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Stadtkämmerer: Aus eigener Kraft kommen Kommunen nicht aus Schulden heraus

Oberhausen hält den traurigen Spitzenplatz in der Schuldenliste der Bertelsmann-Stiftung. Der Kämmerer der Stadt, Apostolos Tsalastras, fordert, dass sich Bund und Länder im Bereich der Soziallasten mehr engagieren, damit diese "strukturelle Krise" beendet werden könne.

Apostolos Tsalastras im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 20.08.2013
    Tobias Armbrüster: Und wir haben es gehört, mit ganz vorne, nämlich auf Platz eins dieser Schuldenliste der Bertelsmann-Stiftung, steht die Stadt Oberhausen in Nordrhein-Westfalen. Zuständig dort für die Finanzen ist der Kämmerer Apostolos Tsalastras. Schönen guten Tag, Herr Tsalastras!

    Apostolos Tsalastras: Schönen guten Tag, Herr Armbrüster?

    Armbrüster: Herr Tsalastras, warum sind Sie der Schuldenmeister der Republik?
    Tsalastras: Ja, mit dem Schuldenmeister ist das so eine Sache, ich würde das so nicht sehen. Die Bertelsmann-Stiftung hat jetzt nur die Kassenkredite betrachtet in ihrer Aufstellung, beklagt aber auch in ihrem Bericht, dass viele Kommunen ihre Schulden in städtischen Töchtern untergebracht haben. Und wir können ja jetzt mit dem neuen kommunalen Finanzmanagement ja auch die Gesamtverschuldung der Städte betrachten. Da sind wir dann nicht mehr Spitzenreiter, sondern da hat uns dann Kaiserslautern und Pirmasens überholt, aber das ist jetzt trotzdem kein Grund zur Freude, weil …

    Armbrüster: Das heißt, die haben Sie überholt, weil Sie es geschickt so gemacht haben, die Schulden auszulagern in Tochterunternehmen?

    Tsalastras: Wir nicht, das ist immer unterschiedlich. Es werden Aufgaben verlagert in Tochterunternehmen, da werden dann die Schulden mitgenommen. Und jede Kommune ist da anders von ihrer Schuldenstruktur aufgestellt. Wir haben jetzt nur 7,5 Prozent unserer Schulden in städtischen Töchtern, andere haben 40, 50 Prozent – das ist ganz unterschiedlich in den Kommunen. Also ein richtiges Bild kriegt man, wenn man die Gesamtverschuldung sich anschaut. Und da sind wir dann nicht mehr Spitzenreiter, aber trotzdem geht es uns nach wie vor schlecht, und das, was die Bertelsmann-Stiftung beschreibt, was wir eben in dem Beitrag auch hören konnten, das stimmt absolut. Und die Situation ist gut beschrieben.

    Armbrüster: Ist es dann richtig, dass auch Städte so wie Ihre, wie Oberhausen, lange über ihre Verhältnisse gelebt haben?

    Tsalastras: Es ist so, dass Städte auch wie Oberhausen viel zu lange in einer Situation, mit einer Situation zurechtkommen mussten und auch noch kommen müssen, die gekennzeichnet ist von unheimlich hohen Soziallasten, die wir tragen müssen. Und einer geringen Steuerkraft, die wir haben, die auch nicht ausgeglichen wird in dem Umfang, wie es notwendig wäre, um unsere Aufgaben zu erfüllen. Es wird immer der Eindruck erweckt, dass die Kommunen über ihre Verhältnisse leben, aber wenn man dann genau hinschaut, dann stellt man fest, dass das eine strukturelle Krise insbesondere in den Kommunen ist, die den Strukturwandel von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft in der Form nicht haben leisten können. Das sind ja zum Teil ganze Regionen, wie das Ruhrgebiet bei uns in Nordrhein-Westfalen, oder hier das Bergische Land, die ähnliche Probleme haben. Und auch bis heute und vor allen Dingen schon sehr früh, schon Mitte der 80er-Jahre, damit haben umgehen müssen. Diese Finanzen fehlen uns.

    Armbrüster: Sie sagen es, diese Probleme waren eigentlich seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten absehbar. Hätte man da nicht einfach viel mehr auf die Bremse treten müssen?

    Tsalastras: Man hätte schon viel, viel früher die Problematik angehen müssen. Wir haben zum ersten Mal in Nordrhein-Westfalen durch die jetzige Landesregierung ein sogenanntes Hilfspaket – den Stärkungspakt Stadtfinanzen – ins Leben gerufen, um diese Entwicklung zu bremsen, aber das Land kann diese Entwicklung auch nur bremsen. Das ist jetzt ein bisschen gelungen. Wir haben in den Jahren ab 2011, zumindest wir hier in Oberhausen, keinen weiteren Anstieg in der Form, was die Kassenkredite angeht. Aber wir kommen aus der Gesamtsituation nur raus, wenn wir auch im Bereich der Soziallasten so entlastet werden, dass wir wieder investieren können und uns wieder auch so attraktiv machen können, dass wir auch langfristig aus dieser Schuldensituation herauskommen.

