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Stammzellforschung in Deutschland

Forschungspolitik. – Der Umgang mit embryonalen Stammzellen ist ein Reizthema in Deutschland. Pünktlich zur Bilanz, die der Bundestag im Mai nach fünf Jahren Erfahrungen mit der hiesigen Regelung ziehen will, lud die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung zu einer Tagung zum Thema ein. Der renommierte Biologe und Direktor des Max-Planck-Instituts für molekulare Biomedizin in Münster Professor Hans R. Schöler bezog dort eindeutig Stellung. Der Deutschlandfunk dokumentiert im Folgenden seinen Vortrag.

20.03.2007
    "Zu allererst möchte ich mich bei den Organisatoren dieser Fachkonferenz der Friedrich Ebert Stiftung herzlich für die Möglichkeit bedanken, meinen Standpunkt zu der Frage ‘Besteht Handlungsbedarf beim Stammzellgesetz?’ zu erläutern. Ich erörtere hier meine Sichtweise über die Wahrnehmung und Stellung der deutschen Wissenschaftler in der embryonalen Stammzellforschung, in der Hoffnung, Ihnen zumindest einige Denkanstöße über die Sichtweise dieses Forschungsgebietes zu bieten. Das ist wichtig, weil ich befürchte, dass wir hier eine wichtige Chance verpassen. "

    "In den letzten Jahre haben viele prominente Wissenschaftler, die an adulten Stammzellen geforscht haben – wie etwa Irving Weissman, Stuart Orkin, und Ihor Leminshka – ihren Schwerpunkt auf embryonale Stammzellen verlegt, andere überlegen, dies zu tun; Irving Weissman, Pionier der adulten Stammzellforschung, wurde 2003 von einer britischen Zeitschrift sogar als ‘Embryonic man’ bezeichnet. Man kann heute also beobachten, dass führende Wissenschaftler der adulten Stammzellforschung jetzt auch humane embryonale Stammzellen in ihr Forschungsprogramm aufnehmen. Dies zeigt deutlich, wo – nach Ansicht der besten Wissenschaftler – die Zukunft der Stammzellforschung liegt. Ich möchte aber betonen, dass ich keinen ernstzunehmenden Stammzellforscher kenne, der bestreitet, dass Forschung sowohl an adulten als auch an embryonalen Stammzellen essentiell für das Ausschöpfen des therapeutischen Potenzials dieser Zellen ist."

    "Angesichts dieses weltweit zu beobachtenden Wandels in der Stammzellforschung muss man sich fragen: Warum hat Deutschland diesen wichtigen Trend nicht aufgenommen? Statt dieses Bestreben nach innovativer Forschung zu unterstützen, werden Wissenschaftler in Deutschland, so auch ich, oft belehrt, dass die Verwendung embryonaler Stammzellen unnötig sei und es gute Alternativen zu embryonalen Stammzellen gäbe, wobei entsprechende Details dann so gut wie nie ausgeführt werden. Diese Stimmen sind unüberhörbar. Aber wenn sie sagen: ‘gute Alternativen’, dann meinen sie eigentlich solche, die ‘ethisch weniger problematisch’ sind, zumindest aus ihrer Sicht. Tatsächlich sind es keine Alternativen, und schon nach kurzer Zeit spricht niemand mehr von ihnen. "

    "Eigentlich weiß ich noch immer nicht, warum die embryonale Stammzellforschung auf so großen – oft geradezu stark emotional geprägten – Widerstand in Deutschland stößt. Ich kann nur eine Vermutung äußern, die auch durch meine in den Vereinigten Staaten verbrachte Zeit geformt wurde. Mein Standpunkt erscheint vielleicht für den einen oder anderen zu grundsätzlich, aber ich hoffe, dass sie ihn dennoch nachvollziehen können. Ich habe gelernt, dass verschiedene Nationen ethische Fragen bzw. Dilemmata unterschiedlich betrachten. Es geht dabei durchaus nicht um ein ‘richtig oder falsch’. Die deutsche Sicht der Dinge ist eher problem-orientiert, die amerikanische Denkweise eher lösungs-orientiert. Damit will ich sagen, dass – lassen Sie es mich ‘das deutsche Denken’ nennen – sich oft mit Details oder Schwierigkeiten eines Problems beschäftigt, und nicht mit seiner Lösung. Dagegen machen sich Amerikaner oft mit dem Ruf ‘let’s do it’ gleich an eine Lösung, wobei manchmal die daraus folgenden Probleme nicht vorausgesehen werden. Ideal wäre meines Erachtens eine Kombination beider Perspektiven. "

