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Staatsfeind und Symbol des Bösen

Osama bin Laden ist tot. In Pakistan wurde der seit vielen Jahren gesuchte Terrorist von amerikanischen Truppen erschossen. Zwar ist eine völkerrechtliche Legitimation des Einsatzes umstritten, dennoch wurde der Vorfall in den USA mit Freudentaumel quittiert.

Von Ursula Welter, Andreas Zumach, Sascha Zastiral und Rolf Clement | 02.05.2011
    "Heute – auf meinen Befehl hin – haben die vereinigten Staaten eine gezielte Aktion gegen das Gelände in Abbottabad geführt. Wenige Soldaten einer amerikanischen Spezialeinheit waren an der Operation beteiligt. Es wurden keine Amerikaner verletzt. Und sie versuchten, keine Zivilisten zu verletzen."

    Als US-Präsident Barack Obama am späten Abend in Washington vor die Presse trat, konnte er verkünden, wonach sein Amtsvorgänger George W. Bush fast seine ganze Amtszeit getrachtet hatte. Osama Bin Laden, symbolischer Kopf des Terrornetzwerks Al Kaida – Drahtzieher hinter den Anschlägen auf das World Trade Center – tot. Gerade einmal 40 Minuten soll die Militär-Operation gedauert haben: Bin Laden durch einen Kopfschuss getötet – seine Leiche geborgen, im Meer versenkt, um keine Wallfahrtsstätte für seine Anhänger zu schaffen. Aber, auch das wurde hervorgehoben: Innerhalb eines Tages – wie es die islamische Tradition verlangt.

    Vor dem Weißen Haus in Washington versammelten sich Menschenmengen, um die für sie großartige Nachricht zu feiern. Es folgten Beifallsbekundungen aus nahezu allen westlichen Hauptstädten.

    Osama Bin Laden ist tot! Ist das der Sieg gegen den internationalen Terrorismus, wie er weltweit seit den Anschlägen vom 9. September 2001 herbeigesehnt wurde? Oder braucht es mehr, als den Tod des Al-Kaida-Chefs, um die vielen Terrorzellen auszuschalten. Zellen, die meist eines eint: Die Ideologie. Und noch eine Frage taucht hinter der Euphorie dieses Tages auf: War der Einsatz der amerikanischen Eliteeinheit völkerrechtlich gedeckt?

    Wurde der Al-Kaida-Chef im Verlauf eines Feuergefechts erschossen, in dem er selber eine Waffe gegen die Angreifer einsetzte? Oder hat das amerikanische Spezialkommando bin Laden erst nach Ende eines Feuergefechts und unter Verstoß gegen das Völkerrecht durch einen Kopfschuss hingerichtet, anstatt ihn gefangen zu nehmen und vor ein Gericht in den USA zu bringen?

    Präsident Barack Obama ließ in seiner Rede an die Nation beide Interpretationen zu.

    Nach einem Schusswechsel haben die Soldaten Osama Bin Laden getötet und haben die Leiche geborgen, erklärte der Präsident wörtlich. Laut einem hochrangigen Mitglied der Obama-Administration "leistete bin Laden Widerstand und wurde in den Kopf geschossen”.

    Die Frage nach der Völkerrechtskonformität der Tötung bin Ladens stellt sich aber nicht nur wegen aktueller Ungereimtheiten, sondern auch angesichts der fast zehnjährigen Vorgeschichte. Denn seit Präsident Bush nach den Anschlägen am 11. September 2001 den "Krieg gegen den Terrorismus”, ausrief, haben seine Regierung - und auch die von Nachfolger Obama - in vielfacher und zum Teil beispielloser Weise gegen die Genfer Konventionen und andere Bestimmungen des humanitären Völkerrechts verstoßen. Die Bush-Administration rief den nationalen und globalen Notstand aus und stufte mutmaßliche Terroristen und ihre Verbündeten als "feindliche und gesetzlose Kämpfer” ein, für die das internationale Recht keine Gültigkeit habe - ebenso wie die amerikanische Verfassung.

    Mit dieser völkerrechtswidrigen Klassifizierung ihrer Feinde im "Krieg gegen den Terrorismus” rechtfertigten die Regierungen Bush und Obama die Entführung und Verschleppung Hunderter Personen. Weit über 2000 Menschen wurden seit Herbst 2001 in Guantanamo und anderen Gefangenenlagern jahrelang inhaftiert. Ohne Prozess und anwaltlichen Beistand. Auch dem "Internationalen Komitee vom Roten Kreuz” versagte Washington lange Zeit den Zugang zu diesen Hafteinrichtungen. Die Anwendung von Folter gegen zahlreiche dieser Häftlinge, um Geständnisse zu erzwingen, galt der Bush-Administration als unverzichtbares Mittel im "Krieg gegen den Terrorismus”. Ex-Präsident Bush verteidigt die von seiner Regierung angeordneten Folterpraktiken bis heute als legitim.

