Donnerstag, 25. April 2024

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Sri Lanka
"Religion wird ideologisch, politisch und national missbraucht"

Johannes Seibel vom katholischen Hilfswerk Missio warnt davor, die Anschläge in Sri Lanka als Zeichen eines Kulturkampfs oder einer Christenverfolgung zu sehen. Muslime litten eher unter nationalistischen Buddhisten als unter Christen, sagte er im Dlf. Er sieht einen Zusammenhang zu den Präsidentschaftswahlen 2020.

Johannes Seibel im Gespräch mit Christiane Florin | 23.04.2019
Die St. Antonius Kirche in Colombo ist nach einer Explosion verwüstet, Sicherheitskräfte gehen durch Trümmer
Die St. Antonius Kirche in Colombo ist verwüstet (picture alliance / AA / Chamila Karunarathne)
310 Tote, 500 Verletzte – das sind die aktuellen Zahlen aus Sri Lanka. Am Ostersonntag wurden acht Anschläge in verschiedenen Städten verübt, die Bomben explodierten während der Ostergottesdienste in drei christliche Kirchen, zwei katholische und eine evangelikale. Anschlagsziele waren auch Hotels und Wohnviertel. Die Regierung von Sri Lanka macht eine islamistische Gruppe dafür verantwortlich.
Das katholische Hilfswerk Missio unterstützt in Sri Lanka 20 Projekte, unter anderem zur Versöhnung zwischen Tamilen und Singhalesen, also zwischen Hindus und Buddhisten. Johannes Seibel von Missio sagte im Dlf zu den Anschlägen, diese Gewalt sei "schwer zu erklären." Er sieht Verbindungen zur aufgeheizten Stimmung vor den Präsidentenwahlen im nächsten Jahr. Es gebe gerade verschiedene Konfliktherde in Sri Lanka. Die Versöhnung zwischen Hindus und Buddhisten nach dem Bürgerkrieg sei noch nicht erreicht. In jüngster Zeit hätten zudem radikal nationalistisch-buddhistische Gruppen gegen Christen und Muslime provoziert. "Man hätte eher einen Anschlag von Muslimen gegen Buddhisten erwarten können als einen von Muslimen gegen Christen. Muslime leiden eher unter Buddhisten als unter Christen", so Seibel.
"Öffentlichkeitswirksame Anschlagsziele"
Der Buddhismus ist in Sri Lanka Staatsreligion, der Staat ist laut Verfassung verpflichtet, die Lehre Buddhas besonders zu schützen. Zur Rolle der Religion sagte Seibel: "Die Frage der nationalen Einheit wird sehr stark religiös aufgeladen. Insofern ist religiös begründete Gewalt an der Tagesordnung." Sollte es - wie die Regierung sagt - ein Anschlag einer islamistischen Gruppe gewesen sein, dann entspreche das einem Muster, das man schon seit einigen Jahren beoabachten könne: Junge, radikalisierte Muslime knüpften Verbindungen zu internationalen terroristischen Vereinigungen und suchten möglichst öffentlichkeitswirksame Anschlagsziele. Die Anschläge in Bangladesch 2016 und in Indonesien im Mai 2018 auf katholische Kirchen seien "eine Blaupause".
Christen würden von Islamisten in Asien mit westlicher Lebenskultur gleichgesetzt, auch das "Narrativ der Kreuzzügler" sei noch sehr virulent. Johannes Seibel kritisierte, dass westliche Politiker die Anschläge als Zeichen eines Kulturkampfes deuten: "Einlassungen aus Europa, die in Richtung eines islamisch-christlichen Kulturkampfes gehen, sind den dortigen Extremisten sehr willkommen. Das können sie für die eigene Propaganda nutzen."
"Nicht pauschal mit dem Begriff Christenverfolgung operieren"
Unionspolitiker wie Volker Kauder sprechen angesichts der Anschläge von Christenverfolgung. Johannes Seibel plädiert für Differenzierung: "Ich kann nachvollziehen, wenn bei uns das Entsetzen darüber groß ist. Dort, wo Christen Opfer von Gewalt sind, stehen wir an ihrer Seite und unterstützen sie seit Jahrzehnten. Die Frage ist aber die nach der Ursache dieser Gewalt. Hier muss man differenzieren: Religion wird in den meisten Fällen, ideologisch, politisch oder auch national missbraucht. Die Folgen sind Benachteiligungen, Diskriminierung, Bedrängnis und in Einzelfällen regelrechte Verfolgung. Deshalb ist es wichtig, dass man hier nicht pauschal mit dem Begriff Christenverfolgung operiert, sondern genau hinschaut."
Bei aller Solidarität mit den Christen dürfe der interreligiöse Dialog nicht aufgegeben werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.