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Springer spaltet noch immer

Die "Bild"-Zeitung wurde das Zentralorgan seines politischen Gesellschafts- und Weltbildes, an dem sich die Geister schieden und die 68er rieben: Aus Anlass des 100. Geburtstages von Axel Cäsar Springer sind zwei Bücher von Tilman Jens und Tim von Armin auf den Markt gekommen, die sich dem Verleger und seinem Vermächtnis auf ganz unterschiedliche Art und Weise nähern.

Von Astrid Prange | 30.04.2012
    In der kritischen Würdigung schwingt ein Hauch von Selbsterkenntnis mit. "Was wären wir ohne unsere Wut auf Springer? Und was wären die Springerleute ohne ihre Verachtung der außerparlamentarischen Opposition?" Diese Fragen stammen von dem Bestsellerautor und Fernsehjournalisten Tilman Jens. Pünktlich zum Jubiläumstag widmet er sich in seinem neuen Buch dem "deutschen Feindbild" Axel Cäsar Springer .

    Doch was ist übrig geblieben von diesem Feindbild? Von dem Hass auf den größten Verleger der Nachkriegszeit, den Studenten in einem Flugblatt mit dem nationalsozialistischen Hetzer Julius Streicher verglichen? Von dem Zorn Heinrich Bölls, der Springer wegen Volksverhetzung verklagen wollte? Tilman Jens ist selbst erstaunt, dass seine Antwort so eindeutig ausfällt, schließlich war Bild-Chefredakteur Kai Diekmann 1967 gerade einmal drei Jahre alt.

    "Das Feindbild existiert.".

    "Die Wut und der Hass, mit dem etwa Kai Diekmann gegen die 68er schießt, und die sind an allem Schuld: an den Windrädern und an der anti-autoritären Erziehung, am Werteverfall und so weiter -, da sieht man schon, da sitzt noch sehr viel, sehr tief."

    Inmitten von Tilman Jens' Lehrstück über Schurken und Helden ertappt sich der Bestsellerautor dabei, wie ein Stück seiner eigenen Hassidentität, wie er es nennt, ins Rutschen gerät. Nach der Durchforstung des Medienarchivs 68, das der Springer Verlag im Jahr 2010 öffentlich zugänglich machte, kam er zu der Erkenntnis, dass bei Bild und BZ nicht nur "abgerichtete Gesinnungsschreiber", wie er es nannte, am Werke waren.

    Der politisch von der 68er Bewegung geprägte Tilman Jens nähert sich damit dem jüngeren Autor Tim von Arnim an. Der 1975 geborene Wirtschaftswissenschaftler hat sich anlässlich des Jubiläums ebenfalls mit Axel Springer beschäftigt - allerdings nicht mit seinen politischen Missionen, sondern mit seiner Leistung als Unternehmer. In seiner Biografie mit dem bezeichnenden Titel "Und dann werde ich das größte Zeitungshaus Europas bauen" zeichnet von Arnim den Aufstieg Springers nach. Von den Anfängen im Bendestorfer Schweinestall bis zum größten Zeitungshaus der Bundesrepublik mit einem Umsatz von 2,5 Milliarden Mark und über 10 000 Beschäftigten.

    Doch anders als der 1954 geborene Jens kennt von Arnim die Wut auf Springer nicht aus eigener Anschauung, sondern nur aus dem Archiv. Die Woge der Empörung, ausgelöst durch die einseitige Berichterstattung über die Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg, erscheint ihm aus heutiger Sicht fremd. Die aufgebrachten Studenten, von BZ und Bild damals als "linksradikale Randalierer", "rote Agitatoren" und "unrasierte Wegelagerer" verunglimpft, erscheinen wie Lebewesen von einem anderen Planeten.

    "Der Springer Verlag ist natürlich nicht mehr dieser polarisierende Brennpunkt, der er Ende der 60er Jahre als größtes Zeitungshaus und größtes Zeitschriftenhaus in Deutschland war. Ganz im Gegenteil, ich würde sogar sagen, dass bestimmte Qualitäten Springers heute (...) wiederum einen ganz anderen Stellenwert haben. Man viel stärker seine unternehmerische Leistung sieht, seine verlegerische Leistung, seine Kreativität, seine Innovation, und die ein Stück weit auch bewundert."

