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Spiritualität
Wie der Geist gelassen wird

Der mittelalterliche Theologen, Mystiker und Dominikaner-Mönch Meister Eckhart galt zunächst als sperrig, dann als vielfach verwendbar. Derzeit docken Buddhisten an seine Lehren an. Ein neues Übungsbuch erschließt den alten Meister auch für Anhänger moderner Spiritualität.

Von Mechthild Klein | 24.05.2019
Erfurt (Thüringen): Ein Bronzerelief (Ausschnitt) an der Predigerkirche in Erfurt erinnert an die Wirkungsstätte des Theologen und Philosophen Meister Eckhart (1260-1327),
Ein Bronzerelief (Ausschnitt) an der Predigerkirche in Erfurt erinnert an die Wirkungsstätte des Theologen und Philosophen Meister Eckhart (picture alliance / ZB / Martin Schutt)
"Gott ist immer in uns – nur wir sind selten zu Hause."
Ein Spruch wie ihn Meister Eckhart (1260-1328) heute sagen könnte. Die mittelalterliche Theologie des Dominikaner-Mönchs ist für viele ein schwer verdaulicher Brocken. Über Eckharts provokante Aussagen können sich Christen bis heute streiten oder auch begeistern. Unter den Fans sind auch viele Zen-Buddhisten. Denn manche Aussagen klingen wie ein Koan – wie eine spirituelle Rätsel-Aufgabe. Der Magister Eckhart jedoch kannte im 13./14. Jahrhundert noch nicht den Buddhismus. Er war aber mit der europäischen und islamischen Philosophie auf der Höhe der Zeit. Als Lehrmeister unterrichtete er sogar ein Zeitlang an der Universität in Paris. Hier ein Zitat Meister Eckharts aus einer Predigt.
"Darum bitten wir Gott, dass wir Gottes ledig werden."
"Das finde ich einen ganz wunderbaren Satz, weil er in der Tat etwas widersprüchlich zu sein scheint. Wir bitten also Gott darum, dass er uns von Gott befreit." (lacht), sagt Harald-Alexander Korp. In seinem Buch "Dem ruhigen Geist ist alles möglich" - setzt der Autor selbst oft die buddhistische Brille auf, um Eckhart zu erklären. Was genau meint "von Gott ledig zu werden" - Gott los zu werden?
"Das ist in der Tat eine Art buddhistisches Koan. Ein Rätsel. Und da liegt für mich eine tiefe Weisheit, weil ich es logisch nicht so richtig verstehen kann. Aber intuitiv erkenne ich doch: Aha, da meint er wahrscheinlich, dass das Konzept von Gott etwas ist, was mir im Wege steht, wenn ich das Göttliche als einen personalen Gott suchen und wahrnehmen möchte."
Das Problem mit dem Seelenheil
Meister Eckhart ist ein Theologe und Philosoph aus der Zeit der Gotik. Er beschreibt seinen Weg zu Gott, seine spirituelle Praxis in vielfältigen, neuen Bildern. Seine Sprachschöpfungen dienen dabei als Stütze. Beispielsweise spricht er von der "Geburt Gottes" in der Seele des Menschen - das steht für eine innere Begegnung mit Gott oder der göttlichen Kraft.
"Wir brauchen solche Bilder. Gleichzeitig sagt er aber auch, dass diese Bilder in sich die Gefahr bergen, dass wir uns völlig an diesen Bildern orientieren oder daran anhaften, also unfrei werden. (…) Ich brauche die Bilder, um sie dann loszulassen, das ist ein Prozess, das ist longlife learning."
Eckhart geht es um die Freiheit des Menschen. Er hat sich in seinen öffentlichen Predigten gegen Heilsversprechen gewandt, die auf einen Kuhhandel mit Gott abzielen. Nach dem Motto: Tu das und das und dann ist dein Seelenheil gerettet. Das funktioniert nicht nach Eckhart. Ein anderes Beispiel aus der Bergpredigt Jesu interpretiert Eckhart neu – Selig sind die arm im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich. Nach Eckhart ist die geistige Armut ein großer Reichtum und eine Haltung, die anzustreben ist.
