Donnerstag, 28. März 2024

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Ständiger Ortswechsel

Es ist wie ein Leuchten, wie ein heller Klang. Paul fühlt, dass er sich verändert, er ist "voller Begeisterung, voller Unruhe" und Sehnsucht. Paul ist verliebt. Roland Kochs neues Buch "Ins leise Zimmer" beginnt wie ein klassischer Campus-Roman. Ein neuer Dozent kommt an die Uni, die in diesem Fall in Leipzig liegt, und in seinen Seminaren über französische Literatur trifft er auf eine Studentin, deren Leidenschaft und Kühle ihn immer stärker beschäftigen und faszinieren. Es beginnt ein Spiel von Abstoßung und Anziehung. Nagende Ungewissheit und Euphorie wechseln einander ab und spiegeln die Zerrissenheit der Protagonisten - ebenso wie es die ständigen Ortswechsel tun, die den Roman kennzeichnen.

Elke Bieseö | 13.01.2004
    Einmal wöchentlich reist Paul im Zug zwischen den Welten, zwischen Ost und West, hin und her: In Amsterdam spielt sein Familienleben, da weckt ihn seine kleine Tochter morgens um sechs und er fährt seine Frau zu einem neuen Bewerbungsgespräch. In Leipzig spielt sein Berufsleben, da erfährt er Bestätigung oder Zweifel in den leidenschaftlichen Diskussionen mit seinen Studenten, da fühlt er sich lebendig und herausgefordert durch seine neue Liebe.

    Es ist ja auch eine Liebe zwischen West und Ost, ein Mann aus dem Westen, eine Frau aus dem Osten. Es ist auch zugleich seine Liebe zum Osten, die der Held ja so ein bisschen entdeckt durch seine Arbeit in Leipzig. Und er ist natürlich schon von Anfang an zerrissen. Er ist ja kein starker kompakter Held, er hat diese Zerrissenheit, die mit seinem Beruf zusammen hängt. Er muss ja praktische alle paar Jahre umziehen, hat immer nur befristete Stellen, dieser Kampf um die Existenz ist zunächst einmal das, was ihn antreibt. Aber auch aus diesem Existenzkampf möchte er ja gerne ausbrechen. Da hat er ja so eine Sehnsucht nach etwas anderem.

    Warum hat er die Gefahr nicht gesehen? Warum ist er nicht zufrieden, fragt sich Paul als das Dreiecksverhältnis zwischen ihm, seiner Frau und der Geliebten immer verfahrener wird. Roland Kochs Roman hat viele Schichten. Er ist ein Spiel mit der Literatur und er lässt sich auch als Biographie eines modernen Intellektuellen lesen: Eigentlich fühlt Paul keine großen Defizite, aber sein Alltag ist geprägt von einem geheimen Überdruss, von der Unsicherheit in Job und Karriereplanung und einer Flexibilität, die oft mehr Strapaze denn Anregung ist. Alle drei Protagonisten kämpfen – jeder auf seine Art – um Karriere und Auskommen, auch ein Grund, so Koch, warum ihre privaten Verhältnisse so überkreuz liegen.

    Die Form der unglücklichen Liebesgeschichte ist für den Autor auch eine Möglichkeit, auf subtile, indirekte Weise Stellung zu nehmen zu den gesellschaftlichen Verhältnissen, die ihn auch schon in seinem letzten Roman "Paare" umgetrieben haben.

    Das hat natürlich auch etwas mit der Literaturgeschichte zu tun, mit Vorbildern, wenn man jetzt viele unglückliche Liebesromane nimmt – die Leiden des jungen Werther oder Madame Bovary oder Jules und Jim, das ist für mich ein ganz wichtiges Buch – sind das ja immer auch Geschichten über die Gesellschaft, in denen diese Lieben nicht glücklich enden können.

    Die glückliche Ménage à trois bleibt eine – für Koch durchaus faszinierende – Utopie. Obwohl er seine drei Protagonisten als offene, unkonventionelle Persönlichkeiten anlegt, kommt es unweigerlich zu Verletzungen und Gemeinheiten. Moralische Bedenken hingegen spielen in dieser Geschichte keine Rolle.

    An einer Stelle im Roman thematisiert Koch jedoch das "moralische Schreiben", mit dem er sich seit der Lektüre der "Elementarteilchen" von Michel Houellebecq verstärkt beschäftigt. In seinem ersten, 1991 erschienen Roman "Die tägliche Eroberung" erkennt Koch sogar eine Verwandtschaft mit dem französischen Autor. Auch ihm ging es damals um die Auseinandersetzung mit männlicher Sexualität und die Trostlosigkeit Houellebecqs habe ihn an den eigenen Roman erinnert.

