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Städel Museum Frankfurt
Marcel Duchamps Pissoir - Kunstaktion nach 100 Jahren

Die Präsentation eines gewöhnlichen Urinals als Kunstwerk war seinerzeit ein Skandal und machte Marcel Duchamp zum Ahnherr der Konzeptkunst. In einer Ausstellung in Frankfurt kann nun eine Herrentoilette "für eigene Darbietungen" genutzt werden - und als Performance in den sozialen Medien geteilt werden. Eine Glosse.

Von Gregor Sander | 08.04.2017
    Blick in eine Herren-Toilette mit Urinalen.
    Eine normale Herrentoilette - das Urinal von Marcel Duchamp im Städel Museum soll jedoch "für eigene Darbietungen" genutzt werden. (picture alliance / ZB / Stefan Sauer)
    Endlich traut sich die Kunstwelt mal etwas. Duchamps Pinkelbecken wird am Sonntag 100 Jahre alt und das Städel Museum in Frankfurt setzt seine Besucher auf den Topf, oder wie auf der hauseigenen Website zu lesen ist:
    "Das Städel Museum erklärt an diesem Tag eine Herrentoilette mit Pissoir zum Aktions-Raum: Besucherinnen und Besucher können sich in der Herrentoilette neben dem Abgang zur Sammlung Gegenwartskunst über den 100. Geburtstag von "Fountain" informieren und den umfunktionierten Ort für eigene Darbietungen nutzen und diese in den sozialen Medien unter dem Hashtag #Fountain100 teilen."
    In diesem harmlos klingenden Satz ticken gleich mehrere Arschbomben. Denn dass Männlein und Weiblein eine Toilette gemeinsam besuchen dürfen, ist auch in Deutschland noch keine Selbstverständlichkeit. Und dass es ausgerechnet die Herrentoilette neben einem Abgang sein muss, ist wirklich ein gelungener PR-Gag.
    Aber die eigentliche Sensation ist ja, dass der gemeine Museumsbesucher den stillen Ort auch für eigene Darbietungen nutzen darf. Wie bitte soll man sich das vorstellen? Lauter schwarz gekleidete Bildungsbürger mit eckigen Brillen, die sich am Flachspüler des Städel Museums mal locker machen und das Ergebnis auf Facebook posten? Aber sich dann bitte nicht über den ganzen Dreck in den sozialen Medien beschweren, liebes Städel Museum.
    Klo wurde bisher eher verschämt aufgesucht
    Anderseits ist dann wenigstens für einen Tag mal nicht der Museumsshop das Zentrum des Geschehens, sondern das Klo, der einzige Ort, der bisher eher verschämt aufgesucht wurde. Und das eröffnet doch ganz neue Perspektiven auch für andere Kunstsparten. Die Literatur, zum Beispiel.
    Wer will noch diese langweiligen Wasserglaslesungen sehen. Wie wäre es denn mal mit einer Wasserklosettlesung? Denn auch Literaturhäuser haben WCs und Romantitel wie "Was vom Tage übrig bleibt", "Elementarteilchen" oder "Ein springender Brunnen" bekommen doch eine ganz andere Ebene, wenn der Autor mal die Hosen runter lässt. Von Giulia Enders "Darm mit Charme" mal ganz abgesehen.
    Und vielleicht sollten die Theaterberserker von Castorf bis Peymann sich auch mal in diesen gekachelten Ort der Notdurft trauen, anstatt immer wieder Fäkalsprache auf der sauberen Bühne brüllen zu lassen. Die Kunst muss wieder dahin, wo es weh tut. Und wenn sie das nicht schafft, dann wenigstens dorthin, wo es stinkt. So wie bei Hermann Nitsch, aber der sagt auch: "Durchschnittliche, mittelmäßige Sachen werden gefördert. Das wirklich Gute wird erst hunderte Jahre später gefördert - wenn der Autor schon längst hin ist."
    Aktion nach 100 Jahren
    Oder 100 Jahre später wird so eine Kloaktion daraus gemacht. Das Städel Museum erklärt auf seiner Website allerdings gar nicht, ob die Herrentoilette neben dem Abgang zur Sammlung Gegenwartskunst denn auch in ihrer üblichen Funktion genutzt werden darf, während andere Besucher diesen Ort für eigene Darbietungen nutzen und diese in den sozialen Medien unter dem Hashtag #Fountain100 teilen. Darf da wirklich alles live gestreamt werden? Nicht auszudenken! Was ist schon Picassos blaue Phase gegen eine verspätete anale Phase von erwachsenen Museumsbesuchern?
    Duchamps Urinal war 1917 der Anfang einer ganzen Kunstrichtung. Konzeptkunst oder Pop-Art wären ohne diesen Sanitärartikel nicht denkbar. Denkbar wären allerdings dazu passende Besucheraktionen ohne Ende. Fettecken zum selber machen in der Kantine oder Dosensuppenmalen am selben Ort. Für Jeff Koons böte sich der Museumsshop an. Oder vielleicht auch einfach mal raus aus dem Museum und rein in den Baumarkt. Readymade für Jedermann. Bauhaus statt Bauhaus.
    Der Eintritt im Städelmuseum ist am Sonntag, dem Toilettentag, zwischen 15 und 16 Uhr übrigens frei. Wenn man am Eingang ein Codewort, ja da steht wirklich Codewort, nennt. "Richard Mutt" lautet es und das ist der Name, mit dem Duchamp 1917 sein Readymade signierte. Ob man das Codewort nur am Eingang des Museums sagen muss oder auch zur Klofrau ist noch nicht geklärt.