Korp: "Er sagt, dass dieses arm im Geiste eben nicht heißt, dass man dumm ist oder beschränkt oder nicht in der Lage irgendetwas zu erkennen. Sondern genau das Gegenteil. Er sagt, dieses sich arm im Geiste machen zu können ist eine ungeheure Qualität. Das ist revolutionär. Und er meint, sich im mystischen Sinne, aber auch im buddhistischen Sinne zu befreien von Dingen, die uns eben reich zu machen scheinen. Also dass man meint zu wissen, was richtig und was falsch ist. Und wenn man sich von diesen Vorstellungen lösen kann, dann entsteht diese Seligkeit."
Der Autor Korp vergleicht dieses "arm im Geiste werden" mit dem Nichtbewerten aus den Achtsamkeitsmeditationen. Nicht jeder Leser mag da folgen. Doch dieser buddhistische Blick auf Eckhart kann einiges verdeutlichen an der Haltung des Theologen. Eckhart findet dafür immer neue Sprachbilder. Der Terminus absichtslos spielt da eine große Rolle. So fordert er seine Zuhörer auf:
"Nimm dich selbst wahr und wo du dich findest, da lass von dir ab. Das ist das allerbeste."
Autor Korp: "Also Loslassen von unserer Person, von dem Bild, was wir von uns selbst haben. Von dem Bild, was wir von anderen haben. Und wenn wir davon loslassen können, kommen wir in eine Gelassenheit. (...) D.h. (...)Wir urteilen nicht. Das scheint mir ganz wichtig zu sein, dass er sagt: Versucht doch mal von euren Beurteilungen wegzukommen."
Wenn man sich selbst so zurück nimmt, dann öffnen sich laut Eckhart neue Räume der Erfahrung - mit dem Göttlichen und mit der Welt. Was dann an die Stelle tritt, ist für Korp völlig klar:
"Eckhart nennt das das Entzünden des Seelenfünkleins. D.h., die Erfahrung oder der Kontakt von etwas Zeitlosem. (…) 12.30 Jedes Lebewesen hat etwas Gottgleiches in sich. (...) Meister Eckhart verwendet verschiedenste Begriffe, das Entzünden des Seelenfünkleins oder den Seelengrund. ...Er benutzt Bilder, um dem Menschen etwas Unbeschreibliches klar zu machen, vielleicht auch ein bisschen schmackhaft zu machen. Er sagt, da können wir sehr von profitieren, wenn wir in Kontakt kommen, wenn wir das in uns spüren, diese zeitlose Urkraft. Denn dann sind wir unabhängig von vielen anderen Dingen. Dann sind wir zentriert und daraus entsteht für ihn der Mensch, der befreit ist, der eine Gotteserfahrung erlebt."
Lebenslanges Üben
In Korps Buch findet man sehr viele Übungen, die Eckharts praktische Spiritualität vorbereiten sollen: Anleitungen zum Innehalten, Achtsamkeitstraining, Dankbarkeits- und Atemübungen.
"Meister Eckhart sagt, dass wir üben können, er schlägt auch Übungen vor. Jedenfalls im Ansatz. Das Einüben einer gelassenen Haltung gehört für ihn dazu. Nach meiner Erfahrung ist das ein lebenslanger Prozess."
In seiner Theologie konzentriert sich Eckhart auf den Weg nach innen und auf die Vernunft. Anleitungen zur Askese oder Lustfeindlichkeit sucht man bei dem Mystiker vergeblich. Wie viel Buddhismus oder auch Sufismus in Eckharts Predigten steckt, ist Ansichtssache. Eckhart ist eine riesige Projektionsfläche für Gottsucher und für Buddhisten – das unterstreicht auch der Autor. Das es sieben Jahrhunderte später ein Praxisbuch über seine Spiritualität mit buddhistischen Übungen gibt, darüber hätte Meister Eckhart bestimmt gelacht. Wohlwollend, versteht sich.
Harald-Alexander Korp: Dem ruhigen Geist ist alles möglich. Mit Meister Eckhart lernen, im Hier und Jetzt zu sein. Gütersloher Verlagshaus, 240 Seiten, 20 Euro.