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St. Annen-Museum in Lübeck
Renaissance im baltischen Hanseraum

Das Lübecker St. Annen-Museum feiert mit der Ausstellung "Lübeck 1500 - Kunstmetropole im Ostseeraum" sein 100-jähriges Bestehen. Zu sehen gibt es Werke von Bildschnitzern, Malern, Goldschmieden und Buchdruckern aus der Zeit.

Von Carsten Probst | 26.09.2015
    Die Triumphkreuzgruppe im Lübecker Dom zählt zu den größten Anlagen ihrer Art. Zwei Inschriften belegen, dass der Auftrag dafür gegen 1470 an die Lübecker Werkstatt des Bildschnitzers Bernt Notke erging. Die Ausführung ist von einzigartiger Qualität und zeugt davon, dass Notke zu den unumschränkten Meistern seines Fachs gezählt haben muss. Trotzdem bleibt er ein historisches Rätsel. Während in Nürnberg die Werkstätten von Veit Stoss oder Adam Kraft über eine relativ gut dokumentierte Werkfolge verfügten, sind von Bernt Notke nur zwei weitere Altaraufsätze belegt. Und diese sind von vergleichsweise so geringerer Qualität, dass bezweifelt werden muss, ob hier überhaupt dieselbe Werkstatt tätig war.
    Es würde durchaus ins merkantile Raster der damaligen Handelsblüte im überaus wohlhabenden Lübeck passen, wenn der viel gerühmte Notke gar kein Künstler war, sondern eher eine Art Generalunternehmer, der Großaufträge an Land zog und dann wandernde Bildhauer als Subunternehmer einstellte. Gleichwohl sind Notkes Werkstatt noch andere grandiose Werke zugeschrieben, wie die Malereien auf den beiden erhaltenen Flügel des sogenannten Schonenfahrer-Retabels, der ursprünglich in der Lübecker Marienkirche stand.
    Ein ähnliches Phänomen wie Notke, mit vergleichbarer höchster Meisterschaft, war Hermen Rode, von dem es bislang im Gegensatz zu Notke kaum erhaltene zeitgenössische Erwähnungen gibt. Er ist aber als Schöpfer des Hochaltarretabels von St. Nikolai in Tallinn bezeugt, einem der größten Altaraufsätze im ganzen Ostseeraum. Solche Aufträge bekam damals nicht irgendwer.
    In der Jubiläumsausstellung in St. Annen kann man sich davon überzeugen. Das Lukas-Retabel der Lübecker Malerzunft stammt von Rode und damit das Repräsentationsobjekt der Lübecker Künstlerschaft schlechthin. Rodes private Stifterporträts sind von einer Güte, die Vergleichen mit dem frühen Holbein standhält. Sie wurden aus mehreren internationalen Sammlungen für diese Ausstellung zusammengeliehen.
    Das geschäftige Treiben mit der Kunst in Lübeck um 1500 war kein lokal begrenztes Phänomen. Zu den bekanntesten Exportschlagern gehörte auch die Malerei aus der Werkstatt von Hinrik Bornemann und seines Nachfolgers Wilm Dedeke, die zahlreiche Werke für Hamburger Kirchen und Stifter schufen, ebenso wie die kostbaren Skulpturen des Goldschmiedes Bernt Heynemann.
    In umgekehrter Richtung funktionierte der Handel genauso reibungslos. Zu den kostbarsten importierten Werken Lübecks gehört der sogenannte Greveraden-Altar, der 1491 vom Brügger Maler Hans Memling ausgeführt wurde. Memling steht beispielhaft für die zahlreichen europäischen Werkstätten, die für repräsentative Aufträge nach Lübeck eingeladen wurden.
    Andere fachliche Berühmtheiten, die sich zeitweilig oder für immer in Norddeutschland niederließen, waren etwa Jacob van Utrecht, Hans von Köln oder auch Erhart Altdorfer, der in Schwerin tätige Bruder von Albrecht Altdorfer. Großmeister wie der Würzburger Bildschnitzer Tilman Riemenschneider bildeten zahlreiche Gesellen aus Lübecker Werkstätten aus.
    Das alles endete recht jäh mit dem Einzug der Reformation in Lübeck. Reine Bildwerke wurden nun fast gar nicht mehr bestellt, eher Tafeln mit ausgiebigen Zitaten der Heiligen Schrift. Für die Bildschnitzer gab es im Norden danach kaum mehr etwas zu tun, sie wanderten ab, das Geschäft mit der Kunst brach förmlich zusammen.
    Einzig im Bereich des Buchdrucks hatten die Lübecker Werkstätten vorgesorgt und sich unter anderem an der Wittenberger Cranach-Werkstatt orientiert, die schon 20 Jahre die Techniken dieses neuen Massenmediums praktizierte, ehe die Reformation dann auch einen Boom der Lübecker Druckerwerkstätten auslöste.
    Doch an diesem Punkt endet die große Lübecker Jubiläumsausstellung, die den Besucher mit einer im Norden bislang kaum so gekannten Fülle frühneuzeitlicher Meisterwerke konfrontiert. Sie gehört zu den historischen Schauen, die auch die berühren und bewegen, die die von diesem großen alten Erbe bislang wenig wussten.