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Sprit aus der Kläranlage
Aus Faulgas wird Biokraftstoff

In Bottrop wurde vor zehn Jahren in einem Großprojekt getestet, ob es sinnvoll ist, aus Klärschlamm Erdgas und Wasserstoff zu gewinnen. Mit Erfolg - dennoch ist das Konzept heute wirtschaftlich und technisch überholt.

Von Volker Mrasek | 08.05.2018
    Wärmegewinnung aus dem Belebungsbecken des Entsorgungsverbands Saar.
    Da steckt viel Energie drin: Belebungsbecken einer Kläranlage. Sie herauszuholen, rechnet sich allerdings heute nicht mehr. (imago/Becker&Bredel)
    Ortstermin in Bottrop. Nichts für empfindliche Nasen!
    "Wir riechen so ein bisschen den abwassertypischen Geruch. So ein bisschen nach Ammoniak, kleines bisschen beißend."
    Unangenehm, aber nicht ungewöhnlich. Denn dies hier ist eine Kläranlage der Emschergenossenschaft:
    "Eine der größten Kläranlagen in Deutschland, mitten im Herzen des Ruhrgebietes."
    Der Bauingenieur Torsten Frehmann ist für den Betrieb der Anlage zuständig. Auf Gitterrosten wandelt er über riesigen Klärbecken mit sogenanntem Belebtschlamm. An seiner Seite Betriebsingenieur Holger Roggenbuck:
    "Also, ich würde sagen: Eine solche Belebungsstufe ist fast schon Fußballfeld-Ausmaß."
    Torsten Frehmann:
    "Wir haben drei Belebungsstufen, das heißt drei Fußballfelder sind das bestimmt. Und dahinter ist dann noch die Nachklärung. Die hat dann auch noch einmal die gleichen Ausmaße etwa."
    Übergroß auch die typischen Faulbehälter, denen sich die beiden Ingenieure jetzt zuwenden. Drinnen vergären Mikroorganismen den kohlenstoffreichen Klärschlamm. Das dabei anfallende Faulgas enthält den Energieträger und Brennstoff Methan:
    "Die sehen aus wie überdimensionierte Ostereier. Unsere sind 45 Meter hoch und haben jeweils - vier Stück haben wir davon - 15.000 Kubikmeter Inhalt."
    Kläranlagen reinigen nicht nur Abwässer.
    "Am Ende produzieren wir hier aus unseren Hinterlassenschaften, die wir jeden Morgen über die Toilette wegspülen, Energie. Abwasser gleich Energie."
    Groß angelegtes Forschungsprojekt
    In Bottrop wollte man das auf die Spitze treiben, in einem Forschungsprojekt namens EuWaK. Es startete schon vor über zehn Jahren. Von der Energiewende sprach damals noch kaum jemand. Aber es ging in diese Richtung, wie Torsten Frehmann schildert:
    "EuWaK stand für Erdgas und Wasserstoff aus Klärgas. Das war damals angedacht als Demonstrationsvorhaben, um einmal technisch auszuprobieren: Kann man denn aus dem Klärgas, was wir normalerweise immer zur Verstromung in Blockheizkraftwerken nutzen, nicht auch erst Erdgas und dann im zweiten Schritt auch Wasserstoff produzieren? Als die ersten Ideen geboren wurden, da war Wasserstoff der Energieträger der Zukunft. Alle Welt dachte: Mit dem Wasserstoff werden wir unsere Energieprobleme lösen können."
    Also machte man sich in Bottrop ans Werk, ausgestattet mit mehreren Millionen Euro staatlicher Fördermittel:
    "Es waren letztendlich zwei Prozessschritte, die man gemacht hat. In einem ersten Schritt das Klärgas aufzubereiten zu Erdgas, über eine Reinigung und dann eine Anreicherung. Und in einem zweiten Reformationsprozess aus dem reinen Erdgas, das man dann erzeugt hatte, Wasserstoff zu erzielen."
    Nicht weit von den riesigen Faulgas-Behältern stehen die beiden Anlagen noch heute, untergebracht in zwei sieben Meter langen Seecontainern. Darin ein Wirrwarr von Rohrleitungen, Ventilen, Pumpen und Gasbehältern.
    "Da hört man schon: Der ist leer."
    "Ja!"
    "Da war einmal Wasserstoff drin. Wir hatten eine Erzeugungsmenge von rund 70 Kubikmetern pro Stunde. Da haben wir rund 65 Kilowatt Strom pro Stunde erzeugt und rund 80 Kilowatt Wärme pro Stunde, die dann dafür genutzt worden sind, ein Schwimmbad und eine Turnhalle an einer Schule zu beheizen. Das hat alles funktioniert."
    Mit dem Wasserstoff aus dem Faulgas wurden außerdem Busse betankt. Und mit dem Erdgas Betriebsfahrzeuge der Kläranlage. Auch das klappte gut, wie sich Holger Roggenbuck erinnert. Nur:
    "Die Anlage ist seit drei, vier Jahren außer Betrieb. Außer der Beleuchtung funktioniert hier im Moment nicht viel."
    Am Ende eine Sackgasse
    Erdgas und Wasserstoff aus Klärschlamm - diese Idee erwies sich am Ende als Sackgasse, weil sich regenerative Energieträger wie Windkraft und Photovoltaik zwischenzeitlich rasant entwickelten und andere Wege zur Wasserstoffgewinnung attraktiver machten. Torsten Frehmann ist deswegen aber nicht betrübt:
    "Wir haben dieses Demonstrationsprojekt erfolgreich durchführen können, haben aber dann irgendwann festgestellt, dass das Thema Energiewende sogar einen Namen gekriegt hat und der Wasserstoff in diesem Prozess aber sicherlich an Bedeutung verloren hat. Und die Idee, aus Klärgas Wasserstoff zu erzeugen, hat sich dann irgendwann einfach technisch überlebt. Der Wirkungsgrad ist da einfach nicht hoch genug. Wenn man heute Wasserstoff erzeugen würde, dann würde man das aus erneuerbaren Energien machen, nämlich aus selbst erzeugtem Strom zum Beispiel aus einer Windkraftanlage. Und würde dann Wasserstoff über Elektrolyse herstellen."
    Von einem Scheitern des Projektes würde der Ingenieur aber nicht sprechen wollen, im Gegenteil:
    "Das Projekt war für uns eigentlich ein Startpunkt hier in Bottrop, diesen Standort zu einer Energiedrehscheibe zu entwickeln und die Option der Eigenenergieerzeugung noch einmal stärker zu beleuchten: vom Klärwerk zum Kraftwerk!"
    Vier Blockheizkraftwerke, die mit Faulgas laufen; eine Turbine, die Wasserdampf aus der Verbrennung von Klärschlamm nutzt; eine große Windkraftanlage und Solarzellen auf vielen Gebäuden - auf diesen vier Säulen ruht das Energiekonzept heute, und Frehmann kann jetzt sogar seine Stromverträge kündigen:
    "Anfang dieses Jahres haben wir unseren Durchbruch geschafft. Und wir schaffen es hier eben, uns selbst zu versorgen mit Energie."
    Das wäre also geklärt: In Bottrop hat man schnell wieder aus der Forschungs-Sackgasse herausgefunden.