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Staatsballett Berlin
Vulgäres und langweiliges Dornröschen

Der neue Chef des Berliner Staatsballetts, Nacho Duato, gab seinen Einstand mit dem Ballettklassiker "Dornröschen". Er soll so auch für eine Modernisierung des Hauptstadtballetts sorgen. DLF-Kritikerin Wiebke Hüster hält diesen Versuch für missglückt.

Von Wiebke Hüster | 14.02.2015
    Das Ballett Dornröschen in drei Akten mit Musik von Peter I. Tschaikowsky und von Nacho Duato inszeniert, feierte seine Pemiere am 13.02.2015.
    Das Ballett Dornröschen in drei Akten mit Musik von Peter I. Tschaikowsky und von Nacho Duato inszeniert, feierte seine Pemiere am 13.02.2015. (picture alliance / dpa / Felix Zahn)
    Sein Sinn für szenischen Witz und Bewegungsscherz ist unterentwickelt. Wenn seine Feen in eine Richtung deuten sollen, sieht es aus, als wollten sie die Luft mit spitzen Fingern durchbohren. Mitten in einem Tanz des in pompöse Roben gekleideten Corps de Ballet tauchen die Ballerinen plötzlich mit dem Oberkörper voran gen Boden, als wären sie Stubenmädchen und hätten ein Stäubchen entdeckt oder müssten verlorene Haarnadeln aufklauben. Mitten in anderen irgendwie mit dem Wort klassisch zu umschreibenden Solo-Variationen werden die Oberkörper von Tänzerinnen unvermittelt von konvulsivischen Zuckungen geschüttelt.
    Doch in welche Abgründe soll eine Fliederfee schon blicken? Sie könnte den modernen, dramatischen Frauenfiguren Martha Grahams, die es oft so schüttelte, doch nicht ferner stehen.
    Musik Tschaikowskys geflissentlich ignoriert
    Choreographische Logik, ästhetische Konsequenz, erzählerisches Geschick oder die Fähigkeit, überraschende Effekte zu erzeugen, Details in ein neues Licht zu rücken, an all dem mangelt es dem neuen Direktor des Staatsballetts Berlin, wie die Premiere seiner Version von "Dornröschen" in der Deutschen Oper jetzt schmerzlich bewies. Nacho Duato besitzt kein Gefühl für Timing. Die Musik Tschaikowskys ignoriert er geflissentlich. Meistens bremsen mit langweiligen Pausen-Posen gestreckten Tänze die Musik einfach aus. Manchmal aber dreht er den Spieß seines methodischen Irrsinns auch einfach um und rast durch die Musik, wie um sie hinter sich zu bringen. So etwa im berühmten Rosen-Adagio, in dem Prinzessin Aurora tanzend und balancierend, testend sozusagen, den um sie werbenden Prinzen abwechselnd die Hand reicht. Doch in Duatos Version hat man das Gefühl, Aurora hastet zwischen diesen Typen hin und her, als wären sie Diener, die ihr im Weg stehen.
    Keiner scheint zu wissen in diesem Ballett, was seine Figur eigentlich denkt oder fühlt und was der Tanz gerade übermitteln soll. Stattdessen muntern Stereotypen die schale Konventionalität auf. Ach guck mal, die böse Fee Carabosse wird nicht nur von einem männlichen Tänzer verkörpert – das gab es schon öfter – sondern bei Duato von einem als Drag Queen inszenierten Mann. Dessen affektiertes Gefuchtel ist bloß leider nie unheimlich. Oder die liebenswürdigeren Kolleginnen von Carabosse haben hier plötzlich Begleiter mit durchsichtigen, straßbesetzten Tülloberteilen, die ihre Brustwarzen vorteilhaft durchschimmern lassen. Während die knielange Netzstrumpfhosen, die über ihren Trikots sitzt, die untere Rückenmuskulatur noch plastischer hervortreten lässt. Männer, die auf Männer in pastellfarbenen Verkleidungen oder mit Krönchen stehen, kommen bei Nacho Duato auf ihre Kosten. Menschen, die Ballett für eine langweilige Kostümparade entzückender Mädchen halten, muss man in diesem Fall recht geben. Danke, Nacho Duato.
    Was für eine Blamage
    Nun hätten die verantwortlichen Berliner Politiker das alles vorher wissen können. Dieses "Dornröschen'" war eine Auftragsarbeit Nacho Duatos 2011 in Russland. Was den Oligarchen recht war, wird den Berlinern wohl billig sein. Ein neuer Ballettdirektor sollte seiner neuen Stadt ein neues Ballett präsentieren. Da lehnt sich Duato erst einmal ganz entspannt zurück. Die gewonnene Zeit hat er jedenfalls nicht dazu genutzt, die Tänzer besser kennenzulernen oder eine balancensichere, spielfreudigere Aurora als die das Rosen-Adagio verkippelnde Jana Salenko zu suchen. Und ganz sicher hat Duato es auch nicht geschafft, den Dirigenten Robert Reimer und das Orchester der Deutschen Oper Berlin dazu zu bringen, Tschaikowsky intelligent und sensibel zu spielen. Dieses Dornröschen ist teuer, protzig, vulgär und langweilig. Was für eine Blamage.