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Standards in der Industrie 4.0
Eine alte Softwarearchitektur soll helfen

Damit Industrie 4.0, die vernetzte Produktion, Wirklichkeit werden kann, bedarf es vor allem gemeinsamer Standards auf allen Ebenen. Genau das fehlt aber, denn bislang gibt es Standards von gleich drei Organisationen, die sich teilweise widersprechen. Abhilfe könnte hier die schon 20 Jahre alte Serviceorientierte Architektur schaffen.

Von Peter Welchering | 30.04.2016
    Die Politik soll für Standards sorgen: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) spricht am 26.04.2016 bei der Hannover Messe in Hannover (Niedersachsen) zum Thema "Plattform Industrie 4.0".
    Die Politik soll für Standards sorgen: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) spricht am 26.04.2016 bei der Hannover Messe in Hannover (Niedersachsen) zum Thema "Plattform Industrie 4.0". (Ole Spata / picture alliance / dpa)
    "Das mit den Standards ist eine schwierige Sache. Jedes Unternehmen hat seine eigenen Standards, und das sind dann De-facto-Standards, die sie anwenden."
    Das sagt Plamen Kiradjiev, der oberste Industrie-4.0-Planer bei IBM. Und der bringt damit ein Problem auf den Punkt, das auf der weltgrößten Industriemesse in Hannover sehr intensiv diskutiert wurde. Fehlende Standards. Denn noch gibt es keine durchsetzbare allgemeingültige Regel für Industrie-4.0-Anwendungen. Warum Peter Welchering?
    "Weil es viele Standards von gleich drei Standardisierungsorganisationen gibt, die sich teilweise widersprechen. In diesen Standardisierungsgremien versuchen vor allen Dingen Prozessorhersteller und Produzenten von Industriesteuerungen ihre Interessen durchzusetzen und das hat bisher zu einem ziemlichen Durcheinander geführt. Die europäische Industrie will eine Harmonisierung der Standards. Aber diese Harmonisierung muss letztlich auf der politischen Ebene herbeigeführt werden. Vorschläge, wie eine solche Harmonisierung aussehen kann, gibt es. Die sind natürlich auch auf der Hannover Messe diskutiert worden. Und da wird insbesondere gefordert, dass diese Harmonisierung auf die Situation in den europäischen Fabriken Rücksicht nehmen muss. Vor allen Dingen das mittelständische produzierende Gewerbe muss sich hier wiederfinden. Die Industrie-4.0-Standards, die bisher von amerikanischen Organisationen vorgelegt wurden, treffen einfach die Situation im Mittelstand nicht."
    Ja, und genau diese Debatte, und die Lösungsvorschläge, die auf der Hannover Messe für den deutschen Mittelstand diskutiert wurden, die haben wir in einem kurzen Beitrag zusammengefasst:

    Industrie 4.0 findet vor allen Dingen im Internet statt - so argumentieren amerikanische IT-Konzerne gern. In dieser Vorstellung konfiguriert sich der Käufer sein neues Autos per Web-Browser am PC-Bildschirm - und die Daten wandern direkt in die Produktion. Oder: Eine Störung in der Fertigungsstraße wird der Ingenieurin per Mail geschickt, damit die dann das Problem auf ihrem Tablet-Computer lösen kann. Wegen dieser Vorstellung von der vernetzten Produktion haben insbesondere die Experten der "Open Connectivity Foundation" Normen für Industrie-4.0-Anwendungen von den verfügbaren Standards für Webservices ableiten wollen. Das hat aber nicht funktioniert, erklärt Industrie-4.0-Experte Plamen Kiradjiev:
    "Dass ich seit vielen Jahren einen Webservices-Standard habe, bedeutet nicht, dass zwei Systeme von sich aus miteinander sprechen können. Jedes Unternehmen wählt sich sein Standard-Datenmodell, wählt sich seine Standardprotokolle, wählt sich dann auch seinen Standardmodellierungsansatz. Das ist teilweise auch davon abhängig, wie die Erfahrung, wie die Skills von dem Unternehmen sind. So ist dann auch die Geschichte."
    Insbesondere der deutsche Mittelstand hat bisher mit solchen Webservices ausgesprochen stark gefremdelt. Der typische Mittelständler setzt auf Standards, die von den bisherigen Werkzeugen und Tools für die Automatisierung der Produktion her entwickelt wurden. Fertigungsstandards, die von Webservices abgeleitet sind, lehnt er ab. Rolf Wutzke, Produktionsexperte der Fraunhofer-Gesellschaft, erläutert die Folgen:
    "Sicherlich trifft das in vielen Fällen noch mehr oder weniger zu, hat aber den Grund, dass es oftmals nicht rentabel gewesen ist, bisher Tools dieser Art einzusetzen. Man setzt Tools, IT-gestützte Tools auch deswegen ein, einfach um einen Benefit zu haben, um irgendwo Optimierungspotenziale ausschöpfen zu können. Die sind aber immer auch an ökonomische Überlegungen geknüpft, und wenn das eben nicht passt, dann ist dort eben auch kein Benefit für einen Mittelständler zu sehen, auch eben zurecht bisher, und deswegen wird oftmals eine IT-gestützte Produktion in diesem Bereich noch nicht so eingesetzt, wie das vielleicht heute schon technisch vorstellbar wäre."
    Deshalb muss bei der Harmonisierung der Standards für Industrie-4.0-Anwendungen der ökonomische Vorteil auch deutlich herausgearbeitet werden, meint Plamen Kiradjiev:
    "Eine vollautomatische Produktion, wo viele Roboter vollautomatisiert arbeiten. Und das Ziel dort wird sein, Daten zu sammeln, zu erkennen, wenn irgendwelche Problemsituationen kommen und korrigierende Maßnahmen zurückzuspielen."
    Dafür gibt es bereits einen harmonisierten Standard, der in der Fabrikautomatisierung seit 20 Jahren eingesetzt wird: die Serviceorientierte Architektur. Die taugt hervorragend für Industrie-4.0-Anwendungen, meint nicht nur Plamen Kiradjiev. Denn die Serviceorientierte Architektur hält schon alle Modelle bereit, um Roboter, Fertigungsautomaten und Produkte effizient miteinander zu vernetzen.
    "Sie können sich vorstellen, mit dem Stand der Technik, den wir heute haben, was wir in der IT auch ausspielen, da kann man sich auf dieser Ebene Modelle schaffen, statt zu codieren, da kann ich modellieren, da kann ich Flows ziehen, da kann ich auch sehr einfach damit arbeiten. Warum denn auch nicht sprechen mit dem System."
    Die Serviceorientierte Architektur bietet sich etwa als Vermittlungsinstanz an, damit sich Roboter und Fertigungsautomaten mit ihren zahlreichen unterschiedlichen Maschinensprachen und Dialekten verstehen können. Eine solche Architektur erlaubt auch die problemlose Integration semantischer Spracherkennung. Dann muss der Mitarbeiter in der Fabrik seine Kommandos an die Maschinen nicht mehr eintippen, sondern kann dem Roboter sagen, was er von ihm will.