    Armbrüster: Ein Unternehmen würde ja jetzt einfach sagen, wenn wir auf diesem hohen Schuldenblock sitzen und auf diesen hohen Ausgaben, und davon nicht runterkommen, müssen wir irgendwo versuchen, Einnahmen zu generieren.

    Tsalastras: Ja, das ist richtig, aber das ist ja nicht ganz so einfach, Einnahmen zu generieren, weil die Einnahmen, die Sie generieren, die kriegen Sie ja nur von Ihren Bürgern vor Ort und von Ihren Unternehmen, die höchsten Steuersätze haben wir ja schon an der Stelle. Also Sie können da nicht noch weiter erhöhen, das ist nicht drin. Weitere Einnahmen können Sie ja kaum erzielen, das heißt, Sie müssen versuchen, Industrie anzusiedeln. Und das ist natürlich besonders schwierig, wenn Sie hohe Steuersätze haben oder wenig Möglichkeiten, auch hier zu investieren haben. Und das Ihnen von der Landesregierung oder den Landesregierungen, den Kommunalaufsichten, auch dann entsprechend verboten wird, weil Ihre Finanzsituation so schlecht ist. Also das ist so ein Teufelskreis, der da entsteht, je schlechter Ihre Finanzlage, desto weniger können Sie investieren, um sie zu verbessern, indem Sie Unternehmen anlocken und ansiedeln, die dann auch entsprechend Steuern zahlen. Also es ist ein sehr, sehr schwieriger Teufelskreis. Und bisher hat weder Bund, in Nordrhein-Westfalen erst seit Kurzem das Land, haben versucht, dieses zu durchbrechen. Das ist dringend erforderlich, weil sonst passiert genau das, was die Bertelsmann-Stiftung beschreibt.

    Armbrüster: Das heißt, Herr Tsalastras, aus eigener Kraft kommen Sie da nicht mehr raus?

    Tsalastras: Aus eigener Kraft kommen die Kommunen, die in der Situation sind wie wir, nicht heraus. Wir können das immer nur abbremsen, abfedern. Aber ich sage mal auch, irgendwann sind die Sparmöglichkeiten und die Möglichkeiten, die Sie haben, effizienter zu arbeiten, erschöpft. Und Sie kriegen diese Volumen, um die es da geht, nicht geschultert. Wir haben eine Arbeitslosigkeit in Oberhausen, die nach wie vor konstant bei zwölf, um die zwölf Prozent sich bewegt, obwohl wir einen Wirtschaftsaufschwung haben. In anderen Kommunen ist die Arbeitslosigkeit gesunken, das liegt an der Struktur. 85 Prozent unserer Arbeitslosen sind ALG-II-Bezieher, sind Langzeitarbeitslose, die nur schwer integrierbar sind im Arbeitsmarkt.

    Armbrüster: Herr Tsalastras, jetzt steuern wir im Bund und auch bei den Ländern auf die Schuldenbremse zu. Heißt das dann nicht eigentlich, dass künftig noch mehr Schulden bei den Kommunen abgelagert werden, wenn Bund und Länder nicht mehr Geld ausgeben dürfen?

    Tsalastras: Diese Befürchtung haben wir auch. Es heißt zwar immer, das wird nicht passieren. Aber bisher konnte uns noch keiner garantieren, dass das nicht eintritt. Und solange der Bund nicht Garantien übernimmt für die Soziallasten, die wir haben, die Kosten der Unterkunft zum Beispiel oder die Eingliederungshilfen für Menschen mit Behinderung, die wir tragen. Wenn der Bund diese Lasten nicht übernimmt, dann weiß ich nicht, wie die Schuldenbremse funktionieren soll. Und wie wir aus der Verschuldung herauskommen sollen, weil das sind ja die Lasten, die uns wirklich auch in steigendem Maße drücken. Und wenn dann noch, wovon alle ausgehen, in den nächsten Jahren die Zinsen wieder steigen, dann ist das natürlich besonders problematisch.

    Armbrüster: Live hier heute bei uns in den "Informationen am Mittag" war das der Kämmerer der Stadt Oberhausen, Apostolos Tsalastras. Besten Dank, Herr Tsalastras, für das Gespräch!

    Tsalastras: Sehr gerne!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.