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Sportwissenschaft
Trauer um Ommo Grupe

Er war ein Schüler Carl Diems und baute als Professor für Sportwissenschaft in Tübingen nach 1968 eine der einflussreichsten Schulen auf. Auch in der Sportpolitik übte Ommo Grupe großen Einfluss aus. Nun ist er im Alter von 84 Jahren gestorben.

Von Erik Eggers | 28.02.2015
    Ommo Grupe, Sportwissenschaftler
    Ommo Grupe, Sportwissenschaftler (dpa/picture alliance/Arne Dedert)
    Als "Nestor der Sportwissenschaften in Deutschland" ist Ommo Grupe in den letzten Jahren bezeichnet worden. Darüber dürfte der Tübinger Sportpädagoge, der am 4. November 1930 in der ostfriesischen Provinz zur Welt kam, geschmunzelt haben. Der eigentliche Begründer dieser Wissenschaft war, so sah er es, der Sportfunktionär Carl Diem, der nach dem Zweiten Weltkrieg die Sporthochschule in Köln neu belebte. Ihn verehrte Grupe Zeit seines Lebens als Lehrer; bei ihm hatte er seine Diplomarbeit "Der Sport im Dienste der Gemeinschaftserziehung" geschrieben.
    Es war der Start einer außergewöhnlichen Laufbahn. Denn nach dem Tod Diems avancierte Grupe zu einem der bedeutendsten deutschen Sportwissenschaftler. 1968 besetzte er einen Lehrstuhl für Sportwissenschaft an der Universität Tübingen, von dort baute er eine einflussreiche sportwissenschaftliche Schule auf. Er publizierte enorm viel, insbesondere zur Sportpädagogik und zu ethischen Fragen des Sports.
    "Nur ein Leistungssport, der nicht den Maximen der Unterhaltungsbranche und politischen Vorgaben folgt, sondern seine eigenen Erlebnis- und Erfahrungsformen entwickelt, bleibt seiner pädagogischen Idee treu."
    So lautete das Credo Grupes am Ende seiner akademischen Laufbahn. Seine Wirkungskraft war vorher so groß, weil er, wie auch sein Schüler Helmut Digel, sich nicht nur im Elfenbeinturm der Sportwissenschaft versteckte. Grupe zählte schon in den frühen 1970er Jahren zu den einflussreichsten Funktionären des deutschen Sports: Er gehörte zwei Jahrzehnte lang zum Präsidium des Deutschen Sportbundes, zwischen 1986 und 1994 als Vizepräsident. Und er wurde zum Vorsitzenden des Direktoriums des Bundesinstituts für Sportwissenschaft berufen, das nach 1970 als staatliche Behörde sportwissenschaftliche Projekte finanzierte.
    1976, als die westdeutsche Öffentlichkeit erstmals eine Debatte über Doping führte, leitete Grupe die sogenannte Dreierkommission, die im Auftrag des Deutschen Sportbundes und des Nationalen Olympischen Komitees Handlungsempfehlungen ausarbeiten sollte. Die "Grundsatzerklärung für den Spitzensport" vom 11. Juni 1977 war sein Werk. Darin hieß eine Passage:
    "Ärztliche Indikation kann sich dabei zum Beispiel auch auf sogenannte Wettkampfhilfen oder die sogenannte 'Substitution' nach Wettkämpfen oder Training unter Höchstbelastung, also auf Ersatz von Substanzen, die in übergroßem Maße verbraucht werden, beziehen."
    Das war im Grunde ein Doping-Freibrief für die Sportmedizin. Die Neufassung der Grundsatzerklärung von 1983 aus der Feder Grupes war deutlich rigider. Aber mit der Forderung, dass sich die Teilnahme von Sportlern an Wettkämpfen nicht allein an der Endkampfchance bemessen dürfe, konnte sich Grupe nicht durchsetzen.
    Seine Rolle als Sportpolitiker hat Grupe deshalb nach seiner Emeritierung sehr selbstkritisch reflektiert. Die Grundsatzerklärungen, konstatierte Grupe im Jahr 2012 mit großer Resignation, seien "fast wirkungslos" geblieben. Am Donnerstag ist Ommo Grupe im Alter von 84 Jahren gestorben.