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Staatsleistungen als historisches Erbe
Finanzgeflecht zwischen Staat und Kirchen

Aufgrund der Säkularisierung von Kirchenbesitz in den linksrheinischen Gebieten des ehemaligen Heiligen Römischen Reiches hat die Weimarer Reichsverfassung festgelegt, dass den Kirchen dafür eine einmalige Entschädigungssumme zu zahlen sei. Da dies so nie zustande kam, hat die Bundesrepublik diesen Auftrag als historisches Erbe übernommen.

Von Rainer Brandes | 28.04.2015
    Regensburg, 25. Februar 1803. Die Reichsstände sind zusammengekommen, um eines der letzten Gesetze des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zu beschließen: den Reichsdeputationshauptschluss. Zuvor waren durch die Napoleonischen Kriege die linksrheinischen Territorien des Reiches an Frankreich gefallen. Dafür verlangten die betroffenen weltlichen Fürsten Entschädigung.
    Da fällt der Blick der Reichsstände auf das gigantische Vermögen der Kirchen. Ländereien von fast 100.000 Quadratkilometern werden enteignet und den Fürsten zugeschlagen, die linksrheinische Verluste hinzunehmen hatten. Die Kirchen aber verlangen nun ihrerseits Entschädigung. Schließlich haben sie bisher einen Großteil ihrer laufenden Kosten über Einnahmen aus den jetzt enteigneten Ländereien beglichen.
    Claus Dieter Classen, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Greifswald:
    "Zum Ausgleich hat eben damals dann der Staat die Finanzierung der Pfarrer übernommen und auch sonst eine Reihe von Leistungen übernommen. Und das ist sozusagen die entscheidende Ursache dafür, dass es heute diese Staatsleistungen gibt."
    Fast 500 Millionen Euro als Entschädigung
    In der Tat zahlen die Bundesländer bis heute jedes Jahr fast 500 Millionen Euro an die katholischen Bistümer und evangelischen Landeskirchen als Entschädigung für entgangene Erträge. Es sind Gehälter von Bischöfen und Pfarrern darunter ebenso wie der Unterhalt für bestimmte Gebäude - bezahlt von allen Steuerpflichtigen, egal ob Mitglied einer Kirche oder nicht. Das dürfte es eigentlich gar nicht geben, sagt Axel Denecke. Der emeritierte Professor für Evangelische Theologie engagiert sich seit Langem für alternative Modelle der Kirchenfinanzierung:
    "Die Staatskirchenleistungen sind natürlich für Kirchendistanzierte ein Unding. Die sagen: Warum müssen wir zahlen? Wir gehören seit 40, 50 Jahren der Kirche nicht mehr an und wir müssen zahlen. Was haben wir damit zu tun?"
    Das war schon den Abgeordneten der Weimarer Nationalversammlung klar. In Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung heißt es:
    "Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf."
    Tatsächlich hat das Reich niemals diese Grundsätze aufgestellt. Als 1949 das Grundgesetz verabschiedet wurde, wurden die entsprechenden Weimarer Verfassungsartikel einfach übernommen – und damit auch der Auftrag zur Ablöse. Kerstin Griese ist Beauftragte der SPD-Bundestagsfraktion für Kirchen und Religionsgemeinschaften. Auf die Frage, warum der Bundestag bis heute seinem Verfassungsauftrag nicht nachkommt, antwortet sie:
    "Um die Staatsleistungen an die Kirchen abzulösen, braucht man eine gemeinsame Basis aus dem Bund, den Ländern und den Kirchen und im Fall der Katholischen Kirche auch noch dem Vatikan. Alle Seiten sagen zwar immer wieder, dass sie da zu Gesprächen bereit sind, aber es gibt im Moment keine explizite Initiative, die sagt, wir wollen, dass jetzt endgültig die Staatsleistungen abgelöst werden. Obwohl ich es persönlich auch gut fände, wenn man sich der Frage mal grundsätzlich widmen würde. Ich sehe aber keinen Handlungsdruck."
