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Sport und Kommerz
Der Olympische Geist auf Irrwegen

Baron Pierre de Coubertin hat vor mehr als einhundert Jahren die Olympischen Spiele wiederbelebt. Um den Sport zu adeln und zu stärken, für die Ehre und gegen den Profit. Davon ist heute im Sport nichts mehr zu erkennen. Wo in der Geschichte wurzelt diese Liebesbeziehung zwischen Sport und Kommerz?

Von Jürgen Kalwa | 26.12.2016
    Der ehemalige Langstreckenläufer Vanderlei Cordeiro de Lima enzündet im Maracana-Stadion das Olympische Feuer
    Heute steht häufig nicht mehr der Sport, sondern der Kommerz im Mittelpunkt von Großveranstaltungen. (picture alliance / dpa / Lehtikuva)
    Eigentlich war die Idee von Baron Pierre de Coubertin nicht schlecht, für die es ihm gelang, im Juni 1894 Vertreter von Sportorganisationen aus zahlreichen Ländern zu einem Kongress in Paris zusammenzutrommeln. Das ausgehende Jahrhundert hatte so etwas wie "die logische Kulmination einer großartigen Bewegung” zustande gebracht, wie er sagte. Durch sie war der "Sinn für Leibesübungen wiederbelebt” worden.
    Und diese Bewegung sollte nun – im ganz großen Rahmen – auf einen Sockel gehievt werden:
    "...mit großem Stolz ankündigen zu dürfen, dass von heute an gerechnet in zwei Jahren, am 5. April 1896, unter der gnädigen Schirmherrschaft seiner Majestät, König Georgs von Griechenland, die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit ausgetragen werden. Und zwar in Griechenland. In Athen.”
    Sportler gehörten zu den besseren Kreisen und durften kein Geld annehmen
    So stellten sich vor ein paar Jahren die Macher eines amerikanischen Fernsehfilms den historischen Augenblick vor, in dem der umtriebige Coubertin den internationalen Sport auf den Weg brachte – zu einem Spiel ohne Grenzen.
    Geprägt vom Zeitgeist, versteht sich. Sportler waren damals hauptsächlich Adelige, Angehörige der besseren Kreise, Offiziere und Studenten. Und die hatten keine Lust auf die aufkeimende Konkurrenz aus der Arbeiterklasse. Die konnte man am besten mit dem strengen Amateurkodex abwimmeln, der Sportlern untersagte, Geld anzunehmen – "aus welcher Quelle dies auch stammt”.
    Und Exempel wurden statuiert. Wie im Fall des besten Athleten seiner Zeit, des Amerikaners Jim Thorpe. Der war 1912 in Stockholm im Zehnkampf und leichtathletischen Fünfkampf Doppel-Olympiasieger geworden. Wenige Monate, nachdem er bei seiner Rückkehr in New York mit einer Konfetti-Parade empfangen worden war, wurden ihm seine Goldmedaillen aberkannt. Thorpe hatte Jahre zuvor nämlich Baseball gespielt. Und zwar für Geld.
    Ehre und Pomp als Salär
    Im Tausch für Monetäres offerierte Coubertins Bewegung ganz viel Ehre und Pomp – symbolschwanger wie die fünf olympischen Ringe oder der schwülstige olympische Eid. "En nom de tots els competidors, prometo que participarem en aquests Jocs Olímpics... ...einem Sport ohne Doping und...the true spirit of sportsmanship, for the glory of sport and the honour of our teams..."
    Der zeigt bereits, wie groß die Lücke ist, die zwischen Anspruch und Realität klafft. Man ließ sich zum Beispiel widerstandslos von der Politik vereinnahmen. Wie beim Propaganda-Programm der Nazis von 1936.
    "Ich verkünde die Spiele von Berlin zur Feier der XI. Olympiade neuer Zeitrechnung als eröffnet.”
    So wie auch später im Wettstreit der Systeme im Kalten Krieg. Als Sport als perfekte Projektionsfläche dienen konnte, wie beim Außenseiter-Sieg junger amerikanischer College-Boys – also wahrer Amateure – gegen bestens eingespielte Sportoffiziere der Roten Armee, die nichts anderes waren als wirkliche Profis. Dieser Eishockey-Sieg 1980 in Lake Placid wurde zu einem wahren Wunder verklärt.
    "Five seconds left in the game. Do you believe in miracles? Yes”.
    Gewinnen und nicht mehr dabei sein ist alles
    Seitdem sind die ideologischen Fronten zwischen Kapitalismus und Sozialismus allerdings verschwunden. Der Kapitalismus hat gewonnen. Und wie. Die Amateurbestimmungen wurden sukzessive abgeschafft und die Schleusen für Geldströme in Milliardenhöhe geöffnet, die von einem einzigen Rechtfertigungsnachweis leben: Nein, nicht mehr dabei sein ist alles, sondern das Gewinnen. Jeder darf sich nun – und muss es wohl auch – unverhohlen vermarkten: als Galionsfigur einer neoliberalen Pseudoethik.
    Man tut, was man kann. Auch mit Hilfe verbotener Mittel. Im Doping-Sumpf baden, so sagen es plausible Studien und einige Sportler, die sich auskennen, knapp die Hälfte der Aktiven mit. Der Leistungsbetrug hat mafiöse Netzwerke produziert, teilweise sogar unter staatlicher Obhut. Wie Richard McLaren im Auftrag der Welt-Antidopingagentur WADA ermittelte.
    Mehr als 1.000 russische Sportler waren demnach Teil einer großen Manipulationsmaschine. Was zu der Zahl passt, die bei Nachtests von Urinproben der Spiele 2008 und 2012 zutage kam. Nachträglich erwischt wurden fast 100 Athleten: darunter zahllose Medaillengewinner.
    Ein Milieu, in dem Betrug gerne heruntergespielt wird
    Und das alles in einem Milieu, in dem sich hochrangige Funktionäre immer wieder entweder schamlos selbst bedienen oder Schmiergelder zustecken lassen. Ein Milieu, in dem man alle Probleme - auch den krebsartigen Wettbetrug - gerne herunterspielt. In dem große Sportausrüster, die wichtigsten Profiteure von Sport heute, so tun, als seien sie für rein gar nichts verantwortlich, was schief läuft.
    So verzichtet Weltmarktführer Nike nonchalant darauf, sich am teuren Anti-Dopingkampf zu beteiligen, und reagiert jedes Mal, wenn einer der mit dem Unternehmen vertraglich verbundenen Athleten überführt wird, als würde man sich nur widerwillig von ihm trennen.
    Was hatte Coubertin gesagt? Weshalb hatte er die Idee Olympischer Spiele wiederbelebt? "Um den Sport zu adeln und zu stärken”, hatte er geschrieben. Um "seine Unabhängigkeit und seinen Bestand zu sichern, damit er auf diese Weise besser die erzieherische Rolle wahrnehmen kann, die ihm in der modernen Welt zukommt.”
    So kann man sich irren.