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Spur der Radioaktivität

Strahlenbiologie. - In Fukushima wurde der Großteil der radioaktiven Stoffe aufs Meer hinausgeweht, nur ein Teil ging aber auch über der Hauptinsel Honshu nieder. Welche Folgen das für Natur und Menschen haben wird, können die Experten im Moment nur abschätzen.

Von Arndt Reuning | 15.07.2011
    Jacqueline Garnier-Laplace hat noch nie auch nur eine einzige Messung vor Ort in Fukushima vorgenommen. Dennoch kann sie behaupten, dass sie sich ein deutliches Bild von der Lage machen kann. Denn sie hat Messwerte aus öffentlich zugänglichen Quellen zusammen getragen und damit ein Computermodell am französischen Institut für Strahlenschutz und Nuklearsicherheit gefüttert. Sie wollte wissen, welche Folgen die Strahlung für die Natur rund um die Katastrophenreaktoren haben könnte.

    "Wir haben uns Ökosysteme an Land und im Meer angesehen, die am stärksten von dem Nuklearunfall kontaminiert worden sind. An Land waren die radioaktiven Stoffe vor allem vom Wind heran transportiert worden, kurz nach dem Beginn des Unglücks am 11. März. Was das Meer angeht: da konzentrierten wir uns mit unserer Abschätzung vor allem auf die küstennahen Bereiche rund und das Atomkraftwerk. Die Stoffe, die dort frei gesetzt worden sind, wurden zum Großteil direkt über kontaminiertes Wasser ins Meer geleitet."

    Die Studie stützt sich auf Messwerte, die in den ersten Wochen des Nuklearunfalls aufgenommen wurden, vor allem von Jod- und Cäsium-Isotopen. Aus diesen Daten schätzte die französische Radioökologin die Gesamtdosis ab, die im Laufe der ersten Wochen auf die Lebewesen einwirkte. Unterschiedliche Arten reagieren auch unterschiedlich empfindlich auf die Radioaktivität. Käfer und Würmer zum Beispiel vertragen höhere Dosen als Mäuse und Eichhörnchen. Deshalb haben die Experten aus Frankreich die Tiere und Pflanzen in verschiedene Gruppen eingeteilt und dann verglichen, ob die absorbierte Gesamtdosis höher lag als die jeweilige Risikodosis, ab der es gefährlich wird.

    "Tatsächlich haben wir für verschieden Arten solche Risiken festgestellt. Teilweise lagen die Dosen, die wir berechnet hatten, bis zum 20.000-Fachen höher als der Grenzwert, der noch als sicher angesehen wird. Potentielle Effekte der Strahlung auf die Fortpflanzungsfähigkeit haben wir bei mehreren Gruppen von Lebewesen gefunden. An Land zum Beispiel für Kleinnager im Wald und im Meer für Plattfische in Bodennähe."

    Die Autorin der Studie möchte diese Ergebnisse als eine vorläufige Abschätzung verstanden wissen. Etwas genauer schauen die Experten da schon hin, wenn es um die radioaktive Belastung der Menschen in der Region Fukushima geht. Besonders wichtig sei das bei den Kindern, denn sie sollten mit höchster Priorität vor den Folgen der Strahlung geschützt werden, sagt Wolfgang Weiss vom deutschen Bundesamt für Strahlenschutz.

    "Was bisher auch gemacht worden ist, das war eine Empfehlung, die wie unmittelbar nach dem Ereignis abgegeben haben, es wurden etwa 1000 Kinder untersucht, was die Schilddrüsen Aufnahme von Jod angeht. Das ist deshalb so wichtig, weil nach Tschernobyl die Schilddrüsenkrebse bei den jungen Menschen das dominante Risiko dargestellt haben.""

    In der Stadt Kawamata im Nordosten der Präfektur Fukushima wurden Mitte Juni rund 1500 Kinder mit Dosimetern ausgestattet, um die Strahlenbelastung ermitteln zu können. Gleichzeitig hat die Universität von Hiroshima mit einer Studie begonnen, die den Gesundheitszustand der Bürgerinnen und Bürger in der Region überwachen soll. Rund zwei Millionen Menschen werden voraussichtlich daran teilnehmen. Angelegt ist sie auf dreißig Jahre. Das entspricht ziemlich genau der Halbwertszeit von Cäsium-137.