Freitag, 19. April 2024

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Stadträtin von Barcelona
"Die Ramblas sind ein Markenzeichen der Freiheit"

Der Anschlag in Barcelona hat die Stadt verwundet, meint Stadträtin Gala Pin. Denn er habe gezeigt, dass es keine hundertprozentige Sicherheit geben könne, sagte sie im Dlf. Dennoch: "Wir möchten eine offene Stadt bleiben", so Pin.

Gala Pin im Gespräch mit Christoph Heinemann | 31.08.2017
    Die beiden Polizisten mit Maschinenpistolen sind von hinten fotografiert; hinter ihnen läuft eine Frau vorbei.
    Trotz Terror - Barcelona sei stolz auf seine Diversität und Pluralität, unterstreicht Stadträtin Gala Pin. ( Matthias Balk / dpa)
    Christoph Heinemann: Wie haben Sie den Anschlag erlebt?
    Gala Pin: Ich war in diesem Moment nicht in der Stadt. Ich war tatsächlich in Lateinamerika, habe mein Telefon angemacht und plötzlich klingelt es. Kurz vorher war es passiert und da habe ich schnell einen Flug gebucht und bin zurückgeflogen. Wir waren traurig. So ein Attentat – man versteht gar nicht so ganz klar, was passiert ist. Man kann es nicht verstehen. Du verstehst nicht, wie kann ein Mann irgendwie so töten. Ich würde jetzt aber lieber auf Spanisch sprechen.
    ¡!Heinemann:!! Bitte!
    "Wie kann jemand wahllos töten?"
    Pin: Wenn sie Dir sagen, es war ein Anschlag, dann ist da dieses Gefühl der Ohnmacht und des Unverständnisses. Wie kann jemand wahllos töten? Sie haben unsere Stadt verwundet.
    Es gibt aber auch ein Gefühl der Verantwortung. Das Positive in dieser großen Tragödie war die Reaktion der Menschen, die der Rettungsmannschaften. Taxifahrer haben Menschen kostenlos befördert. Die Hotels haben ihre Türen geöffnet. Kellner und andere, die an den Ramblas arbeiten, haben sich um Menschen gekümmert, sie beruhigt, Stunden mit ihnen in den Restaurants verbracht.
    Die Stadt hat weit besser reagiert, als man sich vorgestellt hätte. Aber es waren Stunden voller Angst.
    Heinemann: Wieso waren die Ramblas nicht geschützt?
    Pin: Als lokale Verwaltung, als Stadtrat verfügen wir nicht über die Zuständigkeit für Anti-Terror-Maßnahmen. Das ist Sache der katalanischen und der nationalen spanischen Polizei. Es gibt seit vielen Jahren eine Koordinationsstelle, in der über die unterschiedlichen Aspekte des Terrorismus gesprochen wird. Dort wurde schon einmal die Empfehlungen ausgesprochen, Poller aufzustellen und den Verkehr einzuschränken. Aber zur Zeit des Anschlages lagen solche Empfehlungen nicht vor.
    Wir müssen natürlich daran denken, dass Terroristen am oberen oder unteren Ende auf die Ramblas kommen können. Sie könnten aber auch durch seitliche Zugänge dorthin gelangen. Eine hundertprozentige Sicherheit ist in keinem Fall garantiert.
    Heinemann: Die Bürgermeisterin wurde beschuldigt, dass sie, anders als von der Regierung auch für andere Städte empfohlen, keine Poller aufgestellt hat. Warum nicht?
    Pin: Die Regierung, genauer die Behörde für Bürger-Sicherheit, hat in einem Rundschreiben empfohlen, während der Weihnachtsfeiertage solche Poller aufzustellen. Das haben wir gemacht und diese später wieder abgebaut. Das wurde für einen konkreten Zeitraum des Jahres, eben für Weihnachten, empfohlen. Und das haben wir auch ausgeführt.
    Heinemann: Kann man einen Ort wie die Ramblas schützen?