    Ob der in den letzten anderthalb Jahren von der Obama-Administration massiv verstärkte Einsatz von Drohnen zur gezielten Tötung von mutmaßlichen al-Kaida-Kämpfern ein legitimes Mittel in einem bewaffneten Konflikt ist, ist unter Völkerrechtlern umstritten. Konsens besteht aber, dass die Erschießung von feindlichen Kämpfern, die sich ergeben haben, in jedem Fall ein eindeutiger schwerer Verstoß gegen die Genfer Konventionen ist. Danach darf selbst ein "Kombattant” nur angegriffen werden, wenn er sich etwa bewaffnet als solcher zu erkennen gibt und "unmittelbar” an Feindseligkeiten teilnimmt. Die "Hinrichtung” eines mutmaßlichen Verbrechers ohne Gerichtsverfahren untersagt auch der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966.

    Die bisherigen Völkerrechtsverstöße der USA im bald zehnjährigen Krieg gegen den Terrorismus sind allerdings kein Beweis dafür, dass auch bei der Tötung von Osama bin Laden völkerrechtswidrig verfahren wurde. Laut Berichten aus Washington wurde die gesamte rund 40-minütige Kommando-Aktion des Spezialkommandos gefilmt und live ins Weiße Haus übertragen. Dieser Film sollte veröffentlicht werden. Zudem ist zu erklären, warum keine forensische Untersuchung der Leiche Bin Ladens stattfand. Erforderten die muslimischen Bestattungsgebräuche tatsächlich, dass die Leiche so schnell und unwiederbringbar im Meer beseitigt wurde? Schließlich sollte die Obama-Administration dafür sorgen, dass keinerlei Zweifel an der Identität des Getöteten bleiben und zu diesem Zweck die Ergebnisse des DNA-Tests veröffentlichen.

    Es ist gut möglich, dass all diese Fragen niemals restlos und befriedigend beantwortet werden. Das war in der Vergangenheit fast immer der Fall, wenn die Frage der Verletzung oder Einhaltung des Kriegsvölkerrechts umstritten war. Das Grunddilemma: diejenigen, die mutmaßlich einen Verstoß begangen haben, verfügen in der Regel auch über die Informations- und Interpretationshoheit. Wissend um diese Probleme, bemühte sich Präsident Obama klarzustellen:

    "Wir betonen nochmal: Die USA führen keinen und werden keinen Krieg gegen den Islam führen. Bin Laden war kein Anführer der Muslime - Er hat viele Muslime umgebracht. Tatsächlich hat Al-Kaida viele Muslime getötet in vielen Ländern - inklusive unserem."

    Und auch Pakistan, das sich als Zufluchtsort des meistgesuchten Terroristen der Welt entpuppt hat, informierte die Öffentlichkeit nur mit angezogener Handbremse. So sagte der pakistanische Premier auf die Frage, ob Pakistan an den Vorbereitungen zu der US-Kommandoaktion beteiligt gewesen sei, "er kenne keine Einzelheiten".

    Gerüchte darüber, dass der Geheimdienst Pakistans eine unrühmliche Rolle spielt, hat es immer gegeben. Nun wirft die spektakuläre Tötung Osama bin Ladens erneut ein Schlaglicht auf Pakistans Sicherheitsapparat. Denn jahrelang hat Islamabad vehement bestritten, dass sich der Al-Kaida-Chef in Pakistan aufhalten könnte. Dass Bin Laden jetzt nicht nur auf pakistanischem Staatsgebiet, sondern gerade einmal 60 Kilometer nördlich der Hauptstadt Islamabad aufgegriffen worden ist, wirft – mal wieder – Fragen bezüglich der Glaubwürdigkeit des pakistanischen Militärs und seines Geheimdienstes "Inter-Services Intelligence" (ISI) auf.

