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Standards für Plagiatsprüfer

Die Qualitätssicherung von Dokorarbeiten hält der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Wolfgang Marquardt, für eine Aufgabe, die zum Kern der Wissenschaft gehört und auch in ihrer Hand bleiben sollte. Wie Bundesbildungsministerin Johanna Wanka spricht auch er sich für mehr Standards bei Plagiatsverfahren aus.

Wolfgang Marquardt im Gespräch mit Manfred Götzke | 09.04.2013
    Manfred Götzke: Die Plagiatsaffäre Annette Schavan, die ist nicht nur für die Ex-Bundesbildungsministerin selbst eher unschön verlaufen. Auch für Schavans Alma Mater, die Uni Düsseldorf, war das Plagiatsverfahren eine unangenehme Geschichte. Denn die Uni wurde während des Verfahrens immer wieder scharf kritisiert, etwa weil sie keinen externen Gutachter mit der Prüfung der Doktorarbeit von Frau Schavan betraut hat, sondern einen Professor aus den eigenen Reihen. Das war rechtlich gesehen allerdings in Ordnung so, denn bisher haben die Hochschulen bei solchen Verfahren mehr oder weniger freie Hand. Schavans Nachfolgerin, Bundesbildungsministerin Johanna Wanka will das jetzt ändern und dem Wissenschaftsrat vorschlagen, entsprechende Standards festzulegen. Am Telefon begrüße ich nun dessen Vorsitzenden, Professor Wolfgang Marquardt!

    Wolfgang Marquardt: Guten Tag, Herr Götzke!

    Götzke: Herr Marquardt, brummt Ihnen Frau Wanka damit auf, die Suppe auszulöffeln?

    Marquardt: Nein, das kann man so nicht sehen. Es ist auch nicht so, dass der Wissenschaftsrat sich mit diesen Fragen noch gar nicht befasst hat. Wir haben insbesondere im November 2011 uns geäußert zur Qualitätssicherung in Promotionsverfahren, also letztlich um Handlungsempfehlungen zu geben, die es vermeiden sollen, dass es zu wissenschaftlichem Fehlverhalten, also speziell zu Plagiaten bei Promotionsarbeiten kommen soll. Und seither haben wir das Thema eigentlich auf der Agenda. Wir sind auch im Gespräch mit den anderen Wissenschaftsorganisationen. Die DFG beispielsweise aktualisiert im Moment eine Denkschrift zum Thema gute wissenschaftliche Praxis. Die ist in den Gremien zur Beratung und wird im Sommer auch publiziert werden. Auch die Hochschulrektorenkonferenz hat eine Arbeitsgruppe zum Thema. Und wir werden uns dann, wenn wir sehen, wo die Dinge hinlaufen, im Herbst noch mal überlegen, wie und in welcher Form wir uns an übergeordnete Empfehlungen heranmachen werden.

    Götzke: Die Frage ist aber, was passieren soll, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, also ein Plagiat oder ein vermeintliches Plagiat vorliegt. Braucht man dann mehr einheitliche Standards bei solchen Plagiatsprüfverfahren?

    Marquardt: Das ist eine wichtige Frage, finde ich. Nun ist es so, dass wir hier eine ganze Reihe von Rahmensetzungen schon haben rechtlicher Art. Denken Sie an die Landeshochschulgesetze, Promotionsordnungen der Fachbereiche an den Universitäten und eine ganze Reihe andere verwaltungsverfahrensrechtliche Regelungen. Allerdings, wenn man die Erfahrung einfach der letzten Zeit anguckt, dann muss man sich schon fragen, ob der Gestaltungsspielraum in diesen Rahmensetzungen vernünftig ist, ob er nicht zu groß ist und ob man da nicht nachsteuern müsste, um die Gestaltungsspielräume zu reduzieren mit dem Ziel, mehr Verfahrenssicherheit zu bekommen. Das ist so die rechtliche Sicht. Aber es gibt eben auch die Wissenschaftssicht. Und da kommt es einfach darauf an, dass wir allgemein akzeptierte Standards guter wissenschaftlicher Praxis uns verabreden und darauf die Verfahren wirklich basieren. Das ist insbesondere dann wichtig, wenn es eben Entscheidungen zu fällen gilt, die nicht schwarzweiß sind, sondern die sich in einem gewissen Graubereich abspielen, wo es wirklich sehr genau darauf ankommt, dass man weiß, was eben richtig und was nicht richtig ist. Also wissenschaftliche Standards und die Frage, muss man nicht nachsteuern bei den rechtlichen Rahmenbedingungen.

    Götzke: Ja, tatsächlich macht sich eine Universität ja weniger angreifbar, wenn sie einen geringeren Spielraum hätte.

    Marquardt: Das ist richtig. Und vor allem finde ich es enorm wichtig, dass wir einfach der Verhältnismäßigkeit wegen uns noch mal klar machen, was passiert denn vor der Dissertation, also welche Spielregeln haben wir uns gegeben, um eine eingereichte Arbeit als Dissertation zu prüfen, und wie ist es mit dem Aberkennen? Da gibt es einfach Diskrepanzen, die man auflösen muss.