    "Ein weiterer Unterschied liegt, wie ich meine, darin, wie Wissenschaftler in Deutschland wahrgenommen werden. Um es wieder zu generalisieren: Hier müssen Wissenschaftler zuerst beweisen, dass sie uneigennützige Beweggründe haben, das heißt, dass ihre Absichten ‘gut’ sind, bevor Ihnen Vertrauen entgegen gebracht wird. In den Vereinigten Staaten ist das eher umgekehrt: Wissenschaftler genießen dort ein hohes Maß an ‘Vorschussvertrauen’. Dieses Vertrauen beflügelt und nimmt gleichzeitig den Wissenschaftler ganz anders in die Pflicht. Dabei gilt dort wie auch in Deutschland: Wenn ihm Unehrlichkeit nachgewiesen wird, muss er mit harter Kritik und ernsten Konsequenzen rechnen."

    "Diese konträre Einstellung Wissenschaftlern gegenüber könnte folgenden Hintergrund haben: In den Vereinigten Staaten gilt es als selbstverständlich, dass die Aufgabe eines Wissenschaftlers darin besteht, Probleme zu lösen, während in Deutschland Wissenschaftlern oft unterstellt wird, sie kreieren Probleme. Denken Sie an die Nuklearforschung, an die grüne und rote Gentechnik, und natürlich, an die Stammzellforschung. Es wird oft vergessen, dass Wissenschaftler, trotz ihrer augenscheinlich distanzierten, rationalen Herangehensweise, Menschen mit Gefühlen sind, die den gesellschaftlichen Konsens suchen. Ich habe viele Gespräche mit der ehemaligen Bundestagsabgeordneten Margot von Renesse geführt, und ich teile ihre Meinung, dass die Gesellschaft nicht durch die Handlungen der Wissenschaftler auseinander gerissen werden darf. Dies ist ein wichtiger Punkt in Bezug auf meinen Forschungsgegenstand, weil buchstäblich der Kern des Menschseins berührt wird. Daher finde ich es umso bedauernswerter, wenn trotz unseres intensiven Bemühens die Kluft zwischen den Gegnern und Fürsprechern manchmal in beabsichtigter Weise vertieft wird, das heißt, wenn manche Stammzellgegner glauben es sei gerechtfertigt, verdrehte oder schlichtweg falsche Behauptungen zu präsentieren. "

    "Dieses grundsätzliche Misstrauen der Naturwissenschaft gegenüber trägt meiner Meinung nach dazu bei, dass Forschern in Deutschland viele Steine in den Weg gelegt werden. Das Stammzellgesetz ist dafür ein perfektes Beispiel. Wie Sie von Herrn Hacker gehört haben sind sehr viele Hürden zu überwinden, bevor Stammzellforscher überhaupt einen Antrag stellen dürfen, um Zellen zu importieren. Letztlich vermittelt es die klare Botschaft: ‚Vergessen Sie humane embryonale Stammzellen. Studieren Sie Fadenwürmer und wenn schon Stammzellen dann adulte!’"

    "Eine missbräuchliche Verwendung embryonaler Stammzellen verhindern zu wollen ist aus meiner Sicht selbstverständlich – kein Stammzellforscher mit gewissenhaften Absichten hat damit ein Problem. Die Stichtagsregelung des Stammzellgesetzes ist meiner Meinung nach nicht in Ordnung, da es das Misstrauen gegenüber Wissenschaftlern auf die Spitze treibt. Ich kann den Gedanken hinter der Stichtagsregelung verstehen – nämlich, dass wegen deutschen Forschern weder in Deutschland noch anderswo Stammzelllinien abgeleitet werden sollen. Aber die Stichtagsregelung wird von Stammzellforschern im In- und Ausland in erster Linie als Ausdruck offenen Misstrauens gegenüber Forschern interpretiert und betrachtet. "

    "Wie wäre es denn, wenn man den deutschen Stammzellforschern ein wenig vertrauen würde? Ihnen vertrauen, dass sie nicht andere Wissenschaftler dazu anstiften neue Linien abzuleiten. Warum müssen alle Stammzellforscher unter Generalverdacht genommen werden? Und die Stichtagsregelung hat doch nicht dazu geführt, dass im Ausland weniger Blastozysten für Stammzellen eingesetzt wurden. Die Realität ist, dass in den meisten IVF-Kliniken im Ausland die überzähligen frühen Embryonen als ‘biological waste’ betrachtet und wie Blutproben entsorgt werden. Es wird oft von ‘verbrauchender Embryonenforschung’ gesprochen, was dazu führt, dass viele Menschen glauben, dass speziell für die Forschung Blastozysten erzeugt werden. Dies ist aber unzutreffend! Stammzelllinien werden von überzähligen Embryonen abgeleitet, die ansonsten verworfen würden. "

