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Sprachkompetenz als Ressource

Für Migranten sind gute Deutschkenntnisse die Eintrittskarte in ein reibungsloses Alltags- und Berufsleben. Doch auch die Beherrschung der Herkunftssprache, sei es Türkisch, Arabisch, Russisch oder Afghanisch, kann gerade in Großstädten mit internationaler Bevölkerung im Job von Vorteil sein. Die Uni Hamburg hat sich in einer Studie mit dem Sprachpotenzial von Migranten befasst.

Von Christiane Glas | 22.05.2008
    In unendlich vielen Situationen werden Muttersprachler gebraucht: wenn eine russische Alleinerziehende beim Wohnungsamt vorspricht, das kurdische Mädchen im Kindergarten angemeldet wird oder ein afghanischer Jugendlicher einen akuten Blinddarm hat. In Kommunalbehörden, im Sozialwesen, in Krankenhäusern, bei der Polizei, im Strafvollzug oder beim Anwalt - das Potenzial von Migrantensprachen in diesen Berufszweigen könnte noch besser genutzt werden, sagt Koordinator Bernd Meyer vom Sonderforschungsbereich Mehrsprachigkeit der Uni Hamburg:

    "Zum Beispiel bei der Beratung von Krediten, Finanzierung von Wohnungen usw., das heißt die kommunikationsintensiven Bereiche, das sind die Bereiche, wo möglicherweise es positiv sein kann, wenn jemand außer Deutsch auch noch Russisch, Serbokroatisch oder Türkisch kann."

    Mit der Untersuchung leisten Bernd Meyer und seine Mitarbeiter einen Beitrag zum "Bundesweiten Integrationsprogramm", das vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entwickelt wird. Die Sprachwissenschaftler wollen Einwanderern vermitteln:

    "Eure Herkunftssprache ist ein Plus, das ist ein Potenzial. Da kann man vielleicht was mit machen, da kann man was draus entwickeln. Das wird eben auch in vielen Bereichen noch nicht genug gesehen, spielt aber in der Ausbildung, auch gerade im gewerblichen Bereich eine immer stärkere Rolle. Denn Einwanderer sind immer auch Kunden. Und es kann eben für einen Verkäufer, für einen Automechaniker grade ein Plus sein, wenn er sich diesen Kundenkreis gezielt erschließen kann."

    Nebi Kesen hat sich bereits einen festen und sogar internationalen Kundenkreis erschlossen. Der 45-jährige kurdische Steuerberater hat sein Büro mitten in der Hamburger Innenstadt. Der studierte Volkswirt ist seit 28 Jahren in Deutschland, seine Mandanten sind überwiegend türkische, kurdische oder afghanische Kleinunternehmer:

    "Meine Muttersprache ist Kurdisch, Türkisch habe ich in der Schule gelernt, Deutsch habe ich mit 18 gelernt. So gesehen kann ich in drei Sprachen kommunizieren."

    Nebi Kesens Team besteht aus zwei deutschen und zwei türkischen Mitarbeitern. In seinem Berufsalltag wechselt der Steuerfachmann ständig zwischen den Sprachen hin und her:

    "Also wenn ich mit Behörden oder mit Finanzämtern telefoniere, spreche ich Deutsch und im gleichen Atemzug, wenn ich im Anschluss mit einem Mandanten aus der Türkei ein Gespräch darüber führe, dann gebe ich diese Informationen wiederum auf Türkisch weiter."

    Oft hat es der Steuerfachmann Kesen mit grenzüberschreitenden Erbfällen oder mit dem türkischen Steuerrecht zu tun. Da es darüber keine Literatur auf Deutsch gab, veröffentlichte Kesen Bücher über das Internationale Erbrecht und das Steuerrecht der Türkei. Für deutsche Investoren in der Türkei sind seine Sprach- und Fachkenntnisse genauso hilfreich wie für türkische Investoren in Deutschland:

    "So gesehen habe ich so eine Schlüsselfunktion, dass ich zwischen den Beratern hier und den Beratern in der Türkei quasi als Dolmetscher und als Steuerberater vermittle und in beide Richtungen die Informationen, die erforderlich sind, weitergebe."

    Die eigene Muttersprache als Potenzial fürs Berufsleben zu sehen, empfiehlt Nebi Kesen allen jungen Deutschen mit Migrationshintergrund. Zum Beispiel werden Geschäftsführer-Posten bei deutschen Firmen in der Türkei oft an Bewerber vergeben, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind und dazu fließend Türkisch sprechen. Migrationssprachen sind auch im sozialen oder medizinischen Bereich sehr wichtig. Über sensible Themen wie körperliche Beschwerden können viele Einwanderer nicht auf Deutsch sprechen. Oft müssen die Kinder übersetzen:

    "Das gilt vor allen Dingen für kurdische Frauen. Denn viele kurdische Frauen können sehr schlecht Türkisch und viele können auch kein Deutsch. Und deshalb finde ich es auch außerordentlich wichtig, dass es viele Ärzte gibt, die auch Kurdisch können."

    Es ist eines der Ziele der Sprachwissenschaftler der Uni Hamburg, dass Sprachenkompetenz in vielen Berufsbereichen als Zugewinn gesehen wird. Und nicht in Konkurrenz zum Erlernen des Deutschen tritt:

    "Es darf also nicht so sein, dass man das Deutsche gegen die anderen Sprachen stellt, sondern es geht gerade darum, diese Zweisprachigkeit, die bei vielen Personen schon da ist, zu stärken. Es geht um Deutsch plus x, wie wir sagen."