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Stadtfarm
Mitten in der Stadt - ackern in der dritten Dimension

Gemüse anbauen, wo es auch verzehrt wird, ohne lange Lieferwege vom Land in die Stadt: Ein Hamburger Start-up baut in einem Gebäude Pflanzen mit kurzen Wachstumszyklen auf vielen Ebenen übereinander an. Statt Sonnenlicht gibt es Photonen aus LED-Leuchten.

Von Klaus Löckschen | 20.04.2018
    Tomaten wachsen unter blauem Licht in einem Experiment des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit dem Missionsnamen Eu CROPIS, bei dem Tomatenzucht im Weltall untersucht werden soll (undatierte Aufnahme). Bemannte Weltraummissionen könnten in Zukunft mehrere Jahre dauern. Und dann: Nichts als Astronautennahrung? Forscher arbeiten an frischen Alternativen.
    Pflanzen gedeihen statt unter Sonnenlicht unter LED-Leuchten - laut dem Start-up lokal, pestizidfrei und auf den Punkt knackfrisch (Sebastian M. Strauch/DLR )
    "Hier wurde bis jetzt das Gemüse, das von Gott weiß woher kam, umgeschlagen. Und jetzt wird halt also das Gemüse gleich hier vor Ort hergestellt. Aber das sieht jetzt in keiner Weise so aus wie ein Acker mit Sonnenuntergang und ´nem Baum drauf und ´ner Bank, wo ein Bauer drauf sitzt".
    Von Naturromantik wahrlich keine Spur. Hinter der langgestreckten Betonfassade einer ehemaligen Gemüseumschlaghalle unmittelbar neben dem Hamburger Großmarkt hat sich vor gut zwei Jahren Farmers Cut aufgestellt: eine vertikale Stadtfarm - ackern in die dritte Dimension hinein, ohne auf einen Acker angewiesen zu sein. Mark Korzilius und Isabel von Molitor sind die Gründer des Start-ups. Sie umreißen, was da auf mehreren Ebenen unter Kunstlicht und maßgeschneiderten Bedingungen zur Photosynthese und auf Geschmack gebracht wird. Es sind selten im Handel erhältliche Sorten von Blattsalaten, Rettichkressen und Kräutern.
    "20 Mal im Jahr können wir ernten, das hängt ganz davon ab: Wenn ich jetzt Kressen anbaue, dann kann ich 70, 80 Mal ernten, wenn ich Salate anbaue, auch größere Salate, dann sind das 20, 22 Tage, wenn ich gewisse Kräuter anbaue, sind es vielleicht auch mal vier Wochen. Aber in der Regel können wir eben vielfach mehr und präzise ernten."
    Vapiano-Gründer baut in Bestandsgebäuden an
    Viel Unternehmergeist steckt in den Adern des 54-Jährigen, der 2002 schon die Gastronomie-Kette Vapiano ins Leben gerufen hat. Seine jetzige Vision ist, in Bestandsgebäuden den begrenzten städtischen Raum effizient und nachhaltig zur Lebensmittelproduktion zu nutzen – lokal, pestizidfrei und auf den Punkt knackfrisch.
    "Dieses sogenannte Harvest-on-demand oder ernte erst, wenn du das Ganze auch konsumierst. Ich schneide den Salat erst in der Sekunde ab, bevor ich ihn in die Schale gebe. Und weil da keine Tiere dran sind, weil keine Pestizide dran sind, kann man ihn auch direkt verzehren".
    Knapp 700.000 Tonnen Salat werden jährlich allein von Spanien nach Nordeuropa transportiert. Zuvor meist üppig mit Pestizidcocktails behandelt, dann geschnitten, durch Chlorbäder gezogen und schließlich in Plastik verpackt, kritisiert Korzilius. Schnell verwelkt das Grün und wird daher oft in großer Menge ungenutzt in die Tonne geworfen.
    Mineralstoffreiche Substrate, wenig Wasser und Dünger
    Bei Farmers Cut gedeihen die Pflanzen statt unter Sonnenlicht unter LED-Leuchten. Und statt auf Erde oder Steinwolle werden sie in Wannen auf ein mineralstoffreiches Substrat gesetzt. Wasser und Sauerstoff hinzu, das reicht für ein gesundes Wachstum, so die Betreiber. So ließen sich auch 80 Prozent Wasser und 60 Prozent Dünger einsparen.
