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Lerne leuchten, ohne zu leiden

Die Suche nach der individuell maßgeschneiderten Religion kann ganz schön lange dauern. An jeder Ecke lauert ein Hoffnungsträger, der das "Seelengepäck" schultern möchte. ‎Der will dann auch noch Trinkgeld, seufzt unser Autor.

Von Andreas Öhler | 15.09.2017
    Appetitliche Kombi - Jakobsmuschel und Jakobsweg
    Appetitliche Kombi - Jakobsmuschel und Jakobsweg (imago stock&people)
    Mein Selfie mit Gott ging irgendwie daneben. Das ist aber im Grunde egal. Da der Mensch ja bekanntlich das Ebenbild Gottes ist, bin ich eben nun allein auf dem Foto zu sehen. Zugegeben: Auf lange spirituelle Sicht ist es keine Lösung für meine Suche nach einer Religion, die zu mir passt. Ich möchte mir schon ein Bild von Gott machen - und nicht so eines, das in jedem billigen Photoshop bearbeitet werden kann. Es sollte schon etwas Wahrhaftiges haben, etwas Authentisches sein.
    Ich selbst kann das wohl kaum sein. Ich bin schließlich auf der spirituellen Suche, und wenn diese am Ende nur bei der Selbstfindung endet, würde das ja bedeuten, dass ich im Kreis gelaufen bin. Ich befinde mich im Aufbruch. Und das seit geraumer Zeit. Nicht mehr so wie in den Siebziger Jahren, als ich noch mit dem Räucherstab die Romanwelt Hermann Hesses durchwanderte. Auch ich war damals so eine Art Westentaschen-Siddharta. Jener indische Sinnsucher startete ja bekanntlich als reicher Brahmane auf seine spirituelle Reise und fand seine Erleuchtung erst, nachdem er bettelarm wurde. Soweit möchte ich nicht gehen.
    Lerne leuchten, ohne zu leiden, ist meine Devise, und ich gebe zu: Ich möchte eher einer Wohlstandsreligion angehören. Okay ... gehöre ich auch zu den Leuten, denen immer nur dann das Wort Askese einfällt, wenn die Waage im Badezimmer ausschlägt wie ein Geigerzähler im Urangebiet?
    Das Angebot an Glaubensrichtungen ist doch mehr als opulent. An jeder Ecke lauert ein Hoffnungsträger, der dein Seelengepäck schultern möchte. ‎Der will dann auch noch Trinkgeld.
    So kann das nicht laufen. Mir schwebt eher etwas vor, das das Kultische und das Kulinarische mehr sinnlich als sinnreich miteinander vereint. Viele meiner gesetzten weiblichen Bekannten haben es schon vorgelebt: "Frauen zwischen Jakobsmuschel und Jakobsweg" mit dem Motto: Die Schwiele in der Sandale kann durchaus mit dem Schwelgen des Gaumens in Einklang gebracht werden - die reine Lehre der buddhistischen Leere ist nicht mein Ding.
    Man sollte den Zen-Bogen nicht überspannen. So ein Buddha als propere, grinsende Glücksfigur, das sagt mir was. Es weckt in mir religiöse Gefühle. Beim Heimwerkermarkt um die Ecke bieten sie inzwischen Zimmerspringbrunnen an in Gestalt eines Buddhas. Viele kaufen das, weil das Sprudeln fernöstlicher Energie dabei so schön plastisch rüberkommt. Ich stelle mir dagegen diesen Gott des Plätscherns als ein sanft murmelndes Hinüberdämmern ins Nirwana vor.
    Warum da noch mühevoll irgendwelche Stufen der Erleuchtung hochkriechen, um zu scheitern und im nächsten Leben als Kanalratte in Mumbay neu anzufangen? Nicht mein Ding. Eine Instant-Erlösung muss doch irgendwo zu bekommen sein: Kaaba und Kaballa, indianische Schwitzhütte und Petersdom lassen sich doch nirgends besser versöhnen als in der Patchwork-Religion, alle religiösen Spannungen müssten sich doch da in Luft auflösen. Das Wort Friedensreligion fände dadurch zu seiner wahren Bedeutung.