Donnerstag, 25. April 2024

Spurensuche
Zur Entstehungsgeschichte der "Mauersplitter"

Bei der Konzeption der "Mauersplitter" war es von vornherein unser Anliegen, bisher Ungehörtes aus der Zeit friedlichen DDR-Revolution zu präsentieren: Telefonmitschnitte aus den Archiven der Stasi, Aufnahmen aus geschlossenen Sitzungen des Politbüros. Akustische Dokumente, die nie in die Öffentlichkeit gelangen sollten: Redakteur Marcus Heumann über die Genese der einzigartigen Reihe.

21.07.2014
    Die friedliche Revolution in der DDR ist medial so gut dokumentiert wie keine andere zuvor – und ohne die elektronischen Medien wäre sie anders verlaufen. Denn Rundfunk und Fernsehen waren 1989 Katalysatoren der rasanten politischen Entwicklungen: Die Staatsmedien der DDR, die mit ihrer realitätsfernen Propaganda den Unmut im Lande zusätzlich befeuerten ebenso wie die westdeutschen Sender, die jene Informationen lieferten,
    welche der SED-Staat seinen Bürgern lieber vorenthalten hätte: sei es zu den gefälschten Kommunalwahlen, zur Fluchtwelle oder zur Formierung der DDR-Opposition.
    Ende der 80er-Jahre standen sich – trotz aller Entspannungs- und Liberalisierungssignale aus der Sowjetunion – die Machtblöcke in Ost und West nicht nur militärisch hochgerüstet gegenüber; man beobachtete auch sehr genau, was und wie die Gegenseite in den grenzüberschreitenden elektronischen Medien berichtete und kommentierte. Schon seit den 50er-Jahren wurden in den Funkhäusern des geteilten Berlin (und anderswo) systematisch politisch relevante Programme der jeweiligen Gegenseite abgehört, mitgeschnitten, ausgewertet und teilweise verschriftlicht. Dies war Aufgabe spezieller, vom Programmbetrieb abgekoppelter Abteilungen: der sogenannten Monitor-Dienste. Die Adressaten ihrer täglichen Zusammenfassungen waren (deutschland-)politische Entscheidungsträger, aber auch Journalisten, die Ton- und Bildmaterial der "anderen Seite" für ihre Beiträge verwenden wollten.
    Als die Mauer fiel und damit auch die publizistischen Kontrahenten von einst ihre Archive füreinander öffneten, kam ein kurioser deutsch-deutscher Programmaustausch ins Rollen: Denn nun offenbarte sich, dass auf beiden Seiten der Mauer Sendungen konserviert worden waren, die beim ursprünglichen Produzenten gar nicht mehr vorhanden waren.
    Der Deutschlandfunk beispielsweise erhielt von "drüben" sogar schriftliche Transkriptionen von Beiträgen, die im Kölner Funkhaus nie als Manuskript existiert hatten (z.B. von Diskussionssendungen). Dafür kamen die Kollegen in der Ost-Berliner Nalepastrasse nun wieder in den Besitz von Tondokumenten, die dort einst aus politischen Gründen gelöscht bzw. nicht archiviert worden waren: So etwa Mitschnitte des berüchtigten Nachtprogramms des DDR-Rundfunks nach dem Mauerbau 1961, dessen Polit-Pornographie den SED-Propagandisten im Nachhinein offenbar so peinlich war, dass davon in den DDR-Archiven kein einziger Ton
    erhalten geblieben ist.
    Bei den Recherchen für unsere "Mauersplitter"-Serie waren besonders die Bestände des Rundfunks und Fernsehens der DDR (die heute vom Deutschen Rundfunkarchiv verwaltet werden) und des West-Berliner RIAS-Monitordienstes von unschätzbarem Wert. Aber auch unser eigenes, das Deutschlandfunk-Programm, das thematisch seit jeher die DDR ganz besonders in den Fokus genommen hatte, lieferte einzigartige Dokumente für diese Chronologie. Denn mehr als jeder andere bundesdeutsche Sender verlieh 1989 der DLF der DDR-Opposition eine Stimme. Bei der Konzeption der Reihe war es außerdem von vornherein unser Anliegen, bisher Ungehörtes zu präsentieren: Telefonmitschnitte aus den Archiven der Stasi und Aufnahmen aus geschlossenen Sitzungen des Politbüros belegen die Dynamik der Ereignisse und die wachsende Ohnmacht der sich allmächtig wähnenden Staatspartei und ihrer Sicherheitsorgane - akustische Dokumente, die nie in die Öffentlichkeit gelangen sollten.
    Entstanden ist so ein akustisches Tagebuch jener Monate, die Deutschland und die Welt nachhaltiger verändern sollten, als es im Sommer 1989 irgendjemand vorausahnen konnte.
    Marcus Heumann