    Zwei Autoren, zwei Meinungen. Springer spaltet noch immer. 20 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung, für die der Verleger vergeblich kämpfte, gilt der Konzern weiterhin als Inbegriff publizistischer Doppelmoral. Als mediale Großmacht zwischen Busen und Bundestag, zwischen Millionären und Mindestlohnverdienern. Auch in den Büchern von Jens und von Arnim spiegelt sich diese Polarisierung wider. Genau das macht die Lektüre jedoch interessant. Die Autoren ergänzen einander durch ihre unterschiedliche Ausrichtung und verhelfen dem Leser zu einem umfassenderen, weniger aufgeregtem Springerbild. Während von Arnim dem Verlag eine Öffnung bescheinigt, steht für Autor Tilman Jens die geistige Emanzipation vom Gründervater noch aus.

    "Das ist ja das Spannende an dem Mann. Dass er von beiden Seiten überschätzt wurde. Die einen haben ihn (...) als gefährlichen Manipulator gesehen, und die anderen glorifizieren ihn jetzt als Stifter der Einheit. Das ist viel, viel zu hoch. Ich glaube, bei Springer hält man schon noch sehr an diesem Mythos fest, ohne ihn beschreiben zu können, was daran so einmalig war, an diesem Mann, der ein guter Unternehmer war, aber bestimmt weder noch ein großer Journalist, noch ein bedeutender Redner noch etwa ein Mann mit Utopien."

    Unterschiedlicher könnte die Bewertung Springers nicht ausfallen. Autor Tilman Jens beschreibt süffisant, wie Springer in all seinen politischen Missionen scheitert. Tim von Arnim hingegen macht aus seiner Bewunderung für den Verleger keinen Hehl, auch wenn diese sich manchmal hinter langatmigen Schilderungen von Umsatzrenditen, Anzeigenquoten, Marketingstrategien und Tiefdruckkapazitäten versteckt.

    In einem Punkt jedoch sind sich beide Autoren in ihrer Bewertung Springers einig. Der Verleger aus Altona war ein höchst widersprüchlicher Mensch. So kultivierte er eine tiefe religiöse Inbrunst und hasste zugleich linksliberale protestantische Theologen. Er war ein Feind Rudolf Augsteins und stimmte dennoch 1965 einem zehnjährigen Druckauftrag des Spiegels in seiner Tiefdruckerei in Ahrensburg zu. Besonders eklatant war der Widerspruch bei seinem Verhältnis zu Israel. So machte Springer die Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen zum verlagsinternen Grundsatz. Gleichzeitig aber beschäftigte er Altnazis wie den ehemaligen SS-Hauptsturmführer Horst Mahnke und den Stürmer-Karikaturisten Wolfgang Hicks. Tim von Arnim wagt einen Erklärungsversuch:

    "Vieles in seiner Widersprüchlichkeit liegt in seiner Emotionalität, in seiner Neigung, weniger analytisch zu agieren denn intuitiv, aus dem Bauch heraus. So sind viele Personalentscheidungen zu verstehen, wo er auf für uns teilweise befremdliche Art differenzieren kann zwischen der (...) belasteten Vergangenheit von bestimmten Personen und seinem großen Israel-Ethos."

    Tilman Jens löst den Widerspruch auf. Nicht die ambivalente Persönlichkeit Springers sei das Problem, sondern die deutsche Gesellschaft, die Schwierigkeiten damit habe, ambivalente Charaktere zu ertragen. Er plädiert für ein bescheidenes "Ecce homo": Seht her, ein Mensch mit Licht und Schatten.

    Tilman Jens
    Axel Cäsar Springer. Ein deutsches Feindbild, Herder Verlag, 177 Seiten, 16,99 Euro.
    ISBN: 978-3-451-30542-9

    Tim von Arnim
    "Und dann werde ich das größte Zeitungshaus Europas bauen" - Der Unternehmer Axel Springer Campus Verlag, 410 Seiten, 34,90 Euro.
    ISBN: 978-3-593-39636-1