann habe ich Angst davor."
    Es gibt Anlass, sich zu fürchten, weiß Mehmet Tanriverdi. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der kurdischen Gemeinde reist demnächst von Gießen nach Koblenz, um den Prozess zu beobachten. Kurdische Aktivisten müssten mit Problemen bei der Einreise in die Türkei rechnen, erzählt Tanriverdi im gefliesten Geschäftsführer-Büro seines Gießener Handelsunternehmens: Verhöre, Verhaftungen - dass die Repressalien gegen kurdische Dissidenten mit türkischen Geheimdienst-Aktivitäten zusammenhingen, mutmaßten Betroffene schon immer. "Wir sind aber keine Ermittler und konnten es nie beweisen", meint Tanriverdi. Und freut sich, dass das politisch heikle Verfahren überhaupt zustande kam:
    "So ein Prozess stört Beziehungen zwischen befreundeten Ländern, sicherlich. Aber wenn es diese Aktivitäten wirklich gab in diesem Land – und das wird rauskommen – darüber sind wir froh. Und wenn es am Ende auch die Beziehung stört – auch darüber sind wir froh. Weil etwas Richtiges gemacht wird, was es in der Vergangenheit nicht gab. Und ich bin mir sicher, dass es auch andere Fälle gab, dass es eine Spitze der Eisberges ist, was wir in Koblenz jetzt erleben."
    Vielleicht aber bleiben das Verlesen der achtseitigen Anklageschrift und die Aussagen einiger Polizeibeamter das einzige, was die Öffentlichkeit von diesem Polit-Agenten-Thriller miterlebt. Die Verteidigung hat beantragt, den Prozess einzustellen. Die Ermittlungsakten seien unvollständig, und die Ermittler hätten sich nicht an geltendes Recht gehalten. Wie weit Erdogans langer Arm reicht – noch bleibt offen, ob der Koblenzer Spionage-Prozess das klären kann.