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Sportstadt Kiel
Von der Handballhochburg zur Fußballstadt?

Kiel war in den letzten Jahrzehnten die deutsche Handballstadt. Doch nun gibt es für den THW durch den Zweitliga-Aufstieg der Fußballer von Holstein Kiel echte Konkurrenz um Zuschauer und Sponsoren. Wird der THW Kiel nun vom übermächtigen Fußball erdrückt?

Von Johannes Kulms | 29.10.2017
    Christian Zeitz (THW Kiel, links) wirft einen Handball, Dominik Schmidt (Holstein Kiel, rechts oben) köpft einen Fußball
    Christian Zeitz (THW Kiel, links) und Dominik Schmidt (Holstein Kiel, rechts oben) in Aktion (dpa/picture alliance/Silas Stein und Hasan Bratic)
    Die Kieler Touristeninformation achtet aufs Gleichgewicht: zwei kleine Regalreihen mit Fanartikeln vom Handballverein THW Kiel. Zwei für die Fußballer von Holstein Kiel. Und dann gibt es da noch ein Fach, das sich beide Clubs teilen. Tassen, Mützen, Handtücher und Brotdosen mit dem Vereinslogo werden hier von Einheimischen wie Touristen gekauft.
    Auf einem Schal steht in breiten Buchstaben das Wort "Aufsteiger". "Das ist der Aufstiegsschal von Holstein Kiel. Der wird natürlich sehr gut nachgefragt. Und die Fans reißen uns den förmlich aus den Händen", erzählt eine Verkäuferin.
    Lange Durststrecke der Fußballer endete
    Am 13. Mai war klar: Eine 36 Jahre lange Durststrecke geht zu Ende, Holstein Kiel kehrt in die Zweite Fußball-Bundesliga zurück. Und steht dort derzeit blendend da, mischt mit im Kampf um die Aufstiegsplätze. Die Geschäftsstelle und das moderne Trainingsgelände der "Störche" liegen im Kieler Stadtteil Projensdorf. Hier hat Wolfgang Schwenke sein Büro. Früher war der 49-Jährige ein Spitzenhandballer, spielte viele Jahre lang beim THW Kiel.
    Dann wechselte der knapp zwei Meter große Hühne die Sportart und heuerte 2009 bei Holstein Kiel als Geschäftsführer an. Mehrere Jahre in der vierten und dritten Liga vergingen. Den nun geglückten Aufstieg in die zweite Bundesliga sieht Schwenke als Ergebnis von jahrelanger kontinuierlicher Arbeit. Und doch nimmt auch er derzeit einen Hype um den Club wahr. Er sagt: "Wenn du erfolgreich bist, ist das sexy. Leute scharen sich natürlich um erfolgreiche Sachen."
    Sponsorenzahl vervierfacht
    Rund 10.000 Besucher kämen inzwischen im Schnitt zu den Heimspielen, sagt Schwenke. Damit hat Holstein bei den Zuschauerzahlen gleichgezogen mit den Handballern vom THW. Auch bei den Sponsoren hat der Verein über die Jahre eine steile Kurve nach oben genommen. Waren es 2009 noch 70 sind es inzwischen mit 270 fast viermal so viel. Seit dem Aufstieg schauen nicht nur viele Journalisten sehr neugierig auf Holstein – oftmals neugieriger als auf den THW.
    Schwenke sagt: : "Ich glaub', wir kämpfen ja beide um Sportsponsoring. Also um Partner, die sich im Sport dann engagieren wollen. Ich glaube, dass beide Bestand haben können aber natürlich ist man auch in einer Konkurrenz, das ist nicht wegzudenken. Aber das ist keine negative Konkurrenz."
    Kiel war eine untypische Sportstadt
    Kiel sei lange Zeit keine typische deutsche Sportstadt gewesen, sagt Jens Flatau, das ändere sich aber gerade. Flatau ist Professor für Sportökonomie und Sportsoziologie an der Christian Albrechts Universität Kiel.
    Flatau hält es für möglich, dass die vielen Erfolge des deutschen Handball-Rekordmeisters THW andere Sportarten in den Schatten gestellt hätten – so wie es anderswo oft der Fußball tut. "Das kann gut sein. Weil der Erfolg vom THW Kiel ja wirklich außergewöhnlich war. Vielleicht hat es deshalb auch so lang gedauert, dass Holstein Kiel wieder in die höheren Ligen aufgestiegen ist", sagt Flatau.
    Andererseits laufe in der Stadt in Zeitraffer gerade das ab, was sich bundesweit seit vielen Jahren beobachten lasse, "dass der Fußball also praktisch immer populärer wird auch im Bereich des Nachwuchssports noch Kinder sehr gut attrahieren kann. Wohingegen andere Sportarten eher hier den Zuspruch verlieren. Sowohl medial als auch was den Nachwuchs angeht."
    Nach dem geglückten Aufstieg der Kicker stellten die Stadt Kiel und das Land Schleswig-Holstein rasch einen Betrag von 8,7 Millionen Euro zur Modernisierung des Stadions bereit. Dadurch werde eine hochgradig kommerzialisierte Sportart mit Steuergeldern subventioniert, erinnert Flatau. Gleichzeitig gibt die Landesregierung die gleiche Summe für die Sanierung von Sportstätten im ganzen Bundesland aus.
    Auch wenn dies nur eine vergleichsweise kleine Summe sei, geben es doch ein Signal, sagt Flatau: "Ja, wir haben hier für einen Verein, für eine Sportart eine große Summe Geld ausgegeben. Aber wir wollen doch, dass das verstanden wird als Sportförderung, also als Förderung für den Sport als ganzes."
    Dem THW fehlt vor allem der sportliche Erfolg
    Wer in diesen Tagen Medienanfragen an die beiden offiziellen Fanclubs von THW Kiel stellt zum Miteinander der beiden Vereine, erhält Absagen. Zu vieles sei in den letzten Wochen falsch dargestellt worden von den Journalisten, so die Begründung. Man ist verunsichert. Doch habe das weniger mit dem plötzlichen Auftauchen von Holstein Kiel als Mitbewerber um Zuschauer und Sponsoren zu tun.
    Christian Robohm, der THW-Pressesprecher sagt: "Wir haben jetzt gerade eine sportlich schwierige Situation, die man auch so in dieser Form in Kiel nicht gewohnt ist aus den vergangenen Jahrzehnten. Darum müssen wir uns jetzt erst mal kümmern, tatsächlich."
    Derzeit steht der THW auf Rang 9 der Tabelle, die Meisterschaft ist praktisch abgehakt. Würden die Kieler die Qualifikation für die Champions League verpassen, entgingen dem Verein Einnahmen aus Werbung und Heimspielen in Höhe von rund einer Million Euro. Die THW-Führung hat bereits deutlich gemacht, dass man sich in diesem Fall von dem einen oder anderen Spieler trennen müsse. Bleibt es auch in den nächsten Jahren sportlich eher mau beim THW, mache dass die Sponsorensuche auf lokaler Ebene nicht einfacher, so Pressesprecher Robohm:
    "Wenn der THW Kiel fünf Millionen Euro im Jahr hat und Holstein Kiel braucht jetzt auch fünf Millionen aus dem lokalen Bereich, dann ist in einem Markt, wo vorher vielleicht insgesamt nur fünf Millionen vorhanden waren, jetzt nicht auf einmal das doppelte da. Natürlich ist der Wettbewerb hart", sagt Robohm. Der THW tut also gut daran, sich verstärkt auf überregionale Sponsorensuche zu machen. Doch am meisten brauche der Verein eines, so Robohm: Den sportlichen Erfolg.
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