    Götzke: Bei unseren Nachbarn in Österreich, da lässt man verdächtige Doktorarbeiten von einer zentralen Agentur überprüfen. Könnte das auch ein Vorbild für Deutschland sein?

    Marquardt: Also ich weiß, dass es in Österreich und in anderen Ländern solche Zentralstellen gibt. Man muss sich klar machen, dass die Komplexität wirklich hoch ist, wenn man die fachliche Breite anschaut. Deutschland ist auch ein großes Land, auch das ist ein Thema. Wir müssen aufpassen, dass wir an der Stelle einfach keinen bürokratischen Apparat schaffen und auch, was ich auch wichtig finde, ist, dass diese Sache einfach in der Hand der Wissenschaft bleibt. Das ist eine ureigene Aufgabe, eine Aufgabe, die ich zum Kern der Wissenschaft auch zählen würde. Also Qualitätssicherung und eben Nachverfolgung, wenn die Dinge nicht gelaufen sind, wie sie sollen. Was wir aber dringend brauchen, glaube ich: Wir müssen die Professionalität erhöhen, ja, eine wirkliche Professionalität in dem Bereich etablieren. Was man sich da vorstellen kann, ist, dass man so was wie eine Bundeskonferenz der Ombudsgremien einsetzt, dass man sich vielleicht Referenzprozesse, Referenzverfahren ausdenkt, an die man sich halten kann. Oder, wenn man noch weiter geht, dass man vielleicht eine Gruppe von Personen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder Personen mit einem starken Hintergrund im Wissenschaftsmanagement, qualifiziert, sodass man bundesweit auf diese Gruppe zurückgreifen kann im Ernstfall, der hoffentlich selten vorkommt, um eben mehr Verfahrenssicherheit zu gewinnen. Weil da doch eine ganze Reihe von spezifischen Kenntnissen dann nötig sind, wenn man mit einem solchen Fall konfrontiert wird. Es macht einfach keinen Sinn, dass jede Fakultät, die so ein Verfahren dann durchführen muss, jedes Mal wieder bei null anfängt und das Rad neu erfindet, sozusagen.

    Götzke: Herr Marquardt, Sie haben vorhin schon das Stichwort Verhältnismäßigkeit genannt. Johanna Wanka hat ja auch gesagt, man müsse möglicherweise über Verjährungsfristen bei Plagiaten nachdenken. Aber kann denn verjähren, was wissenschaftlich richtig und falsch ist?

    Marquardt: Da muss man, glaube ich, wirklich unterscheiden. Also, ein Fehler in einer wissenschaftlichen Arbeit, ob der jetzt auf Fehlverhalten zurückführbar ist oder nicht, der kann ja nicht verjähren. Weil der Kern der Wissenschaft ist, dass man "die Wahrheit findet", und damit sind Fehler einfach aufzuklären und richtigzustellen. Das ist sozusagen Teil des wissenschaftlichen Diskurses. Ganz anders sieht das aus, wenn man die Frage der Titelaberkennung sich vornimmt. Das ist keine wissenschaftliche Fragestellung, sondern ist im Grunde eine juristische Fragestellung, und da sehen die Dinge anders aus. Ich meine, Verjährung ist im Bereich der Rechtsprechung wirklich ein etabliertes Prinzip, und da muss man sich schon fragen, ob dieses Prinzip nicht auch bei der Frage der Aberkennung von Doktorgraden anwendbar ist. Und Kollegen, die sehr viel mehr juristischen Sachverstand haben wie ich selbst, wie zum Beispiel Herr Löwer, der ja ausgewiesen ist in dem Bereich, der hat jetzt sich auch mehrfach dafür ausgesprochen. Für mich ist das vernünftig, darüber nachzudenken.

    Götzke: Das heißt, ältere Doktoren könnten zwar auffliegen, würden aber ihren Titel dann möglicherweise behalten?

    Marquardt: Darüber muss man einfach mal miteinander reden. Und ich möchte einfach ganz klar dafür plädieren, das sind zwei Ebenen. Wissenschaftlich bleibt das immer ein Fehler. Und wie man juristisch dann damit umgeht, ist einfach eine zweite Ebene. Und da muss man, ich sag mal die wirklich auch Usancen im Bereich der Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen miteinbeziehen und muss da wirklich fundiert, aus rechtswissenschaftlicher Sicht fundiert zu einer Antwort kommen. Ich bin da nicht der Experte, um mich zu äußern. Für mich ist das, was gesagt wurde von Löwer und anderen, macht für mich Sinn, dass man durchaus eine Verjährungsfrist erwägen kann.

    Götzke: Bundesbildungsministerin Johanna Wanka spricht sich für Standards bei der Überprüfung von Doktorarbeiten aus. Wie die möglicherweise aussehen könnten, darüber sprach ich mit Wolfgang Marquardt, dem Vorsitzenden des Wissenschaftsrates. Vielen Dank!

    Marquardt: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.