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Staatskrise in Venezuela
Der Widerstand handelt auf eigene Faust

Sie sind radikal und ihr Vertrauen in die Politik geht gegen Null - etwa 40 Prozent der Venezolaner sollen weder der Regierung noch der Opposition anhängen. Mit dem zersplitterten Oppositionsbündnis und Abtrünnigen aus dem Regierungslager verbindet sie dennoch ein Ziel.

Von Ann-Katrin Mellmann | 08.08.2017
    Oppositionelle Aktivisten sitzen vor einer einer Wand mit der Aufschrift "Hambre - Hunger"
    "Hambre - Hunger" haben venezolanische Aktivisten auf einer Wand geschrieben. Die Widerstands-Gruppe in Venezuela gilt als radikal, aber unpolitisch - und wachsend. (AFP / Ronaldo Schemidt)
    "Wer sind wir? - Der Widerstand", rufen junge Maskierte in die Kameras. "Wir wollen Freiheit".
    Seit Anfang April ziehen sie dafür Tag für Tag bewaffnet mit Knüppeln und Molotovcocktails in die Schlacht gegen Venezuelas Sicherheitskräfte. Weil sie genug haben von der Krise.
    "Wahlen wollen wir nicht, sondern dass die Regierung einfach verschwindet. Wir wollen, dass der Mangel endet. Es gibt nichts zu essen. Wir wollen Arbeit und genug Geld, damit wir uns ein Moped oder Auto leisten können. Unser Geld reicht aber nicht mal für Lebensmittel. Wir sind keine Terroristen, sondern Schüler, Studenten und Arbeiter."
    Radikal, aber unpolitisch
    Der Widerstand handelt auf eigene Faust. Mit der Opposition sind die jungen Leute nicht direkt verbunden. Radikal, aber unpolitisch wollen sie von einem Dialog zwischen den verfeindeten politischen Lagern nichts wissen. Ihre Generation hat keine andere Regierung als die sozialistische erlebt. Ihr Vertrauen in die Politik geht gegen Null.
    Inzwischen hingen etwa 40 Prozent der Venezolaner weder der Regierung noch dem Oppositionsbündnis an, haben Meinungsforschungsinstitute zu Jahresbeginn ausgemacht. Nicht das eine und nicht das andere - die "NiNis" - ihre Gruppe wächst.
    Oppositionsbündnis aus fast 20 Parteien
    Die regierenden Sozialisten prangern diejenigen, die nicht hinter ihnen stehen, als "Rechte" und "Faschisten" an. Aber das so verunglimpfte Oppositionsbündnis "Tisch der Demokratischen Einheit" MUD besteht aus fast 20 Parteien. Darunter sind grüne, sozialdemokratische, christliche und neoliberale rechte Vertreter der reichen Oberschicht. Drei der linken gehören sogar zur Sozialistischen Internationale, wie etwa Voluntad Popular.
    Konsens ist bei der Vielfalt entsprechend schwierig. Auch etliche sind darunter, die dem Lager der Chávisten den Rücken gekehrt haben. Chávez, der verstorbene Präsident, wollte Venezuela einst zum sozialistischen Staat umbauen. Die Politologin Francine Jácome aus Caracas sieht diese "Bewegung der Abtrünnigen" wachsen.
    Abtrünnige aus dem Regierungslager
    "Wir sprechen vom 'abtrünnigen Chavismus', einem Prozess, der Ende des vergangenen Jahres begann. Es sind politische Führer und ehemalige Funktionäre, die Präsident Chávez nahestanden, aber heute Präsident Maduro sehr kritisch gegenüberstehen. Ich glaube es wird zu weiteren Abspaltungen im Regierungslager kommen, immer mehr werden zum kritischen Chavismus überlaufen und Maduro die Stirn bieten."
    Dazu gehören Armeegeneräle, frühere Minister und Parteifunktionäre. Prominentestes Beispiel ist die abgesetzte Generalstaatsanwältin: Luisa Ortega spielte nicht mehr mit, als das Oberste Gericht Ende März das Parlament entmachten wollte. Die Abstimmung für eine Verfassunggebende Versammlung hielt sie für gesetzeswidrig und prangerte Wahlbetrug an.
    Was alle eint - Abtrünnige, radikale Jugendliche und die vielen Oppositionsparteien: Sie wollen das Ende der Krise.