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"Ständig darüber reden, ohne was zu tun, das ist das schlechteste"

"Immer nur den Mund spitzen, ohne zu pfeifen", schade "der Autorität des Rechtsstaats", sagt Christoph Degenhart. Wenn die jetzt vorliegenden Beweise stichhaltig seien, sollte man ein NPD-Verbotsverfahren angehen, um "ein Zeichen zu setzen", so der Staatsrechtler an der Universität Leipzig.

Christoph Degenhart im Gespräch mit Christiane Kaess | 03.09.2012
    Christiane Kaess: Soll die NPD verboten werden oder nicht? Dies dürfte eine der wichtigsten innenpolitischen Diskussionen der kommenden Wochen werden. Einig sind sich Politiker schon in der Frage selbst nicht, aber 12.000 Seiten voll Beweise haben die Innenminister jetzt laut Informationen des "Spiegel" gesammelt. Sie sollen belegen, dass die NPD verfassungswidrig ist. Ein erneutes Scheitern vor dem Bundesverfassungsgericht will man um jeden Preis ausschließen. Das Gericht hatte 2003 ein Verbot scheitern lassen, weil der Verfassungsschutz zum Beweis der Verfassungswidrigkeit zu viele V-Leute in der Partei hatte. Die haben die Innenminister jetzt vorsorglich abgeschaltet. – Am Telefon ist der Staatsrechtler Christoph Degenhart von der Universität Leipzig. Guten Morgen, Herr Degenhart!

    Christoph Degenhart: Guten Morgen!

    Kaess: Herr Degenhart, 12.000 Seiten voll mit Beweisen – dem "Spiegel" zufolge geht es dabei um gesammelte Belege, um Reden, Gewalttaten und öffentliche Aufrufe von NPD-Mitgliedern. Das zusammeln dürfte jetzt nicht zu schwierig gewesen sein. Haben Sie denn Zweifel, ob das ausreicht für ein Verbotsverfahren?

    Degenhart: Nun, dass die NPD verfassungsfeindliche Tendenzen vertritt, wusste man ja schon stets. Die Frage ist eben, ob mit dem neuen Beweismaterial die aggressiv-kämpferische Grundhaltung nachgewiesen werden kann, und vor allem auch, ob hier Verbindungen zur gewaltsamen Szene nachgewiesen werden können.

    Kaess: Und gehen Sie davon aus, dass das der Fall sein wird mit diesen gesammelten Beweisen?

    Degenhart: Ich kenne die 12.000 Seiten nicht. Aber nach dem, was man darüber liest, muss das schon recht stichhaltig sein, und es scheint auch so, dass hier nicht im entscheidenden Maße Material vom Verfassungsschutz und V-Leuten drin ist.

    Kaess: Das war ja eines oder das Kriterium bei dem letzten Versuch in Karlsruhe. Sie halten es also für möglich, dass diese Menge an gesammeltem Material jetzt tatsächlich frei von Informationen von V-Leuten ist?

    Degenhart: Soweit es nicht frei ist, sollte man jedenfalls dieses Material nicht heranziehen.

    Kaess: Auf der anderen Seite: durch das Abschalten der V-Leute in den Führungsgremien der Partei bekommt man ja jetzt auch weniger Informationen.

    Degenhart: Ich denke, dass man die Informationen durchaus auch auf andere Weise sich beschaffen kann und sich auch beschaffen hat.

    Kaess: Wie?

    Degenhart: Gut, durch die üblichen erkennungsdienstlichen Mittel des Verfassungsschutzes, durch Beobachtung und so weiter, durch Auswertung etwa wirklich der öffentlichen Auftritte. Ich denke, man kann hier aus dem, was allgemein zugänglich ist, einiges ableiten.

    Kaess: Aber wenn das so einfach war, wie das jetzt aus dem, was Sie sagen, klingt, warum ist das dann nicht früher passiert?

    Degenhart: Ja da fragen Sie mich zu viel. Das ist eine Frage der politischen Opportunität. Aber ich denke, die Schlappe beim letzten Verfahren sitzt doch recht tief.

    Kaess: Neben verfassungsfeindlichen Äußerungen in der Partei, die ja offensichtlich – das haben Sie ja auch jetzt noch mal gesagt – einfach zu finden waren, gibt es aber auch die Haltung, dass die NPD offiziell Gewalt ablehnt und sich zum Beispiel auch von der Terrorzelle NSU distanziert. Wie schwer wiegt denn das vor Gericht?

    Degenhart: Ich denke, dass derartige Schutzbehauptungen nicht allzu schwer wiegen würden.

    Kaess: Warum?

    Degenhart: …, weil es hier auf die tatsächliche Beweislage ankommt.

    Kaess: Das heißt? Können Sie das ein bisschen erklären, welche Beweislage?

    Degenhart: Verzeihung, ich habe jetzt die verfassungsrechtliche Seite zu bewerten. Es kommt darauf an, ob Beweise ausreichen. Ich kenne die 12.000 Seiten nicht, deshalb kann ich also nicht einschätzen, ob die Beweise ausreichen. Wenn man der Auffassung ist, sie reichen aus, dann sollte man das Verfahren auch angehen.

    Kaess: Wer sollte denn die gesammelten Belege jetzt auswerten, bevor man damit eventuell noch einmal vor das Bundesverfassungsgericht zieht?

    Degenhart: Das sollten zunächst diejenigen Stellen tun, die für das Verfahren zuständig sind, und man sollte dann vielleicht durchaus auch extern gewissermaßen eine Gegenprobe machen.