    Eigentlich ist es ja für meine Generation nie ein Thema gewesen, weil wir wollten natürlich nicht ideologisch, nicht moralisch, nicht wertend schreiben, wir wollten einfach erzählen. Andererseits, seit ich die Bücher von Michel Houellebecq gelesen habe, mache ich mir schon Gedanken, dass man vielleicht auch wieder werten …oder eingreifen sollte, oder auch sagen sollte, was macht jetzt die Gesellschaft kaputt … Das wäre dann ja moralisches Schreiben. Das ist auch wieder so ein Subtext in diesem Roman. Kann man überhaupt schreibend eingreifen.

    Im Gegensatz zu Houellebecqs radikal direkter Gesellschaftskritik, trifft Koch im leisen Zimmer nie deutliche Schuldzuweisungen. Er beschränkt sich auf die Beschreibung von Lebensumständen und Gefühlslagen – zu denen auch bei seinen aufgeklärten Figuren die klassische Eifersucht gehört.
    Im Roman wirft Olivia, Pauls Geliebte aus Leipzig, die Frage nach der Moral in der Literatur auf. Kein Zufall, denn Koch selbst hat als Dozent am Literaturinstitut in Leipzig sehr fruchtbare Erfahrungen mit jungen Autoren aus dem Osten gemacht und ihnen eine Anthologie gewidmet: "Der wilde Osten".

    Und hab so ein bisschen das Gefühl gehabt, literarische Impulse kommen jetzt erst mal aus dem Osten… bin da auch sehr begeistert von den jungen Autoren, die ich in Leipzig kennen gelernt habe und glaube, dass die einen authentischeren, einen ernsthafteren Ton – das sind jetzt erst mal Klischees, ich kann es noch nicht präziser sagen – dass die einen neuen Ton wieder bringen, dass die auf andere Weise erzählen als wir das bisher gemacht haben.

    Koch schätzt durchaus die aggressive, zynische, dabei auch schillernde Sprache eines Michel Houellebecq oder Rolf Dieter Brinkmann. Er selbst bemüht sich jedoch in "Das leise Zimmer" um einen zarten, lyrischen Ton, was auch darauf zurück zu führen ist, dass der Ausgangspunkt für seine Geschichte ein Gedicht gleichen Titels von seinem Kollegen Dieter M. Gräf war. Der schickte ihm seinen kurzen, hocherotischen Text mit der Bitte für ein Ausstellungsprojekt ein korrespondierendes Prosastück zu schreiben. Das klappte zwar nicht, aber Koch ließ sich zu einer inzwischen prämierten Kurzgeschichte und dem vorliegenden Roman inspirieren.
    Wie in einem Gedicht erzählt er nicht alles, sondern bewahrt seinen Figuren zwischen den Zeilen Geheimnisse und Ambivalenzen.

    Es wird nicht alles erklärt (…) Da soll ja auch der Raum sein … für die Fantasie des Lesers, denn ich denke, das Buch wird dann erst zustande kommen im Kopf des Lesers.

    Das Geheimnis führt zurück zum Ausgangspunkt des Romans. Koch hat ihm als Motto ein Zitat aus Shakespeares Sommernachtstraum voran gestellt.

    Die Liebe ist wie ein Blitz, der in einem kurzen Moment die kohlschwarze Nacht erhellt und in diesem kurzen Moment sieht man Himmel und Erde gleichzeitig und dann ist es schon wieder vorbei. Und diese Liebe, das Sich-Verlieben des Helden im leisen Zimmer ist eigentlich die Sehnsucht nach diesem das Oben und das Unten zu sehen, den Himmel und den Abgrund und da einfach tief rein zu blicken.

    Neben der Schilderung realistischer Figuren mit all ihren Macken, Marotten und Widersprüchlichkeiten geht es Roland Koch um solch "magische Momente", in denen die Liebe entsteht, ohne dass man weiß warum, in denen Menschen die Welt erkennen und gleichzeitig geblendet sind.

    Bei der Umsetzung dieser magischen Momente in Sprache stößt der Roman jedoch auch an seine Grenzen. Selten nur flirrt die Luft wenn Paul und Olivia sich begegnen. Gedankenkonstrukte und psychologische Verstrickungen überwiegen und verhindern eine größere Leichtigkeit. Es tut dem Roman nicht gut, dass sein Bauplan an manchen Stellen offen zu Tage liegt und die Figuren an diesen Stellen um ihre Glaubwürdigkeit kämpfen müssen. So bleiben eher die Umtriebe und diffusen Sehnsüchte des Helden in Erinnerung und weniger die Begegnung mit einer großen Liebe.

    Roland Koch
    Ins leise Zimmer
    Kiepenheuer & Witsch, 238 S., EUR 18,90