Samstag, 20. April 2024

Archiv


Staatsrechtler kritisiert Ausstattung für Ex-Bundespräsidenten

Der Politologe Martin Morlok regt angesichts der Diskussion um Christian Wulff an, die Ausstattung von ehemaligen Bundespräsidenten mit Büro und eigenem Fahrdienst neu zu regeln. Auch den Großen Zapfenstreich als Abschiedszeremoniell stellt Morlok infrage.

Das Gespräch führte Christiane Kaess | 06.03.2012
    Christiane Kaess: Alle vier noch lebenden Altbundespräsidenten werden am Großen Zapfenstreich für Christian Wulff an diesem Donnerstag nicht teilnehmen. Das berichtet die Zeitung "Die Welt" heute. Auch die Diskussion um den Ehrensold inklusive Zusatzkosten für Christian Wulff geht weiter.
    Am Telefon ist Martin Morlok, er ist Staatsrechtler und Politikwissenschaftler an der Uni Düsseldorf. Guten Tag, Herr Morlok.

    Martin Morlok: Guten Tag, Frau Kaess.

    Kaess: Herr Morlok, die Ankündigung ehemaliger Bundespräsidenten, nicht teilzunehmen am Großen Zapfenstreich, so wie auch viele andere das nicht tun wollen – das haben wir gerade im Beitrag gehört -, ist das ein weiteres Anzeichen dafür, dass das Amt des Bundespräsidenten nach Christian Wulff nicht mehr das ist, was es war?

    Morlok: Ja, sagen wir mal, in dieser Nichtteilnahme liegt sicher eine deutliche Distanzierung von der Person des bisherigen Bundespräsidenten. Ob das Amt nachhaltig beschädigt ist, ist eine andere Frage. Aber was gerade in Ihrer Einspielung kam, dass der frühere Bundeskanzler Schmidt gesagt habe, die gesamte politische Klasse sei beschädigt, da ist schon etwas dran. Das Geschmäckle, die bedienen sich doch selbst, das hat sich noch etwas verstärkt.

    Kaess: Ist vor diesem Hintergrund der Große Zapfenstreich für Christian Wulff angebracht?

    Morlok: Nun, zunächst einmal sollte man sehen, dass solche Ehrungen in erster Linie dem Amt und nicht der Person gelten. Insofern könnte man die Aufregung ein bisschen tiefer hängen. Aber wenn wir schon vom Großen Zapfenstreich reden, dann sollte man den sich doch auch genau angucken. Das ist ein alter Brauch, ein alter militärischer Brauch, aber bei genauem Hinsehen ist er doch sehr fragwürdig. Da ergeht der Befehl, "Helm ab zum Gebet". Wenn man das wörtlich nimmt, ist es verfassungswidrig, weil niemand zum Gebet verdonnert werden darf. Die Religionsfreiheit steht dagegen. Insofern: Was soll das? Da kommt dann anschließend aber auch kein Gebet, sondern die Kapelle spielt, "Ich bete an die Macht der Liebe". Also wenn ich das so ungeschützt sagen darf: Ich finde das eher kitschig.

    Kaess: Das heißt auch, Herr Morlok, Sie würden dafür plädieren, generell mal darüber nachzudenken, ob man dieses Zeremoniell abschafft?

    Morlok: Dass man dieses Zeremoniell abschafft. Und warum müssen sie auf alte militaristische Traditionen zurückgreifen? Ein Staat wie die Bundesrepublik braucht auch solche Zeremoniells, gar keine Frage, aber wir können doch ein neues uns ausdenken. Das wäre doch jetzt mal Anlass, über eine solche neue Form eines Amtsabschiedes nachzudenken. Ich glaube, wir haben durchaus ein Recht zu Traditionsbegründungen.

    Kaess: Bleiben wir mal bei der Verabschiedung generell. Es gibt ja zwei Sichtweisen auf den Großen Zapfenstreich. Das Bundeswehrzeremoniell sei eine Ehre und keine Staatspraxis. Das sagt zum Beispiel Johannes Kahrs, Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises der SPD. Verteidigungsminister Thomas de Maizière von der CDU spricht dagegen von einer geübten Staatspraxis. Was stimmt denn jetzt?

    Morlok: Der Hintergrund dieser Auseinandersetzung ist ja offensichtlich, ob das so sein muss oder nicht. Wenn es eine geübte Staatspraxis ist, dann besteht eine Verpflichtung, das auch weiterhin zu machen. Aber wenn man da näher hinschaut, dann erwächst aus einer ständigen Staatsübung nur dann ein Anspruch, eine Pflicht, das zu machen, wenn es keine besonderen Umstände gibt. Man darf nicht willkürlich von einer Praxis abweichen, und hier kann man immerhin sagen, dass das ein Bundespräsident ist, der nicht eine Amtsperiode erfüllt hat, und insofern würde ich es durchaus für gut denkbar halten, dass man sagt, Nein, man kann ohne rechtlichen Schaden davon Abstand nehmen. Aber das ist jetzt zu spät.

    Kaess: Schauen wir auf den Ehrensold und die Zusatzkosten. Rechtlich gesehen: Ist die Sache denn definitiv entschieden?

    Morlok: Also, was den Ehrensold angeht, da ist die Sache entschieden, und man sollte wie gesagt das irgendwie auch mal beenden. Eine andere Frage, das ist die fortdauernde Amtsausstattung. Auch da haben wir wieder diese Verwaltungsübung, dass die ehemaligen Bundespräsidenten Büro und Fahrer und Personal bekommen. Da, meine ich auch, gilt das Gleiche, was wir gerade schon angesprochen haben. Bei besonderen Umständen, bei anderen Umständen kann man davon abweichen, und wir haben wiederum den Fall, dass eine Amtsperiode nicht erfüllt worden ist. Und schauen wir mal: Weshalb sollte ein ehemaliger Bundespräsident noch Amtsausstattung haben? Weil er noch nachwirkende Aufgaben zu erfüllen hat. Ein Bundespräsident ist regelmäßig eine Person des öffentlichen Vertrauens, an die sich Bürger mit ihren Kümmernissen wenden. Ob im Falle Wulff so viele Bürger hinterher sich an ihn wenden werden und sagen, diese ehrenwerte Person soll mir in meiner Notlage helfen, das muss man doch bezweifeln.

    Kaess: Der FDP-Bundestagsabgeordnete Jürgen Koppelin hat einen Vorschlag gemacht, nämlich Ex-Bundespräsidenten könnten statt eigener Fahrer die Fahrbereitschaft des Bundestages nutzen und sie sollten ihr Büro künftig auch in Berlin haben, am besten in den Räumen des Deutschen Bundestages. Ist das ein guter Vorschlag?

    Morlok: Also, dass man das in der Hauptstadt ansiedelt, ist sicher richtig, und die gegenwärtige Aufregung sollte man jedenfalls nutzen, um darüber nachzudenken, wie wir die Ausstattung ehemaliger Bundespräsidenten regeln wollen. Das, was wir jetzt haben, ist ja nur eine lückenhafte Regelung, und die gesetzliche Regelung stammt von Anfang der 50er-Jahre. Vielleicht ist die jetzige Aufregung eben doch ein ganz guter Anlass, darüber neu nachzudenken.

    Kaess: Martin Morlok war das, er ist Staatsrechtler und Politikwissenschaftler an der Uni Düsseldorf. Vielen Dank für das Gespräch.

    Morlok: Gerne geschehen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Was ist der Große Zapfenstreich? Informationen auf bundeswehr.de