    Kaess: Wer sind denn die zuständigen Stellen?

    Degenhart: Das sind die Innenministerien der Länder und des Bundes.

    Kaess: Viele Politiker – das haben wir auch schon angesprochen – warnen ja immer wieder vor dem Scheitern bei einem neuen Verbotsverfahren. Kann man denn so etwas überhaupt ausschließen im Vorhinein?

    Degenhart: Nein, selbstverständlich kann man so was nie ganz ausschließen, da man den Ausgang eines Verfahrens nicht vorhersehen kann. Ich möchte diese Gefahr allerdings nicht zu hoch bewerten. Ich denke, wenn man die entsprechenden Erkenntnisse hat, muss man ein Verfahren durchführen, um ein Zeichen zu setzen, auch auf das Risiko hin, dass man möglicherweise scheitern könnte. Was nämlich noch wesentlich problematischer ist und nachteiliger, ständig darüber zu reden, ob man ein Verfahren durchführen könnte, ob man es durchführen sollte, ob man sich trauen dürfen soll. Aber wenn man letztlich immer nur den Mund spitzt, ohne zu pfeifen, das, glaube ich, würde der Autorität des Rechtsstaats nachhaltig schaden. Also entweder man soll sich entschließen, oder man soll nicht mehr darüber reden. Aber ständig darüber reden, ohne was zu tun, das ist das schlechteste.

    Kaess: Hätten Sie beim letzten Mal vermutet, dass es zu einem Scheitern kommt?

    Degenhart: Ich kannte das V-Männer-Problem in dieser Weise nicht. Deswegen hatte ich eigentlich nicht vermutet, dass es zu einem Scheitern kommt. Es kann natürlich sein, dass auch das jetzige Verfahren, wenn es angestrebt werden sollte, derartige unangenehme Überraschungen bereit hält.

    Kaess: Und was würde das dann für ein Fortbestehen der NPD bedeuten?

    Degenhart: Nun, ein Scheitern des Verfahrens würde natürlich zunächst der NPD einen gewissen Heiligenschein nicht gerade, aber doch politische Vorteile bringen, da sie sich jetzt als zu Unrecht verfolgte Unschuld darstellen könnte. Aber selbst diese Gefahr halte ich nicht für so gravierend. Wichtiger wäre es auch dann, dass man sagt, man hat jedenfalls ein Zeichen gesetzt.

    Kaess: Aber ein erneutes Scheitern würde dann auch einen wiederum neuen Versuch für Jahre oder Jahrzehnte sogar ausschließen?

    Degenhart: Das muss nicht sein. Es kommt darauf an, ob die Beweislage sich ändert, ob vielleicht sie dann unvorsichtiger wird, sich aus der Deckung herauswagt und entsprechende Nachweise sich ergeben. Das kann man nicht prognostizieren.

    Kaess: Herr Degenhart, sollte Karlsruhe ein Verbot zulassen, dann gibt es immer noch die Instanz des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg, der offensichtlich die Hürden noch mal höher legt. Wie wahrscheinlich ist es denn, dass Straßburg ein Verbotsverfahren danach noch kippen könnte?

    Degenhart: Es ist nicht wahrscheinlicher als die Möglichkeit, dass Karlsruhe das Verfahren kippen könnte, denn auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist in dieser Sache keineswegs auf dem rechten Auge blind. Also dass hier die Hürden generell wesentlich höher sind als im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, lässt sich aus einer Analyse der entsprechenden Entscheidungen meines Erachtens nicht herleiten.

    Kaess: Können Sie nachvollziehen, dass es nach wie vor einige Politiker auch gibt, die überhaupt nicht wollen, dass die NPD verboten wird?

    Degenhart: Selbstverständlich kann ich das nachvollziehen. Dafür gibt es auch politische Gründe. Teilweise wird die Effektivität eines solchen Verbots angezweifelt, weil man sagt, es würden dann erst recht neue Kameradschaften, Bündnisse und so weiter gegründet. Auf der anderen Seite ist die NPD dann doch in gewisser Weise ein legaler Flügel dieser Szene, und es kommt ja auch noch hinzu die erhebliche Rechtsunsicherheit jetzt. Man versucht, immer wieder mit recht zweifelhaften Mitteln die NPD herauszuhalten aus Gremien, aus Ausschüssen und so weiter. Wir haben die ganzen Probleme dieser Verbotsverfahren bei Versammlungen der Rechten etc. All diese Graubereiche müssten bei einem NPD-Verbot geklärt werden.

    Kaess: Herr Degenhart, zum Schluss noch: Der Verfassungsschutz ist gerade in einer Phase der Umstrukturierung als Folge der Ermittlungspannen bei den Morden der NSU. Inwieweit kann dies denn in ein mögliches NPD-Verbotsverfahren vor dem Karlsruher Gericht hineinspielen?

    Degenhart: Das kann in der Tat, fürchte ich, hineinspielen, denn mit einem Verfassungsschutz, der nicht gut aufgestellt ist und der in erster Linie offenbar damit beschäftigt ist, sich selbst zu organisieren, mit seinen internen Problemen, ob der so eine große Hilfe sein kann, das wage ich zu bezweifeln. Sie sprechen hier in der Tat einen weiteren Unsicherheitsfaktor an.

    Kaess: Der Staatsrechtler Christoph Degenhart von der Universität Leipzig war das. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Degenhart.

    Degenhart: Danke, gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.