    Denn bin Laden hat sich nicht, wie lange vermutet wurde, in der unzugänglichen Bergregion an der Grenze zu Afghanistan versteckt gehalten, wo er auch ohne das Wissen pakistanischer Sicherheitskreise hätten leben können. Er hielt sich mitten in der 120.000-Einwohner-Stadt Abottabad versteckt. In einem großen, teuren Anwesen, umgeben von hohen Mauern und Stacheldraht. Abbottabad ist eine Garnisonsstadt; mehrere Einheiten der pakistanischen Armee haben dort ihre Stützpunkte, dazu gibt es in der Stadt ein großes Armeekrankenhaus. In der Nähe der Villa, in der sich bin Laden versteckt gehalten hat, liegt eine große Militärakademie. Dass sich ein weltweit gesuchter Terrorchef ohne Wissen der Armee hier aufgehalten haben könnte, ist kaum vorstellbar.

    Dennoch weisen Vertreter des Sicherheitsapparats - wie bei früheren Enthüllungen – alle Vorwürfe zurück. Hamid Gul, der ehemalige Chef des Geheimdiensts ISI, sagte, es sei falsch, dass Pakistans Regierung oder der ISI den Al-Qaida-Chef versteckt hätten. In einem Interview mit dem indischen Nachrichtensender CNN-IBN erklärte Gul, es sei in diesem Teil Pakistans nichts Ungewöhnliches, dass Gebäudekomplexe hohe Mauern hätten und schwer bewacht würden. Die Menschen in dieser Region bauten nun einmal immer hohe Mauern."

    Gul legte sogar nahe, der US-Geheimdienst CIA könne die Aktion "inszeniert" haben. Es könne gut sein, dass die USA von Bin Ladens Aufenthaltsort erst vor einer Woche erfahren hätten. Auch sei möglich, dass bin Laden nur für eine medizinische Behandlung nach Pakistan gekommen sei. In jedem Fall: Dass Bin Laden in Pakistan gelebt haben könnte, das glaubt Gul nicht!

    Dennoch räumt der ehemalige Chef des pakistanischen Geheimdienstes ein, dass Mitarbeiter der pakistanischen Seite davon gewusst haben könnten, dass sich bin Laden im Land aufgehalten hab. Gul wörtlich: "Auch der ISI hat viele Fehler. Der ISI ist auch keine Organisation, die alles weiß."

    Pakistans Premier Yusuf Raza Gillani ging indes in die Offensive. Er gratulierte den USA zu ihrer gelungenen Operation. Pakistan werde es nicht erlauben, dass sein Boden für Terrorismus gegen irgendein anderes Land benutzt werde, sagte Gillani in Islamabad. Vor einem Jahr allerdings war Pakistan schon einmal in Erklärungsnot geraten. Auf der Internet-Plattform WikiLeaks waren US-Geheimdepeschen aufgetaucht, die nahelegten, dass Pakistans Sicherheitsapparat heimlich den Anführern der afghanischen Taliban in Pakistan Unterschlupf gewährt und die Militanten unterstützt hat. Und das, obwohl sich Pakistan als Alliierter der USA bezeichnet. Großbritanniens Premierminister David Cameron erklärte damals bei einem Besuch in der indischen Hightech-Metropole Bangalore:

    "Wir wollen ein starkes, stabiles und demokratisches Pakistan sehen. Aber wir können es auf keinen Fall tolerieren, dass dem Land erlaubt sein sollte, in beide Richtungen zu schauen. Und dass ihm erlaubt sein sollte, den Export von Terror zu unterstützen, sei es nach Indien, nach Afghanistan, oder irgendwohin anders in die Welt."

    Vor allem Hamid Gul, der ehemalige Geheimdienstchef, ist kein unbeschriebenes Blatt. Er wird in den auf WikiLeaks veröffentlichten Geheimdepeschen mehrmals als wichtige Kontaktperson zwischen dem pakistanischen Geheimdienst ISI und den afghanischen Taliban genannt.

    Der Verdacht, dass Pakistan ein doppeltes Spiel mit Washington spielt, ist also nicht neu. Und wie die WikiLeaks-Veröffentlichungen nahelegen, wissen die USA über Islamabads doppeltes Spiel Bescheid. Doch die Beziehungen zwischen den Geheimdiensten der USA und Pakistans hatten sich in den vergangenen Monaten merklich verschlechtert. Und nun scheint es, als hätten die USA die Lust an Islamabads doppeltem Spiel verloren: Was aber treibt Pakistan an? Der Analyst Farrukh Saleem aus Islamabad erklärte nach den WikiLeaks-Veröffentlichungen vor einem Jahr:

    "Eine der zentralen Interessen Pakistans zielt darauf ab, Macht und Einfluss in Afghanistan geltend zu machen und jeden Versuch Indiens zu unterminieren, dort ebenfalls aktiv eine Rolle zu spielen. Betrachtet man das vom strategischen Standpunkt, dann sieht man, dass acht von 13 indischen Armeekorps nicht mehr als 100 Kilometer von der pakistanisch-indischen Grenze entfernt stehen. Und die indische Luftwaffe ist jetzt auch mit einem Luftwaffenstützpunkt in Tadschikistan präsent. Strategen in Pakistan scheinen davon auszugehen, dass Indien versucht, Pakistan einzukreisen. Ich denke, kein Land würde erlauben, vom Erzfeind geografisch eingekreist zu werden."