    "Gemessen an der aktuellen Lage in Deutschland sehe ich nicht, dass wir uns in der Luxusposition befinden, uns aus so einem wichtigen Forschungsfeld heraushalten zu können. Die immer wiederkehrende Nachricht, dass Forschung an humanen embryonalen Stammzellen in Deutschland nicht nötig und gewollt sei, führt dazu, dass viele glauben, es gäbe hier für eine solche Forschung keine Zukunft. Viele exzellente, junge Stammzellforscher arbeiten daher lieber im Ausland. In der jetzigen Situation kann ich ihnen nur Recht geben: Leider ist Deutschland und ich muss jetzt harte Worte wählen, um meinen Standpunkt klar zu machen - wenn es um humane embryonale Stammzellforschung geht, kein Land mit wissenschaftlicher Freiheit. Wir leben momentan in einem Land, das die embryonale Stammzellforschung durch sein Misstrauen lähmt, und das hat nichts mit verdecktem Dammbruch-Wunschdenken zu tun, ganz bestimmt nicht. "

    "Soviel zur Forschungsfreiheit. Nun doch ein paar Gedanken zur Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit von Therapien. Ich werde oft gefragt ‘Sind Sie sicher, dass die humane embryonale Stammzellforschung zur Entwicklung von Therapien führt?’ Dies ist eine typisch deutsche, problem-orientierte Sichtweise. Die Gegenfrage, die ich stellen möchte, ist: ‘Sind Sie sicher, dass die humane embryonale Stammzellforschung nicht zu Therapien führt?’ Ich möchte also auch an embryonalen Stammzellen forschen, weil dies eines Tages neue therapeutische Möglichkeiten hervorbringen könnte. Und noch ein Vergleich: Menschen haben doch auch vom Fliegen gesprochen, bevor es die ersten Flugzeuge gab. Oder denken Sie einmal daran, wie heiß die ersten Herztransplantationen diskutiert wurden. Heute, 40 Jahre später, werden allein in Deutschland etwa 400 Herztransplantationen pro Jahr durchgeführt. Die Überlebensrate über fünf Jahre ist heute immerhin bei 80 Prozent angelangt. "

    "Was möchte ich also in Bezug auf humane embryonale Stammzellforschung gelöst wissen, das heißt, in Bezug auf deren Gewinnung und Import nach Deutschland? Auch wenn ich ihr nicht zustimme, kann ich aber die Position, dass humane embryonale Stammzellen nicht in Deutschland gewonnen werden sollten, akzeptieren. Nicht akzeptieren kann ich aber, dass deutsche Wissenschaftler davon abgehalten werden sollen, mit anderen Wissenschaftlern zusammenzuarbeiten, die neue humane embryonale Stammzelllinien etabliert haben. Ich hoffe sehr, dass es in Zukunft, neben der Finanzierung von adulten Stammzellen und für die Entwicklung alternativer Wege zur Stammzellgewinnung in Deutschland, auch einen Fokus auf die Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen geben wird. Denn wenn die Situation so bleibt wie sie ist, verpasst Deutschland eine große Chance! "

    "Ich versuche mit meiner Forschung unterschiedliche alternative Vorgehensweisen zu entwickeln, um Stammzelllinien zu gewinnen. Unter anderem hoffe ich so einen Beitrag zu leisten, der beide Lager versöhnt. Allerdings stellen diese Vorgehensweisen Umwege dar, die Zeit kosten. Ich bin mir dabei durchaus des großen Glückes bewusst, dass alle mir nahe stehenden Menschen zumindest momentan gesund sind und es daher keine spezielle Krankheit gibt, die ich ihnen zuliebe lindern möchte. Was aber wenn ein geliebter Mensch so schwer erkrankt, dass ich nur im Ausland eine Perspektive sehe, Therapien für eben diese Krankheit zu realisieren? So sehr ich Deutschland und Münster liebe, ich wüsste nicht ob ich dann noch die Kraft hätte, hier für eine Änderung des Forschungsklimas zu kämpfen. Ich vermute, dass ich alle alternativen Vorgehensweisen hinten anstellen würde und meine Koffer packen, um nicht an meiner Ohnmacht zu zerbrechen. Sie können sich kaum vorstellen wie sehr mich diese Gedanken bedrücken und wie sehr ich hoffe, dass der deutsche Gesetzgeber ein Einsehen hat. Ich kann daher nur alle Parlamentarier inständig darum bitten, die Empfehlungen zur Stammzellforschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft ernst zu nehmen. Vielleicht hilft den Gegnern die Frage: Würde ich genauso gegen Forschung an humanen embryonalen Stammzellen sein, wenn auch nur die vage Aussicht besteht, dass einem mir nahen Menschen geholfen werden könnte?"