    Alles beginnt in der 2,5 Millionen Euro teuren Indoor-Farm natürlich mit dem Säen. Die 28-jährige Isabel von Molitor öffnet einen Übersee-Container.
    "Hier wird gesät, hier kommen die ausgesäten Trays rein, um zu keimen für drei, vier, fünf Tage, je nachdem, welche Pflanzensorte. Das ist ein verdunkelter Container mit Klimasteuerung, sodass man die idealen Verhältnisse auch für die Keimung herstellen kann. Dort passen über 200 Trays rein".
    550 Quadratmeter Wachstumsfläche im Riesenkubus
    Wenige Schritte weiter, hineingestellt mitten in die Halle, ein Riesenkubus aus hellen Alu-Elementen, das Herzstück der Anlage. Vorne und hinten Rolltore.
    "Hier steht das Farmhaus, knapp acht Meter Höhe, hat neun Lagen, ungefähr 20 Meter Länge. Und das bietet uns eine Wachstumsfläche von 550 Quadratmetern. Und verschiedenste Varianten, die auf den diversen Ebenen wachsen. Ich kann auch gleich mal öffnen".
    Strom kommt vom Blockheizkraftwerk
    Da haben wir den Salat. Auf allen Etagen, die jeweils knapp einen Meter hoch sind. Vornan zeigt sich das Grünzeug in den blauen Nährstoffwannen noch ganz zart, tiefer in die Halle hinein wird es immer kräftiger. Der Vorschub läuft automatisch in Mikroschritten. Zahlreiche LED-Leisten oberhalb der Pflanzen tauchen diesen Brutkasten 18 Stunden am Tag in ein rötliches Licht. Der Energieaufwand ist laut der Betreiber dank der sparsamen LED beherrschbar. Strom und Wärme liefert ein Blockheizkraftwerk.
    "Es fängt hier ganz klein an, also die Keimung ist abgeschlossen, das heißt, es haben sich die ersten zarten Blättchen entwickelt. Jetzt kann die Photosynthese beginnen. Und dementsprechend wandert die Pflanze hier ganz langsam innerhalb von 18, 20 Tagen von der einen zur anderen Seite".
    Salate für bis zu 8.000 Menschen von der Hallen-Farm
    Was hinten rauskommt, ist tatsächlich knackiges Grünzeug mitsamt bescheidenen Würzelchen und kräftigem, würzigen Geschmack. Je kleiner die Wurzel, desto besser war die Pflanze versorgt, sagt der Stadtfarmer und knabbert auch diese ab.
    "Wir können, wenn wir die Farm in Hamburg zu Ende bauen wie geplant, also mit vier Farmhäusern mit 2.000 Quadratmetern Anbaufläche, können wir am Tag idealerweise zwischen 5.000 und 8.000 Menschen mit Kräutern, Salaten und Kressen versorgen".
    Produkte "mit einem hohen Anspruch an Frische"
    Derzeit liegt die Tagesernte gerade mal bei maximal 100 Kilogramm, die meist in die gehobene Gastronomie geht. Bei 2 Euro 50 pro 100 Gramm ist die Gewinnschwelle im jetzigen Stadium und mit der achtköpfigen Belegschaft noch fern.
    Indoor-Farming wird nach Meinung von Mark Korzilius sicherlich ein Nischenprodukt bleiben.
    "Wir haben keinen Anspruch auf Welternährungsproblemlösung, es wird niemals die großen Sieben wie Mais, Getreide, die werden sich niemals sinnvollerweise indoor machen lassen. Das macht überhaupt keinen Sinn. Aber Produkte mit einem kurzen Wachstumszyklus von zwei, drei, vier Wochen, die einen hohen Anspruch an Frische haben, nämlich wie Salate".
    Expansion geplant in Mega-Cities, den Mittleren Osten
    Oder zukünftig auch Mikro-Gemüse wie Paprika, Chilli, Gurken. Halten die Wachstumszellen, was sie versprechen, setzen die Betreiber auf Expansion.
    "Wir wollen mit unserer Farm aus Hamburg heraus in die Welt marschieren. In den Mittleren Osten, in Mega-Cities wie Shanghai, dorthin, wo echte Brennpunkte sind".
    Wo es auf jedes Fleckchen ankommt. Wie auch in Tokio. Dort sprießen bereits Salate in Hallen, die noch vor kurzem von Elektronikgiganten genutzt wurden. Wie sich die Zeiten ändern.