    Die Rivalität zu Indien also ist es, die Vieles im Atomstaat Pakistan diktiert, vermutlich auch die Kontakte des Sicherheitsapparats zu den afghanischen Taliban und – wie bin Ladens Aufenthaltsort es zeigt – zu Al-Kaida. Kein Zufall also, dass heute auch Afghanistans Präsident mit dem Finger Richtung Pakistan wies:

    "Ich appelliere an die NATO, dass der Kampf gegen den Terrorismus nicht in unseren Dörfern und Häusern stattfindet und auch nicht mit der Durchsuchung unserer Häuser gewonnen wird. Die sollten das stoppen. Die haben Osama in Abbottabad gefunden, nicht in Afghanistan. Ich will Sicherheit für unsere Häuser und die Kinder unseres Landes."

    Wer auch immer den Steigbügel gehalten und Osama bin Laden all die Jahre den Unterschlupf ermöglicht hat – mit ihm verschwindet nun eine der Projektionsfiguren des internationalen Terrorismus. Bis das möglich war, hat es immerhin zehn Jahre gebraucht. Zehn nützliche Jahre für Al-Kaida. Thomas Wandinger, Leiter des Instituts für Politik und Internationale Studien in München:

    "Der Verlust oder der Tod von Osama bin Laden bedeutet, dass eine Integrationspersönlichkeit weniger ist, es bedeutet nicht, dass die Konzeption des internationalen Terrorismus oder des islamistisch-militanten Dschihadismus geschwächt wurde. Es bedeutet, dass eine Referenzperson für andere Gruppen, die sich zu Al Kaida bekannt haben, verloren ist, es bedeutet aber nicht, dass diese Strukturen zerfallen."

    Strukturen, die keineswegs übersichtlich sind. Denn Al-Kaida mag dem internationalen Terrorismus einen eindeutigen Stempel aufgedrückt haben. Aber der Tod Osama bin Ladens bedeutet deshalb nicht das Ende des Internationalen Terrorismus. Viel zu differenziert ist das Bild, das die vielen Gruppierungen abgehen: Die einen sind international tätig, die anderen regional, die einen folgten Bin Laden, die anderen haben sich längst emanzipiert:

    "Es gibt im Moment drei verschiedene Weltregionen, die stark auf die Impulsvergabe von Al Zwahiri, also den Konzeptionsmann hinter Bin Laden reagiert haben: Das ist die Al-Kaida im Maghreb, das sind die Gruppen im Süden Somalias und im Jemen, natürlich auch Teile der Taliban im Grenzgebiet südliches Afghanistan, Nordwestprovinzen Pakistan, dort wird es sicherlich zu einer strategischen Pause kommen, wer jetzt die Nachfolge antritt Das ist das eine Phänomen. Das andere Phänomen ist, dass wir viele islamistische Gruppen haben, die einen eigenen Weg verfolgen und sich schon seit Jahren von bin Laden separiert haben – wenn man nur an die Gruppen im Nordkaukasus denkt, die Gruppen im Süden Thailands, im Süden der Philippinen."

    Al-Kaida – das war und das ist also nicht nur Osama bin Laden. Da ist der zweite Mann, Aiman Al Zwahiri, der als rechte Hand bin Ladens galt. Und da sind die vielen Terrorzellen weltweit, die ihr eigenes Süppchen kochen.

    "All diejenigen Gruppen, die wahabitisch orientiert sind, also einen streng konservativen islamistischen Gottesstaat als Ziel haben, die werden an Kohärenz nicht verlieren, sie werden sich neue Figuren suchen, aber – am Beispiel des Irak – ist erkennbar, wenn Führungsfiguren verloren gehen, ist es nicht gleichzeitig möglich, solche Persönlichkeiten von Rang nachzuführen das kann man vergleichen mit dem Verlust von Che Guevarra, es ist anschließend nicht mehr gelungen, obwohl die sozialen Beweggründe, Verarmung, Perspektivlosigkeit in Südamerika praktisch identisch waren, so eine Person noch einmal zu produzieren. Also: Der Tod von Bin Laden bedeutet in jedem Fall eine Schwächung, eine strategische Pause, aber noch nicht das Ende des internationalen Terrorismus."

