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Sport-Großereignisse
Die Grünen: "Andere Spiele sind möglich"

Bei Sportgroßveranstaltungen wie Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften wird zunehmend über Menschenrechtsverletzungen und fehlende Nachhaltigkeit diskutiert. Schon länger setzen sich die Grünen im Bundestag für klare Vergabekriterien ein, die Menschen- und Bürgerrechte stärker berücksichtigen. Jetzt stellten sie ihr Konzept "Andere Spiele sind möglich" vor.

Von Robert Kempe | 27.09.2014
    Eröffnungsfeier in Sotschi: Ein großes Feuerwerk über dem Stadion
    Eröffnungsfeier in Sotschi: Ein großes Feuerwerk über dem Stadion (picture-alliance / dpa / Alexey Malgavko)
    Kontinuierlich widmen sich die Grünen wie keine andere Partei der zuletzt dubiosen Vergabepraxis bei Großevents im Sports. Vor zwei Jahren scheiterten sie im Bundestag noch mit einem Antrag. Demnächst soll ein neuer auf den Weg gebracht werden. Ziel sei es, den Sport wieder in den Vordergrund zu rücken, erklärte die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt. Vor allem die großen Weltverbände gelten derzeit als unglaubwürdig. Göring-Eckardt meint, "dass das Image der FIFA etwa dem Niveau des Bösewicht im James-Bond-Films entspricht."
    An einer Reform der FIFA und des Internationalen Olympische Komitees dürfe kein Weg vorbeiführen. Die Partei hat klare Forderungen: "Für uns steht fest: Wir brauchen im Internationalen Sport demokratische Entscheidungsfindungen, wir brauchen mehr Glaubwürdigkeit und wir brauchen mehr Transparenz bei den Vergabeprozessen."
    FIFA als Sinnbild
    Als Sinnbild für fehlende Glaubwürdigkeit und Selbstbereicherung gilt die FIFA mit ihrer skandalösen Vergabe der Fußball-WM 2022 an Katar. Erste Enthüllungen deuten auf einen der größten Korruptionsfälle der Sportgeschichte hin. Der Weltverband reformierte seine Ethikkommission, die nun mit zwei Kammern arbeitet - eine ermittelnde und eine rechtsprechende. Allein das ist schon fortschrittlich im Weltsport.
    Doch Theo Zwanziger, Mitglied im FIFA-Vorstand, schränkt ein: "Nur unter dem Druck der Ereignisse ist das zu Stande gekommen und hat es die dafür notwendigen Mehrheiten gegeben. Ich glaube, wenn wir morgen wieder abstimmen müssten, gäbe es die schon nicht mehr."
    Verbände sind gefragt
    Vor allem medialer Druck zwang die FIFA zum Handeln. Doch nachhaltige Veränderungen, meint Zwanziger, könnten nur aus den Verbänden selbst kommen. Das gelte, sagt der ehemalige DFB-Präsident, auch beim Thema Menschenrechte: "Der Sport hat in seinen Satzungen - das wird beim IOC und beim Deutschen Olympischen Sportbund nicht anders sein als bei den Fußballverbänden - klare wertorientierte Begriffe. Diese Begriffe mit Inhalt zu füllen, entschieden gegen Diskriminierung einzutreten, das darf nicht nur in der Satzung stehen, sondern das muss glaubwürdig rübergebracht werden. Diese Glaubwürdigkeitsdefizite muss man schließen, sonst ist das alles Heuchelei."
    Menschenrechtliche Standards würden im Sport ohnehin nicht gelten, führte Jens Siegert aus, der Leiter der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau. Ereignisse wie die Olympischen Spiele in Sotschi oder die Leichtathletik-WM im letzten Jahr hätten sonst nicht in Russland stattfinden dürfen. Putin legitimiere mit dem Sport seine Politik.
    Siegerts Forderung
    Die Argumente des Sports, der zur Abwehr immer wieder gern auf Menschenrechtsverletzungen in europäischen Ländern oder in den USA verweist, lässt Siegert nicht zählen: "Wenn wir über Menschenrechte reden, dann reden wir über Menschenrechte überall. In den USA, in Deutschland, in Afrika oder in Russland. Es gibt durchaus schon Kriterien zu beurteilen, ob irgendwo systematisch und hart Menschenrechte verletzt werden oder ob sie überhaupt nicht beachtet werden. Diese Kriterien gibt es in internationalen Organisationen. Es gibt den UN-Menschenrechtsrat, es gibt den Europarat, es gibt die OSZE. Man muss sich da Kriterien erarbeiten und schauen, wie man das beurteilen kann. Dann bin ich sehr sicher, dass es Unterschiede gibt. Zum Beispiel zwischen der nicht gutzuheißenden, schlechten Behandlung von Flüchtlingen in Deutschland und dem außergerichtlichen Töten von Oppositionellen in Tschetschenien in Russland."
    Vorgeschobene Neutralität
    Im Zweifelsfall schieben die Sportorganisationen dann doch lieber die so genannte "politische Neutralität" vor. Das demonstrierte in Berlin der DOSB-Generaldirektor Michael Vesper, immerhin Gründungsmitglied der Grünen. Sportliche Großveranstaltungen würden den öffentlichen Fokus erst auf Diktaturen lenken, argumentierte er.
    Und überhaupt: durch den Sport werde alles gut: "Wenn ein Torwart sich vor einen Zug schmeißt, diskutiert die ganze Nation über Depression und Suizidgefahren. Wenn ein Fußballtrainer sein Burnout öffentlich macht, diskutiert die Republik über Burnout. Wenn sich ein prominenter Fußballspieler bekennt, homosexuell zu sein, ist plötzlich das Thema Homosexualität in aller Munde. Ich glaube, der Sport hat wie kein zweiter die Möglichkeit auf Dinge hinzuweisen."
    Harsche Kritik an Vesper
    Von der Verantwortung und dem Versagen des Sports bei Depression, Suizid und Burnout hörte man beim Generaldirektor des DOSB nichts. Die Äußerungen Vespers zogen deutliche Kritik nach sich. Ein Partei-Mitglied der Grünen aus NRW entgegnete Vesper: "Sie schaffen das, dass Sie diesen gesellschaftlichen Voyeurismus zu Burnout und Depression, der da stattfindet, als einen Erfolg der Sportbewegung darstellen. Ich war bald geneigt, als ich Ihnen zugehört habe, tatsächlich einige von Ihren Argumenten zu übernehmen. Aber dann habe ich mein Gehirn wieder eingeschaltet, und dann ist mir klar geworden, dass das alles ein bisschen sehr interessensgelenkt ist, was Sie uns hier gesagt haben."
    Ein Fazit dieser Konferenz: Das Allheilmittel Sport hat an Überzeugungskraft verloren. Nur haben das Verbandsfunktionäre noch nicht gemerkt.