    Das sagen fast alle Parteien. Nur Die Linke tritt klar für eine Ablöse ein. Aufseiten der Kirchen fallen die Antworten ganz ähnlich aus. Martin Dutzmann, Beauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beim Bund, sagt auf die Frage, ob seine Kirche zu einer Ablöse bereit sei:
    "Selbstverständlich, natürlich auch, weil es grundgesetzlich vorgeschrieben ist. Allerdings kann Ablösung nicht heißen ersatzlose Enteignung. Es handelt sich um den Ersatz für entgangene Erträge aus eingezogenem Kapital. Das heißt, letztendlich müsste annähernd das Kapital wiederhergestellt werden, damit die Kirchen diesen Posten auch weiterhin in ihrem Haushalt haben können."
    Unerfüllbarer Auftrag
    Und hier liegt das Problem: Laut Schätzungen müsste das zu ersetzende Kapital das 18- bis 25-fache der heutigen jährlich gezahlten Summe betragen. Mit dem Status quo fahren die Länder besser. Allerdings gibt der Staatsrechtler Claus Dieter Classen zu bedenken:
    "Ich glaube, dass der Auftrag, der 1919 formuliert wurde, natürlich nicht so gedacht war, dass er unerfüllbar ist. Von daher muss man schon zwar über eine erhebliche Summe reden, aber doch über eine Summe, die auch für den Staat leistbar wäre."
    Am Ende müssten die Kirchen wohl auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten. Immerhin: Einzelne Staatsleistungen, die erst nach 1803 eingeführt worden sind, wurden in jüngster Zeit sogar schon abgelöst, so zum Beispiel in Hessen. Karl Jüsten, der Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz beim Bund, gibt sich kompromissbereit:
    "Bei den konkreten Verhandlungen, die jetzt schon stattfinden, einigt man sich. Und das ist natürlich immer so, dass da, wo man sich konkret einigt, beide Seiten aufeinander zugehen. Da wird sicher auch Verzicht unserer Seite dabei sein."
    Kritik am Kirchensteuereinzug
    Wesentlich wichtiger als die Staatsleistungen ist die Kirchensteuer als Finanzquelle für die Kirchen. Auch hier ist der Staat eng verwoben mit den Kirchen. Verfassungsrechtlich ist die Kirchensteuer allerdings wesentlich unproblematischer als die Staatsleistungen. Denn die Steuer zahlt nur, wer auch tatsächlich Kirchenmitglied ist. Trotzdem gibt es immer wieder Kritik am Kirchensteuereinzug durch den Staat - und zwar aus theologischer Sicht. Schon Dietrich Bonhoeffer hatte es in seiner Doktorarbeit als Missstand bezeichnet, dass die Kirche ihre Mitgliedsbeiträge durch staatlichen Zwang eintreibt. Kritiker meinen, schon gar nicht dürfe sie die Teilhabe an der Gemeinschaft aller Gläubigen an die Zahlung von Steuern knüpfen. D
    Der emeritierte katholische Kirchenrechts-Professor Hartmut Zapp machte 2007 Schlagzeilen, als er genau dieses System auf die Probe stellte. Vor seinem Standesamt erklärte er den Austritt aus der Katholischen Kirche – allerdings nur aus der Körperschaft des Öffentlichen Rechts. Denn Mitglied der Glaubensgemeinschaft wollte Hartmut Zapp bleiben. Die Katholische Kirche aber wollte das nicht akzeptieren und den Austritt für ungültig erklären lassen. 2012 beschloss das Bundesverwaltungsgericht: Der Austritt ist gültig. Aber das Gericht stellte auch klar: Wer aus der Körperschaft austritt, tritt auch aus der Glaubensgemeinschaft aus. Die Kirchen sind zufrieden. Karl Jüsten, der Beauftragte der Bischofskonferenz, betont zwar, natürlich bleibe Hartmut Zapp getaufter Christ. Aber:
    "Die Argumentation von Professor Zapp war in der Tat etwas abenteuerlich, weil theologisch kann man ja nicht also nur in einer spirituellen Gemeinschaft sein und nicht in einer realen Gemeinschaft. Man ist immer beides."
