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Sprechstunde für Flüchtlinge
Medizinische Versorgung ist eine Herausforderung

Die medizinische Versorgung Asylsuchender ist besonders in den ersten Tagen nach Ankunft eine Herausforderung. In einer Sammelunterkunft in Frechen bieten Ärzte dreimal wöchentlich Sprechstunden an. Die Mediziner sind angehalten akute und hoch akute Erkrankungen zu behandeln, aber oft kommt es anders.

Von Lennart Pyritz | 29.09.2015
    Flüchtlinge warten im Bereich der medizinischen Versorgung auf ihre medizinische Eingangsuntersuchung.
    Flüchtlinge warten im Bereich der medizinischen Versorgung auf ihre medizinische Eingangsuntersuchung. (dpa/picture alliance/Ingo Wagner)
    Angela Franz:
    "Die Neuankömmlinge werden erst mal begrüßt hier seitens der Stadt, dann werden sie registriert, das ist eine ganz wichtige Geschichte."
    Das Gymnasium der Stadt Frechen in Nordrhein-Westfalen. Hinter einer Gitterabsperrung nähert sich Angela Franz einem weißen Container neben der Turnhalle. An eine Stellwand sind Zettel gepinnt: "Wartebereich" steht darauf in unterschiedlichen Sprachen. Auf den Bänken dahinter sitzen etwa zehn Flüchtlinge. Zwei Frauen tragen Kopftuch. Eine ist schwanger und wiegt ein quengelndes Kind in den Armen.
    Angela Franz:
    "Und wenn das beides passiert ist, dann kommen sie zu uns in diesen Container, den man hier sieht. Da gibt's einen kleinen Behandlungsraum neben der Registrierungsstelle, da sehen wir jeden Neuankömmling kurz und müssen ihn letzten Endes auf Infektionskrankheiten befragen und untersuchen oder eben auf ganz, ganz akute Probleme."
    Angela Franz ist Ärztin. Im Wechsel mit Kollegen kümmert sie sich um die medizinische Versorgung der Asylsuchenden in der Frechener Sammelunterkunft. Die Menschen kommen aus Erstaufnahmeeinrichtungen, etwa in Dortmund. Nicht alle sind dort schon ärztlich untersucht worden.
    Angela Franz:
    "Wir haben immer wieder auch Situationen, in denen wir Flüchtlinge ins Krankenhaus einweisen müssen, eben wegen Entkräftung, wegen einer ausgeprägten Blutarmut, sicherlich auch wegen einer Mangelernährung teilweise – je nachdem, welche Wege sie so hinter sich haben."
    Infektionen, Tuberkulose-Kontrolle und Notfälle
    Wer nicht ins Krankenhaus muss, kommt in der Turnhalle unter. Kinder spielen zwischen den darin aufgestellten Zelten, die etwas Privatsphäre geben sollen. Am Basketballkorb hängt eine überdimensionierte Plüschmaus wie zum Dunking. Vor der Halle sitzen Männer und rauchen. Etwa 120 Menschen leben derzeit hier. Die meisten kommen aus Syrien, einige aus Afghanistan und Armenien. Vier Wochen bleiben sie durchschnittlich in Frechen, bevor es weiter geht in andere Kommunen. Jeden Tag sind Mitarbeiter des Arbeiter-Samariter-Bundes vor Ort. Sie kümmern sich um die vorgeschriebene Tuberkulose-Kontrolle und behandeln Notfälle. Und mehrfach in der Woche bieten Ärzte Sprechstunden an – heute Angela Franz.
    Im Eingangsbereich des Containers steht ein Schreibtisch. An einer Wand lagern Wasserflaschen aus Plastik. Vom Gang dahinter zweigen drei kleine Räume ab. Eines ist das Behandlungszimmer. Unter den Patienten ist ein älterer Mann aus Tschetschenien mit kurz gestutztem weißen Bart und schwarzer Kappe. Tiefe Furchen durchziehen Stirn und Wangen. Er spricht nur Russisch. Eine junge Frau aus Armenien, selbst Asylsuchende, übersetzt ins Deutsche.
    Ärztin: Was sind denn heute seine Probleme, warum kommt er heute?
    Übersetzerin: Hier tut weh.
    Ärztin: Hat er Rückenschmerzen, ja? Darf ich gerade mal gucken? Bis nach vorne?
    Übersetzerin: Und ein bisschen hier.
    Ärztin: da von hinten ausstrahlend die Rückenschmerzen. Wahrscheinlich von den langen Fahrten, ne? Tut es hier weh? Da? Ganz viele, die herkommen, haben Oberbauchschmerzen, weil sie letzten Endes Magenschleimhautentzündung haben, vom Stress, oder auch vom ungewohnten Essen.