    Die Folge könnte eine strategische Pause sein, sagt Thomas Wandinger, die von einzelnen Gruppierungen dazu genutzt werden könnte, sich durch Anschläge zu Wort zu melden. Höchste Alarmstufe also – auch in Deutschland:

    Denn deutsche Soldaten sind auch in Afghanistan präsent. Nachdem in den letzten Jahren die USA, Großbritannien, Spanien und die Türkei als wichtige NATO-Länder schon zu Anschlagszielen wurden, liegt auf der Hand, dass Deutschland nach Ansicht der Islamisten eines der nächsten Ziele ist.

    Gerade erst in der vergangenen Woche wurden in Düsseldorf und Bochum drei Männer festgenommen, die einen Anschlag geplant haben sollen. Auch Wolfgang Bosbach, der Vorsitzende des Bundestages Innenausschusses, ist der Ansicht, dass der Tod bin Ladens kein Grund ist, weniger aufmerksam zu sein – im Gegenteil:

    "Direkt operativ tätig war er in letzter Zeit nicht mehr und wir wissen ja aus den Festnahmen in Düsseldorf, auch diese mutmaßlichen Terroristen haben ihre Aufträge, ihre Befehle nicht von Osama bin Laden unmittelbar bekommen. Al-Kaida ist immer mehr dezentral tätig und organisiert, unter anderem im Jemen und in Somalia. Das heißt wir müssen leider davon ausgehen, dass wir in nächster Zeit, auch in Deutschland, eine erhöhte Terrorgefahr haben werden."

    Der bislang einzige erfolgreiche Terroranschlag mit islamistischem Hintergrund liegt erst zwei Monate zurück: Am 2. März 2011 erschoss ein junger Kosovo-Albaner am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten, die in den Einsatz nach Afghanistan fliegen sollten, und verletzte zwei weitere schwer.

    Der Kosovo-Albaner ist nach den bisherigen Ermittlungen der Bundesanwaltschaft ein Einzeltäter, der über das Internet radikalisiert wurde. Solche Einzeltäter oder unabhängig agierende Kleingruppen sind schwer auszumachen, weil sie wenig kommunizieren müssen. Denn die Kommunikation ist bislang eine der häufigsten Schwachstellen – und eine Möglichkeit für die Ermittlungsbehörden Anschlagsvorbereitungen auf die Spur zu kommen. Einzeltäter oder Kleingruppen haben meist auch keine Verbindungen zu anderen Zellen des islamistischen Terrorismus. Sie sind also vorher kaum aufzuspüren und können so ihre Anschläge quasi aus dem Nichts durchführen.

    Dies traf auch auf die beiden sogenannten Kofferbomber zu, die am 31. Juli 2006 zwei Regionalzüge in Nordrhein-Westfalen in die Luft sprengen wollten. Das scheiterte damals nur, weil die Bombenkoffer wegen Fehlern bei der Herstellung nicht explodierten. In den Zügen wäre eine dreistellige Zahl vom Menschen ums Leben gekommen.

    Neben den Einzeltätern und Kleingruppen gibt es auch jene, die gut vernetzt und deren Mitglieder gut ausgebildet sind. Zu Ihnen gehörten die drei Männer, die am Freitag festgenommen wurden, aber auch die sogenannte Sauerlandgruppe, die im vergangenen Jahr zu hohen Haftstrafen verurteilt wurde. In der Regel haben mindestens einige Mitglieder die Ausbildung durchlaufen, die die Gruppen der Al Kaida im pakistanischen Wasiristan organisiert. Dort werden sie operativ, aber auch ideologisch auf Anschläge vorbereitet. Sowohl die Sauerlandgruppe als auch die drei Festgenommenen hatten über den jeweiligen Emir, also den Chef der Gruppe, einen Anschlagsauftrag aus Wasiristan. Wird eine solche Gruppe festgenommen, besteht immer die Gefahr, dass nicht alle Gruppenmitglieder enttarnt worden sind.

    Nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden sind rund 100 in Wasiristan zu Terroristen ausgebildete Islamisten wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Nur zum Vergleich: Die Terrorgruppe RAF hatte in den 70er-Jahren nur rund 20 kampfbereite Mitglieder, hielt damit aber ganz Deutschland in Atem.