    Alternativmodell zur Finanzierung
    Die evangelische Kirche argumentiert ganz ähnlich. Für den Theologen Axel Denecke zeigt dieser Fall die ganze Misere des deutschen Kirchensteuermodells. Die Amtskirche habe es sich in dem System bequem gemacht. Er und seine Mitstreiter vom Dietrich-Bonhoeffer-Verein - einem Verband von kritischen Theologen und Laien - wollen das ändern. Sie haben ein Alternativmodell zur Finanzierung der Kirchen vorgelegt: das Drei-Säulen-Modell. Die erste Säule ist unstrittig. Sie umfasst Kollekten und Spenden. Als zweite Säule schlägt der Verein eine Umstellung von der Kirchensteuer auf einen verpflichtenden Beitrag aller Mitglieder an ihre jeweilige Gemeinde vor. Diesen Beitrag würde dann nicht das Finanzamt, sondern die Kirche selbst einziehen. Axel Denecke:
    „Der Vorteil von einem Gemeindebeitrag ist, wenn ich als Kirchensteuerzahler weiß, meine ganzen Kirchensteuern, das geht zunächst nicht an die große Gesamtkirche, sondern das geht an meine Gemeinde und ich kann damit auch mitbestimmen, was sie damit tut, das stärkt die Kommunikation zwischen Kirchenvorstand und Gemeindegliedern. Also, das ist für mich ein ganz großer Vorteil."
    Als dritte Säule nehmen die Autoren des Modells die italienische Kultursteuer zum Vorbild. Demnach soll der Gesetzgeber etwa 1,5 Prozent des allgemeinen Steueraufkommens als einen sogenannten Bürgerhaushalt vorhalten. Alle Steuerpflichtigen bekämen dann Gutscheine vom Finanzamt ausgestellt über ihren jeweiligen Anteil an diesem Bürgerhaushalt. Jeder könnte dann selbst entscheiden, für welche gemeinnützige Einrichtung er das Geld einsetzen möchte. Für Axel Denecke liegt der Vorteil auf der Hand:
    "Die Frage ist, wie kann ich denjenigen, die - aus welchen Gründen auch immer - aus der Kirche ausgetreten sind, eine Möglichkeit geben, das religiöse, kulturelle Angebot der Kirche mit zu unterstützen, ohne dass sie die Angst haben, ihr Geld wird in eine anonyme Großorganisation hineingehen, von der sie gar nicht wissen, wie es verteilt wird, und die sie insgesamt ablehnen."
    Vermischung von Kirche und Staat
    Doch der Dietrich-Bonhoeffer-Verein übersieht hier ein staatsrechtliches Problem, auf das Martin Dutzmann von der EKD aufmerksam macht:
    "Das heißt, da kommt dann Geld tatsächlich aus dem Bundeshaushalt in die Kirchen. Und da, genau an dieser dritten Säule, sehe ich eine unzulässige Vermischung von Kirche und Staat."
    Abgesehen von dieser rechtlichen Problematik sieht Kerstin Griese, die Kirchenbeauftragte der SPD, auf politischer Ebene keinerlei Mehrheiten für eine solche Steuer:
    "Also, es ist ein sympathisches Modell, was der Bonhoeffer-Verein da vorschlägt, ich glaube nur, dass es für Deutschland nicht realistisch ist, weil bei uns das Kirchensteuermodell gewachsen ist. Ich glaube halt, dass unser Modell in Deutschland der Trennung von Staat und Kirche und gleichzeitig einer - wie es die Juristen nennen - fördernden Neutralität des Staates, dass das in Deutschland historisch gewachsene und gutes Modell ist."
    So bleibt als Fazit: Es gibt durchaus Alternativen zum bisherigen Finanzgeflecht zwischen Staat und Kirchen. Tatsächlich wird sich in absehbarer Zeit aber wohl wenig ändern. Allenfalls bei den Staatsleistungen an die Kirchen könnte sich etwas bewegen, sollte der öffentliche Druck zur Ablöse dieses überkommenen Modells weiter wachsen.