    Angela Franz befühlt Rücken und Bauch des Mannes, stellt Fragen zu Vorerkrankungen und Beschwerden.
    Unbekannte Krankheiten aus Syrien
    Ärztin: Vielleicht können Sie ihm sagen, wir würden einmal gerne seinen Urin untersuchen. Da geben wir ihm jetzt gleich ein Töpfchen. Und dann schauen wir, ob er einen Infekt hat, eine Entzündung in der Blase hat. Das kann auch solche Schmerzen machen, ja. Gerade weil hier die Nieren sind. Und dann würden wir ihm ein Schmerzmittel für den Rücken erst mal geben.
    Der nächste Patient ist ein junger Syrer. Er hat roten Hautausschlag auf dem Rücken, unter dem er bereits in Syrien einmal gelitten hat.
    Ärztin: Ich muss zugeben, ich kann damit gar nichts anfangen. Der syrische Übersetzer allerdings kennt diese Krankheit sehr gut und sagt, dass das in seinem Land viele Menschen haben, wenn sie in Flüssen baden. Jetzt habe ich den Übersetzer gebeten, eben mal im Internet zu recherchieren nach dem Krankheitsbild. Er wird jetzt Fotos raussuchen und mir das zeigen, weil er auch ein Medikament kennt, was man dagegen nimmt. Manchmal muss man sich so helfen. Und hier vorne ist er jetzt gerade und hat sich den Rechner auf Arabisch umgestellt und jetzt sucht er.
    Immer wieder müssen die Mediziner unkonventionelle Wege einschlagen, weil sie mit unvertrauten Infektionen oder Verletzungen konfrontiert werden.
    Angela Franz:
    "Beispielsweise einen jungen Mann letzte Woche, der eben in Damaskus in der Nähe einer Bombenexplosion war, schon ein Jahr zurückliegend, dem jetzt immer noch die Glassplitter letzten Endes aus der Haut eitern. Und der hatte jetzt einen speziellen Splitter an einer Nervenregion liegen, die ihm ständig Beschwerden gemacht hat."
    Problematisch seien häufig auch chronische Krankheiten, die in den Herkunftsländern nicht therapiert wurden, sagt Franz.
    "Für uns ist ein bisschen die Schwierigkeit, dass wir ja angehalten sind ausschließlich akute und hoch akute Erkrankungen zu behandeln, im Moment, und da manchmal die Grenze nicht so leicht zu ziehen ist: Was ist jetzt eigentlich eine akute Problematik einer chronischen Erkrankung, weswegen sie trotzdem jetzt sofort behandelt werden müsste."
    Inzwischen hat der syrische Übersetzer, ein bulliger Mann mit Vollbart und Locken, am PC ein Medikament gegen Pilzinfektionen ausfindig gemacht.
    Ärztin: And the medication you take for that is this one?
    Übersetzer: Yes, I could not find a photo for this medical.
    Ärztin: Thank you very much!
    Übersetzer: You are welcome!
    Neugeborene in der Sammelunterkunft
    Im Eingangsbereich des Containers sitzt Kathrin Bosch-Gaub, freiberufliche Hebamme aus Frechen. Sie spricht ein bisschen Arabisch und betreut mindestens einmal wöchentlich die Schwangeren in der Sammelunterkunft. In ein paar Tagen komme eine Frau aus Albanien mit ihrem Neugeborenen, das sie im Krankenhaus geboren hat, zurück in die Sammelunterkunft, erzählt sie.
    "Da gehe ich dann jeden Tag und guck nach dem Baby, wiege das, guck nach dem Bauchnabel und guck, ob das mit dem Stillen klappt. So die üblichen Hebammensachen mach ich dann mit denen."
    Oft kämen auch nicht schwangere Frauen zu ihr, um Probleme zu schildern oder ihre Geschichten zu erzählen.
    "Wo mir dann wirklich auch die Tränen kamen war, als ich dann einmal so eine Audiodatei hörte von einer Frau, die hat das sechs Monate alte Baby einer anderen Frau auf dem Schiff auf dem Arm gehabt und hatte alles auf Audiodatei aufgenommen, wie die Leute schreien. Und wenn ich da jetzt von rede, kriege ich schon eine Gänsehaut."
    Nach etwa zwei Stunden sind alle Patienten versorgt. Oft wüssten die Ärzte nicht, wann und wie viele Flüchtlinge in der Sammelunterkunft ankommen, berichtet Angela Franz vor dem Container. Anfangs habe es auch mal Engpässe bei der Versorgung mit Impfstoffen gegeben.
    "So stößt man ab und zu mal wieder auf organisatorische neue Herausforderungen, wo sich Wege einfach erst mal etablieren müssen. In der Phase sind wir noch, aber Vieles ist sicherlich jetzt auch schon viel besser geworden."