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Spottskulptur
"Die Welt schaut auf Wittenberg - und sieht eine Judensau"

Das judenfeindliche Relief an der Wittenberger Stadtkirche erregt Aufsehen: Jeden Mittwoch fordern Teilnehmer einer Mahnwache, die "Judensau" zu entfernen. Die Gründe für den Protest sind zweifelhaft, die Gründe für den Erhalt des Kunstwerks allerdings auch.

Von Christoph Richter | 24.05.2017
    Die antisemitische Skulptur an der Sankt Marien Kirche in Wittenberg
    Die antisemitische Skulptur an der Sankt Marien Kirche in Wittenberg (dpa/picture alliance)
    "Also der Charakter ist stille Mahnwache, wir wollen nicht laut sein ..."
    "Nach Auschwitz an der Judensau festhalten?" oder "Die Welt schaut auf Wittenberg – und sieht eine Judensau". Zwei von zwanzig Bannern, die etwa 50 Frauen und Männer auf dem Wittenberger Marktplatz in die Höhe halten. Mitglieder des "Bündnis zur Abnahme der 'Judensau' im Reformationsjahr 2017". Sie protestieren, dass die Wittenberger Stadtkirchengemeinde unvermindert an der antijüdischen Schmähskulptur festhält. 1305 wurde diese, also im tiefsten Mittelalter und lange vor Martin Luther an der südlichen Kirchen-Außenmauer in etwa acht Meter Höhe angebracht. Man sieht, wie Juden an den Zitzen von Schweinen saugen und trinken, ein Rabbiner macht sich unter dem Schweineschwanz zu schaffen.
    Von der Kirche ins Museum
    Angeführt wird die Protestbewegung von dem Leipziger Pastor Thomas Piehler. Einst Adventist, jetzt Protestant. Seit Jahren setze er sich für die Versöhnung zwischen Juden und Christen ein, sagt er. Und fordert in Wittenberg lautstark – während drum herum die letzten Vorbereitungen für den Kirchentag laufen - eine Abnahme des "Schandmahls", wie er es formuliert.
    "Natürlich nicht in der Form einfach runterhacken, sondern abnehmen und in ein Museum überleiten. Wo man noch mal wissenschaftlich über den Antisemitismus Luthers nachdenkt und den Generationen danach, eine Chance gibt, sich damit zu beschäftigen und zu distanzieren."
    "Die Verspottung der Juden hat an der Kirche keinen Platz"
    Die Wittenberger Kirchgemeinde St. Marien setzt sich seit 1988, also schon seit DDR-Zeiten mit der Spottskulptur auseinander. Schon damals hat man unterhalb der Plastik ein künstlerisches Mahnmal in den Boden eingelassen. Eine aufbrechende Bronzeplatte durch die symbolisch Blut quillt, das an den Tod von 6 Millionen Juden während der Shoah erinnern soll. Protest-Organisator Piehler interessiert es nicht. Besucher würden es kaum wahrnehmen, sagt er.
    "Das war für die damalige Zeit ein wichtiger Schritt, ist ja in der DDR-Zeit gewesen. Aber wir glauben, dass so eine Verspottung der Juden nicht an der Kirche seinen Platz hat."
    Das Krebsgeschwür des Antisemitismus
    Angestoßen hat die neuerliche Debatte um die Beseitigung des Schmäh-Skulptur, im Herbst vergangenen Jahres, der in London lebende messianische Jude Richard Harvey. Er vergleicht die Wittenberger Schmäh-Skulptur und den darin zum Ausdruck kommenden Antisemitismus mit einem Krebsgeschwür. Das könne nur behandelt werden, wenn es radikal rausoperiert werde, sagt er. Dieser Lesart hat sich das "Bündnis zur Abnahme der 'Judensau' im Reformationsjahr 2017" angeschlossen. Maßgeblich unterstützt wird es von Schwestern der Evangelischen Marienschwesternschaft aus Darmstadt. Eine klerikale Kommunität, die nach sehr autoritären – andere sagen: repressiven - Regeln lebt.
    Für die 77-jährige Schwester Joella Krüger ist die Wittenberger Mahnwache nicht nur ein Zeichen gegen den herrschenden Antisemitismus hierzulande. Mehr noch, man wolle damit explizit Flüchtlinge ansprechen, die allesamt antisemitisch seien, erläutert Joella Krüger von der Evangelischen Marienschwesternschaft.
    "Weil viele mit dem Hintergrund jetzt in unserem Land sind. Und Sie wissen, dass Flüchtlinge vielfach ein solchen Hintergrund haben. Die sind so ähnlich erzogen wie die Menschen unter Hitler."
    Die Wittenberger schauen bei diesen Worten etwas irritiert. Diskutieren. Schütteln den Kopf.
    Sie fühlen sich bevormundet. Tenor: Man könne uns doch nicht sagen, wie wir handeln sollen, die wir uns doch schon lange mit dem Thema auseinandersetzen.
    "Das ist für mich haarsträubendes , sinnloses, übelstes Jakobinertum", schimpft Helmut Pönicke. Ein früherer SED-Genosse, wie er ungefragt erzählt. Bereits in den 1980er-Jahren haben die Gemeindemitglieder kontrovers über das diskriminierende Kunstwerk "Judensau" debattiert, so der 64-jährige Pönicke.
    Schmähbild als Mahnung
    Ähnlich sieht es Margot Kohn. Sie ist 77, eine frühere Krankenschwester. Sie wurde in der Stadtkirche konfirmiert und getraut, erzählt sie stolz. Und ergänzt, dass es an etwa 30 Kirchen in Deutschland solche Schmähbilder gebe. Einfach runterreißen? Das wäre doch Bilderstürmerei sagt sie.
    "Diese Plastik gab es schon vor Luther. Und ich meine, wir müssen es ertragen, dass es sowas gab. Es ist schlimm, diese Plastik. Aber dieses Ertragen, dass es solch eine Situation vor Hunderten von Jahren gab, damit müssen wir fertig werden. Und das wird uns jeden Tag vor Augen gehalten."
    Unterstützung bekommen die Wittenberger von der Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Ilse Junkermann. Auch sie hat sich für den Erhalt der "Judensau" ausgesprochen, es müsse "als Erinnerungs- und Mahnzeichen stehen bleiben."
    Dirk Hoffmann, der AfD-Kreisvorsitzende in Wittenberg, hat im Internet eine Petition zum Erhalt der Schmähplastik gestartet. In den Stadtrat hat er einen Antrag eingebracht, dass sich die Stadträte gemeinschaftlich für den Erhalt stark machen sollten.
    "Es kann nicht sein, dass Menschen von sonst woher in der Welt darüber entscheiden, was hier hängt oder nicht hängt. Das geht diese Leute schlichtweg nichts an."
    Die Gegner der "Judensau" ficht das nicht an. Sie werden auch an diesem Mittwoch wieder ihre Mahnwache abhalten.