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Sprache denken

Martin Heidegger, einer der politisch umstrittensten Philosophen des 20. Jahrhunderts, war der sprachmächtigste und mit der Literatur vertrauteste Denker seiner Zeit. Wie kein anderer hat er versucht, Tiefenschichten der Dichtung philosophierend zu erforschen.

Von Hans-Jürgen Heinrichs | 11.02.2009
    Anders gesagt: Dichten und Denken in ihrer ursprünglichen Nähe in immer neuen Anläufen zu thematisieren und dies nicht in einer abgehobenen begrifflichen Terminologie, sondern in Form eines sich an die Dichtung anlehnenden Sprechens.

    Der Leser der aus dem Nachlass veröffentlichten Texte (unter dem Titel "Gedachtes") kann nun teilhaben an diesem Wagnis einer sich von der Philosophie auf die Dichtung zu bewegenden Ausdrucksweise. An Friedrich Hölderlin hat Heidegger seinen Umgang mit der Sprache besonders intensiv geschult. Beispielhaft mag dafür ein Gedicht Hölderlins stehen, das Heidegger einmal öffentlich vorgetragen hat:

    "Aber in Hütten wohnet der Mensch, / und hüllet sich ins verschämte Gewand, / denn inniger ist achtsamer auch / und dass er bewahre den Geist, / wie die Priesterin die himmlische Flamme, / dies ist sein Verstand. / Und darum ist die Willkür ihm / und höhere Macht zu fehlen und zu vollbringen / dem Götterähnlichen, / und darum ist der Güter Gefährlichstes, / die Sprache dem Menschen gegeben, / damit er schaffend, zerstörend, und untergehend, / und wiederkehrend zur ewiglebenden, / zur Meisterin und Mutter, / damit er zeuge, was er sei / geerbt zu haben, / gelernt von ihr, / ihr Göttlichstes, die allerhaltende Liebe."

    Mithilfe der Sprache legt der Mensch Zeugnis ab von seinem Wesen, das schafft und zerstört, untergeht und wiederkehrt. Ganz in diesem Sinn sind die wichtigsten Wörter in dem vorliegenden Band: Sprache und Denken als Weg oder Weg im Unterwegs, Andenken, der Anfang des Denkens, Denken und Seyn.

    Die Art, in der Heidegger hier das Denken zum Thema macht, gleicht einer meditativen Vergegenwärtigung, aus dem Augenblick heraus gedacht, und doch aus einer intensiv erlebten Traditionsverbundenheit mit der Philosophie formuliert, darauf vertrauend, dass dem Leser der Ton und die geistige Welt des Abendlandes vertraut sind. Es sind keine eingängigen Strophen, sondern widerborstige, sich vehement gegen das leichte Verstehen wehrende Denk-Aufrufe. Zum Beispiel:

    " Wie ein Denken dem Dichten
    an die Hand zu gehen,
    für es zu handeln versucht -
    im verhaltenen Dienst eines anderen Sagens.
    Denken - Weg im Unterwegs,
    das bildlos dichtet,
    irrend lichtet.
    Weg - der niemals ein Verfahren
    ...
    kein Beweisen kennt, Vermitteln flieht. "

    Die Texte bewegen sich im Spannungsfeld von Fragment, Aphorismus, dichterischer Anrufung, Prosagedicht und gedanklicher Poesie. Für Heidegger war diese Form jenseits von Aussagesätzen und unter Vermeidung jeglicher Füllwörter sehr wichtig. Einmal notiert er:

    "Dem äußeren Anschein 'Verse' und Reime - sehen die Texte aus wie 'Gedichte', sind es jedoch nicht; ebenso wie vom 'poetischen Gedicht' unterscheiden sie sich auch vom 'Lehrgedicht', da sie keine 'Lehre' in Versen bringen. Eher verwandt dem Spruch der frühen Denker."

    Eine besonders große Nähe zu Heidegger als einem Denker, der sich im Innersten von der Dichtung berühren lässt, beweisen Peter Sloterdijk in seinen zahlreichen Kommentaren und Rüdiger Safranski in seiner Biographie "Ein Meister in Deutschland. Heidegger und seine Zeit", die gerade in einer Neuauflage erschienen ist. Safranski erinnert auch an die ergreifenden Begegnungen zwischen Heidegger und dem Dichter René Char, in dessen Haus in der Provence, einer Landschaft, die für den Philosophen zu einem zweiten Griechenland wurde.

    "René Char war Heidegger dafür dankbar, dass er den Blick wieder frei gemacht habe für das Wesen der Dichtung, die nichts anderes sei als 'die Welt an ihrem besten Ort'."

    Die in diesem Band gesammelten philosophisch-poetischen Spruch- Weisheiten gliedern sich in vier Teile:
    I. Frühe Gedichte-Briefe-Gedachtes
    II. Aus der Erfahrung des Denkens
    III. Gedachtes für das Vermächtnis eines Denkens
    und
    IV. Vereinzeltes

    Der Leser tut gut daran, keinen konventionellen poetisch-poetologischen Maßstab anzulegen, sondern sich vorbehaltlos auf diese sprachlichen Zwitterwesen einzulassen, bereit, sich auf den hier angeschlagenen Ton einzustimmen. Die Stärke der Texte ist ihr Wagnis, eine Erst-Sprache zu erproben, in etwas Unverdorbenes, Unverstelltes vorzudringen; nicht Poesie im vertrauten Sinn. Heidegger ist unaktuell, schwierig und vertrackt - und zuweilen ungewollt komisch, zum Beispiel in seinen endlosen Variationen zum Verhältnis von Winken, Denken und Sagen. Wenn man diese Texte herauslöst und zitiert, fällt es nicht schwer, sie der Lächerlichkeit preiszugeben.

    Vor allem Botho Strauß hat dagegen besonders eindrucksvoll den Versuch unternommen, den der Dichtung sich anverwandelnden Heidegger stark zu machen als einen "Inständigen in seinem gedichteten Denken". Botho Strauß nennt die allseits geforderte Verständlichkeit von Texten und die bequeme Lektüre zynisch und empfiehlt Heideggers Band mit den Worten:

    "Poesie ist das nicht. Dafür fehlt es durchweg an Klang aus ungestautem Raum, an der schönen und absichtlosen Metapher, dem Schmuck einer kostbaren Realie, dem sinnlichen Detail. Statt Symbol oder Vergleich drängen sich Leitworte orphische. ... Wer sich in diesen Band vertieft, wer hier durch 'Gedachtes' geht, setzt seine kommunikative Intelligenz einer Feuerprobe aus. Es ist zugleich ein Feuer, das einen Haufen zeitgeschichteten Müll verbrennt. Eine Reinigung."

    Martin Heidegger: Gedachtes. Band 81 der Gesamtausgabe, in der Abteilung "Unveröffentlichte Abhandlungen". Vittorio Klostermann Verlag Frankfurt am Main. 360 S., 52 EUR (kartoniert).