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Sportjahr 2016
Salz und Suppe

2016 sei ein sauber versalzenes und an allen Ecken und Anstoßkreisen versupptes Sportjahr gewesen, meint Jürgen Roth. Für 2017 müsse man die Hoffnungen unverdrossen auf die fröhlich weiter vor sich hin werkelnden Funktionärskamarillen, auf die durch die Medien watschelnden Monetenmastganter und auf die Orientierungslaufweltmeisterschaften in Estland setzen.

Von Jürgen Roth | 01.01.2017
    Artisten während der Eröffnungsfeier für die Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiero
    Eröffnungsfeier in Rio de Janeiro (JAVIER SORIANO / AFP)
    "Man muß" ja, wie wir im April aus dem Munde von Philipp Lahm vernahmen, "nicht immer das Salz in der Suppe suchen." Daher wollen wir auch nicht auf dem – so sieht’s Johannes John vom Magazin Der Tödliche Paß – "unüberbietbaren Tiefpunkt des Jahres" herumturnen, auf Katrin Müller-Hohensteins Frage, die sie nach der womöglich noch von Michel Platini angeordneten Pleite gegen Frankreich Joachim Löw stellte: "Wurde vorher auch über eine Niederlage gesprochen?"
    Sondern nachträglich begrüßen möchten wir, daß 2016 laut der Gratiszeitschrift Mix am Mittwoch in Frankfurt am Main erstmals drei "Frankfurt Hero" genannte Wettkämpfe "für echte Helden" stattfanden, denn wir haben noch nicht genug Sport; des weiteren, dass Fälle von Manipulation und Wettbetrug im Profitennis exponentiell zunehmen; dass das Tischtennis im Berichtsmonat Februar nachzog, da ruchbar wurde, wie die Chinesen die Beläge ihrer Schläger mit Chemikalien frisieren; und dass auch unser geliebter Radsport nicht erschlaffte und im Arbeitsgerät einer belgischen Fahrerin ein elektrischer Hilfsmotor auftauchte, der wohl nicht als Bremskraftverstärker fungierte (die Ausrede hätten wir allerdings charmant gefunden).
    Einen Dank entbieten wir dem klugen Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg, der seinen mit Elektrobooster ausgestatteten Kübel nach dem Titelgewinn im Hof abstellte und dem ewigen Stress und Krampf adieu sagte. Sowie verbeugen müssen wir uns ausnahmsweise vor dem insgesamt keineswegs koscheren Diskuswerfer Robert Harting, der Ende Juli vorbildlich herumwütete. Er "verabscheue diesen Menschen", diesen Weltsportführer Thomas Bach, "er ist für mich Teil des Dopingsystems", er "schäme" sich für ihn und fühle "sich mißbraucht". In summa: "Das ist eklig."
    Mehr davon, bitte.
    Prompt lieferten einerseits die Sportler ab – etwa die Randalierer und Lügner rund um den US-Starschwimmer Ryan Lochte –, andererseits die Reibachmacher vom IOC, zum Beispiel der Thomas-Bach-Spezi Patrick Hickey aus Irland, den die Behörden wegen des Verdachts des Schwarzhandels mit Eintrittskarten einlochten. Dessen Landsmann Michael Conlan, seines Zeichens Boxer, brüllte nach einer Punktniederlage herum, der Boxweltverband sei "eine Bande von Betrügern", präziser: von "verdammten Betrügern" und "korrupten Bastarden, das läuft alles mit Bezahlung". Was der – ebenfalls aus Irland stammende – Ringrichter Seamus Kelly bereits am 1. August gegenüber dem "Guardian" bestätigt hatte.
    Brauchen wir Olympia?
    Es lief also abermals alles wie geschmiert. Die FAZ hakte den kapitalen Käse unter dem Rubrum "Radikalisierung des Zynismus" ab und grübelte wenig später trotzdem aufs neue: "Wozu noch Olympia?" Das nämliche umtrieb den ARD-Beachvolleyballexperten Julius Brink, der in Anbetracht des scheinheiligen Gequakes über "olympische Werte" und der rabiaten Ressourcenvergeudung fragte, wofür man Olympia überhaupt brauche.
    Na, damit wir währenddessen und hinterher Tag um Tag über den Leichtathletikweltverband und Sebastian Coes Good-Governance-Initiative lachen und über die im McLaren-Report aufgespießten, zumal russischen Dopingherolde feixen können, über die journalistischen Social-Media-Nulpen, die der Deutsche Olympische Sportbund unterdessen gleich selbst entsendet, und über den seit Rio freigeschalteten TV-Kanal Olympic Channel, auf dem von morgens bis abends ausschließlich olympischer Bewegungsdreck runtergenudelt wird; sowie darüber, daß Thomas Bach, der Flash Gordon des Sporttreibens, im November ausgerechnet wem in Aussicht gestellt hat, künftig die Spiele auszurichten und final in die Grütze zu reiten?
    Dem lieblichen Lande Katar. Pointen setzen kann er.
    Herr Michael Vesper, von dem wir eigentlich nichts mehr hören wollten, heuchelte im Dezember großes Entsetzen und bezeichnete die Ergebnisse des zweiten Teils des McLaren-Epos als "Angriff auf die Integrität des Weltsports". Da mochte sich der Weltfußball nicht lumpen lassen und legte rasch die Football-Leaks betreffs allzu überraschender Praktiken der Steuervermeidung, wahnwitziger Spielergehälter und Beraterprovisionen in Donald-Trump-Dimensionen nach; was den Spiegel im Gespräch mit dem FIFA-Oberfiffi Infantino besorgt eruieren ließ, die "Integrität des Spiels" stehe, ähem, auf dem Spiel. Daraufhin der ehemalige Blatter-Infant: "Wir haben bei der FIFA ein neues Stakeholder-Komitee eingerichtet, das Anfang nächsten Jahres zum erstenmal tagen wird." Hurra. Denn "die Integrität des Spiels muß für uns ausschlaggebend sein". Helau.
    Ein versupptes Sportjahr
    Voilà, ein sauber versalzenes, ein an allen Ecken und Anstoßkreisen versupptes Sportjahr war’s. Für 2017 setzen wir unsere Hoffnungen unverdrossen auf die fröhlich weiter vor sich hin werkelnden Funktionärskamarillen, auf die durch die Medien watschelnden Monetenmastganter und auf die Orientierungslaufweltmeisterschaften in Estland, auf dass wir, nicht wahr, den Überblick nicht verlieren und zur Not – um mit Leo Windtner, dem Präsidenten des österreichischen Fußballverbandes, nach vorne zu schauen – unser "Mind-Set neu aufstellen". O yeah. Laßt uns im Frühling unsere Mind-Sets auf der Veranda neu aufstellen, Leute!