    Pin: Kann man einen Ort wie die Ramblas schützen, wenn man weiss, dass Barcelona stolz auf seine Diversität und Pluralität ist, stolz, eine vielfältige Stadt zu sein? Leider muss man klar feststellen, dass es hundertprozentige Sicherheit nicht gibt. Wir müssen uns an die Worte der Bürgermeisterin von Paris erinnern: "Wir können unsere Freiheit nicht opfern." Wir möchten eine offene Stadt bleiben. Und die Ramblas sind ein Markenzeichen der Freiheit. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass wir uns sicher fühlen.
    Heinemann: Während der Demomstration gegen den Terrorismus waren Pfiffe gegen den König und Ministerpräsident Rajoy zu hören und die Rufe "raus”. Sollte man gegenüber dem Terrorismus nicht zusammenstehen?
    Pin: Staat, Region und Stadtrat haben nach den Anschlägen eine sehr einheitliche Antwort gegeben. Die Bürger möchten nicht, dass in einem solchen Augenblick politische Unterschiede betont werden. Die sind suspendiert. Zu dieser Demonstration waren zwar alle eingeladen. Es war aber auch eine Demonstration zum Gedenken an die Opfer. Protest ist immer legitim, aber in diesem Fall nicht an diesem Ort.
    Heinemann: Das heißt, Sie haben nicht gepfiffen und nicht protestiert?
    Pin: Nein, auf keinen Fall.
    Heinemann: Haben Sie nicht? – Okay. - Wird der Anschlag das für den ersten Oktober geplante Unabhängigkeits-Referendum beeinflussen?
    Pin: Das zu bewerten, traue ich mir nicht zu. Ein Anschlag ist ein grässliches Ereignis, das uns restlos mitnimmt und unseren Blick verändert. Aber die Politik folgt eben auch ihrem Kurs. Ich kann das nicht sagen.
    "Wir sind eine plurale Gesellschaft"
    Heinemann: Der Ministerpräsident hat gesagt, angesichts des Terrors solle man auf jedwede Spaltung verzichten. Hat er recht?
    Pin: Der Ministerpräsident hat damit sagen wollen, dass die Bürger wollen, dass angesichts eines solchen Attentates, das Familien auseinandergerissen hat, nach dem sich die Stadt verwundet fühlt, politische Meinungsverschiedenheiten für eine Weile nicht ausgetragen werden sollten. Mit der Politik der einen oder anderen Regierung nicht einverstanden zu sein, ist natürlich legitim. Wir sind glücklicherweise eine plurale Gesellschaft mit unterschiedlichen Meinungen. Nach einem solchen Attentat muss man vor allem sehr schnell eine Koordinierung der unterschiedlichen Verwaltungsebenen herbeiführen. Unsere Antwort war abgestimmt. Das mussten wir nach einer so schrecklichen Tat wie diesem Anschlag tun.
    Heinemann: Glauben Sie, dass der Nationalismus die richtige Antwort auf den globalen Terrorismus ist?
    Pin: Nein. Ich glaube, dass der Nationalismus und die Unabhängigkeitsbewegung in Deutschland schwer zu verstehen sind. Sie wurzeln in der Geschichte und in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise. Die Unabhängigkeit erscheint als Horizont, der die Lage aufhellen könnte. Aber ich glaube nicht, dass mehr Grenzen eine gute Antwort auf den globalen Terrorimsus sind.
    "Barcelona ist eine sichere Stadt"
    Heinemann:! Was raten Sie deutschen Besuchern? Sollen sie nach Barcelona kommen, oder lieber nicht?
    Pin: Barcelona wartet auf die deutschen Besucher und Barcelona wird immer eine Stadt sein, die besucht werden will. Mein Rat würde sein, natürlich können Sie nach Barcelona kommen. Es ist eine sichere Stadt und wir warten tatsächlich auf Sie. Und wir hoffen tatsächlich, daß nach diesem Anschlag Barcelona jetzt eine Stadt ist, wo Besucher nicht kommen wollen. Wir warten auf Sie und vielleicht werden Sie sich nicht so sehr verlieben in diese Stadt, wie wir es sind, aber Sie werden diese Stadt lieben und sehen, daß diese Stadt eine offene Stadt ist.
    Heinemann: Signora Pin, vielen Dank für das Gespräch.
    Pin: Vielen Dank Ihnen. Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.