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Sport statt Insulin

Noch immer haben viele Diabetiker Angst davor Sport zu treiben. Durch ein Marathon-Projekt an der Deutschen Sporthochschule soll gezeigt werden, dass das Training einen positiven Einfluss auf die Gesundheit von Diabetikern haben kann und viele Ängste unbegründet sind.

Von Martin Schütz | 25.09.2011
    "Was ist denn heute los?"

    "Ich hab vorher noch eine Cola getrunken!"

    Wie vor jedem Training kontrolliert Gisbert Okrafka seinen Blutzuckerwert und teilt ihn einem seiner Trainer mit. Diesmal ist der Wert ungewöhnlich hoch, der zuckerhaltigen Limo sei Dank. Der 48- jährige Fliesenlegermeister aus Köln hat Routine darin, sich in den Finger zu pieksen und mit dem so gewonnenen Blutstropfen seinen Blutzucker zu bestimmen. Seit 31 Jahren ist er Diabetiker. Im ersten Jahr nach der Diagnose hat er zuerst noch regelmäßig Fußball gespielt. Das wurde aber mit dem Moment schwieriger, als sich Gisbert Okrafka Insulin spritzen musste:

    "Als ich dann ans spritzen kam ist es mir dann auch öfters mal flau geworden und dann merkt man ganz einfach, dass man schwierig damit umgehen kann. Damals war es eben schwierig, die Möglichkeiten waren einfach nicht gegeben."

    Bewegung baut Zucker im Blut ab. Das muss bei der Insulinzufuhr berücksichtigt werden, sonst sind Unwohlsein, Schwäche, schlimmstenfalls sogar Bewusstlosigkeit die Folge. Professor Ingo Froböse kennt die spezifischen Probleme sporttreibender Diabetiker und auch die daraus resultierenden Vorbehalte. Der Mediziner der Deutschen Sporthochschule weiß, dass bis vor einigen Jahren Diabetiker kaum ermuntert wurden, sich zu bewegen:

    "Da hatte man immer Angst, dass die Menschen in eine sogenannte Unterzuckerung herein geraten. Diese Unterzuckerung kann natürlich, wenn sie unkontrolliert stattfindet lebensgefährlich sein, na klar, aber mittlerweile ist die Medizin viel weiter in der Kontrolle, in der Steuerung, in der Regulation des Zuckerstoffwechsels und auch der Insulingabe, so dass diese Gefahr durch sportliche Aktivität sich einen zusätzlichen, negativen Aspekt einzukaufen, nicht mehr besteht."

    Die Deutschen Sporthochschule in Köln lotet nun die positiven Effekte für Zuckerkranke systematisch aus. Mit dem Marathon-Projekt für Diabetiker betreten die Wissenschaftler teilweise Neuland. Positive Effekte für Amateursportler und fundierte Trainingspläne fehlen bisher. Viele Erkenntnisse dienen der Grundlagenforschung, sagt Professor Hans- Georg Predel:

    "Mein Wunsch wäre es, wenn wir präzise, einfach zu bewertende Parameter entwickeln, mit denen wir Menschen mit Diabetes sagen können: Du, oder Sie sind ein Kandidat für ein ambitioniertes Laufprogramm, wie eben die Teilnehmer an diesem Marathon und sportwissenschaftlich klare Parameter erheben zu können, nach denen ein solches Programm dann auch zu konzipieren und begleiten ist."

    Um die Diabetiker keinem unnötigen Risiko auszusetzen, hat die Sporthochschule sie zu Beginn des Projekts genau unter die Lupe genommen: neben umfangreichen Untersuchungen von Gelenken, Füßen und Sehnen wurde besonders das Herzkreislaufsystem geprüft. Aus mehr als 100 Bewerbern wurden 60 Teilnehmer ausgewählt. Sowohl Typ 1 Diabetiker, wie z.B. bei Gisbert Okrafka, bei denen sich die Krankheit oft unverhofft und in jungen Jahren einstellt, als auch Typ 2 Diabetiker nehmen an dem Projekt teil. Typ 2 Diabetiker sind lebensstilbedingte Zuckerkranke, die eher wenig Wert auf gesunde Ernährung und Bewegung gelegt haben. Sie sind die große Herausforderung für den Sportmediziner Ingo Froböse:

    "Gerade Diabetiker des Typs 2, die ja meistens ein bisschen moppelig sind. Die haben ja nicht nur diese eine Erkrankung des Zuckerstoffwechsels, sondern sie sind ja an mehrerem erkrankt: häufig ist ein erhöhter Cholesterinspiegel dabei, häufig ist Übergewicht dabei, häufig ist ein erhöhter Bluthochdruck dabei."

    Seit März sind die Diabetiker im Training: Erst gab´s kleine Laufeinheiten und Krafttraining, jetzt müssen Kilometer gefressen werden. Das Programm, das die beiden Professoren entwickelt haben ist umfangreich. Immer wieder kontrollieren Ärzte die Werte und das Befinden der Sportler, das Training wird wissenschaftlich betreut. Gisbert Okrafka war zunächst erschlagen von so viel Luxus:

    "Nach der Leistungsdiagnose kam dann ein Programm, dass 5-mal die Woche Laufen beinhaltet. Schafft im Prinzip keiner der berufstätig ist. (lacht) Es gibt auch noch was anderes, es funktioniert nicht immer. Es ist schon stramm."

    Fällt aber mit der Zeit immer leichter: Die 10 Kilometer lange Runde durch den Kölner Grüngürtel nutzt die siebenköpfige Trainingsgruppe mittlerweile um zu plaudern.

    Das Training merkt Gisbert Okrafka nicht nur daran, dass er eine bessere Kondition hat, auch auf seine Zuckerwerte hat das regelmäßige Laufen einen positiven Effekt, er benötigt deutlich weniger Insulineinheiten:

    "Nach dem Sport auf jeden Fall. Spritzen danach, was ich sonst abends immer gemacht habe, die Einheiten werden weniger, das ist klar. Über Tag, am nächsten Tag auch, ist das Spritzen, die Einheiten weniger, zumindest fange ich mit weniger an, unter Umständen muss man mal was nachspritzen, wenn man doch zu viel gegessen hat. Aber man merkt schon, dass man persönlich fitter ist."

    Ingesamt 45 Euro hat Gisbert Okrafka für die Teilnahme an dem Projekt investiert. Darin ist alles enthalten, sogar die Startgebühr für den Halbmarathon im Oktober und einige Laufklamotten. Die schlackern mittlerweile, weil er schon 4 Kilo verloren hat. Das Training will er nach dem Halbmarathon reduzieren, der zeitliche Aufwand ist ihm auf lange Sicht zu hoch. Ganz darauf verzichten möchte Gisbert Okrafka aber nicht. Denn die positiven Effekte durch den regelmäßigen Sport haben den Diabetiker überzeugt.